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IntegrationSo leben Flüchtlingskinder in Köln

Lesezeit 7 Minuten
Drei Flüchtlingskinder gehen durch ein Zelt der Flüchtlingsunterkunft im hessischen Bensheim.

Auch in Köln leben, wie der Kölner Flüchtlingsrat kritisiert, Flüchtlingskinder teils viel zu lange in großen Gemeinschaftsunterkünften. Das Archivbild zeigt eine Einrichtung im hessischen Bensheim.

Wie sieht die Lebenssituation von geflüchteten Kindern in Köln wirklich aus? Wie wohnen sie, wie versorgt, gefördert sind sie? Ein Überblick zum 40-jährigen Bestehen des „Kölner Flüchtlingsrat e.V.“

Der Kölner Flüchtlingsrat (KFR) feiert dieses Jahr 40-jähriges Bestehen. Über viele Jahre — und bis heute – hat auch „wir helfen“ die Arbeit der Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisation mit Kindern und Jugendlichen unterstützt. Zum „Jubiläum“ haben wir mit KFR-Geschäftsführer Claus-Ulrich Prölß ein Gespräch geführt, über die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen, unter denen diese Jungen und Mädchen in Köln – und anderswo in Deutschland – aufwachsen.

Wie viele Flüchtlingskinder leben derzeit in Köln?

„Von den aktuell 9000 Menschen, die in Köln Asyl suchen, sind mehr als ein Drittel Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Und das sind nur die vom Wohnungsamt gemeldeten und von der Stadt untergebrachten Schutzsuchenden“, sagt Prölß. 9,6 Prozent von ihnen sind im Vorschulalter, 10,3 Prozent im Grundschulalter und 14,5 Prozent sind Jugendliche zwischen elf und 17 Jahren. Die Anzahl entspricht in etwa dem bundesweiten Durchschnitt: Seit dem Jahr 2015 sind rund 40 Prozent der Asylsuchenden minderjährige Kinder und Jugendliche.

Wie sieht die Lebensrealität dieser Kinder aus?

Mehrere wissenschaftliche Studien etwa des Deutschen Jugendinstituts oder des Deutschen Instituts für Menschenrechte belegen: Die Bedingungen für ein gesundes und förderliches Aufwachsen von geflüchteten Kindern sind hierzulande noch immer sehr prekär. Sie leben, meist zu lange, in Unterkünften für geflüchtete Menschen, ohne genügend Privatsphäre, kindgerechte Räume und Förderung, unter teils schlechten hygienischen Bedingungen. Sie können kaum Freizeitangebote außerhalb der Einrichtung wahrnehmen, wo sie zudem nicht selten auch Gewalt ausgesetzt sind.

Seit 25 Jahren ist Claus-Ulrich Prölß Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats.

Seit 25 Jahren ist Claus-Ulrich Prölß Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats.

„Verwaltungsrechtliche Hürden, personelle Engpässe und ein verschärftes Aufenthaltsrecht erschweren ihnen die Zugänge zu Bildung, Gesundheitsversorgung und sozialen Kontakten“, sagt Prölß. So spielen in der Regel bei den Asylverfahren kinderspezifische Fluchtgründe keine Rolle. Nicht wenigen jungen Menschen drohte im Heimatland, als Kindersoldaten zwangsrekrutiert zu werden, eine Genitalverstümmelung über sich ergehen zu lassen oder eine Zwangsehe. All das zeigt: Die Rechte von geflüchteten Kindern sind auch hierzulande massiv eingeschränkt.

Welche Rechte und Ansprüche haben geflüchtete Kinder?

Nicht nur ideell, auch (völker-)rechtlich hat jeder nach Deutschland einreisende, geflüchtete junge Mensch dieselben Rechte wie jedes andere hier lebende Kind. Denn mit der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) hat auch Deutschland spätestens seit 2010 anerkannt, dass alle Kinder eigenständige Träger von Menschenrechten sind — uneingeschränkt und ungeachtet der nationalen, ethnischen und sozialen Herkunft oder des Aufenthaltsstatus. „Was leider oft vergessen wird, ist, dass die Kinderrechtskonvention den Rang eines Bundesgesetzes einnimmt“, mahnt Prölß an.

Um diesen Kindern eine Kindheit zu ermöglichen, die diesen Namen verdient, braucht es neben gesetzlichen Vorgaben vor allem auch eine grundlegende Haltung in unserer Gesellschaft, eine Kultur des Respekts und der Wertschätzung
Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer Kölner Flüchtlingsrat e.V.

Laut Paragraf 22 der UN-KRK und gemäß Paragraf 21 der EU-Aufnahmerichtlinie sind Flüchtlingskinder besonders vulnerabel, benötigen also angemessenen Schutz, entsprechende Fürsorge und humanitäre Hilfe. Somit sind öffentliche Einrichtungen und Verwaltungen verpflichtet, ihr Handeln und ihre Entscheidungen am Kindeswohl auszurichten. Und die Rechte, Belange und besonderen Bedürfnisse der Kinder im Hinblick auf Unterbringung, materielle und medizinische Leistungen sowie Bildung zu wahren — und zu unterstützen.

Die EU-Aufnahmerichtlinie schreibt den Behörden vor, die Bedarfe von – zudem meist traumatisierten — geflüchteten Kindern und Jugendlichen systematisch und frühzeitig zu identifizieren, etwa durch psychologische Untersuchungen, und sie entsprechend zu versorgen. „Doch das geschieht in aller Regel weder in den Landes-Erstaufnahme- noch in den kommunalen Unterbringungseinrichtungen“, kritisiert Prölß. „Um diesen Kindern eine Kindheit zu ermöglichen, die diesen Namen verdient, braucht es neben gesetzlichen Vorgaben vor allem auch eine grundlegende Haltung in unserer Gesellschaft, eine Kultur des Respekts und der Wertschätzung. Es kann ja nicht sein, dass uns das Wohlergehen von rund 140.000 Kindern kaltlässt.“

Warum sind junge Geflüchtete besonders schutzbedürftig?

Im Herkunftsland und auf der Flucht haben Kinder und Jugendliche häufig schwer Belastendes erlebt.„Aus der Traumforschung wissen wir: Wird den jungen Betroffenen bei der Verarbeitung dieser Erlebnisse nicht geholfen, ist es schwer, eventuelle psychische und gesundheitliche Folgeschäden abzuwenden oder zu mildern“, sagt Prölß. Auch seien die Eltern häufig selbst stark belastet, hätten nur wenige (Sprach-)Kenntnisse oder Möglichkeiten, sich ausreichend um die Fürsorge und Förderung ihrer Kinder zu kümmern. Hinzu kommt, dass Kinder wie Eltern alltäglich mit Ablehnung und Diskriminierung konfrontiert sind.

Prölß: „Kinder, die sich alleine oder mit ihren Familien aus einer oft lebensbedrohlichen Lage heraus auf die Flucht gemacht haben, leben bei uns mitunter jahrelang weiter in einem Ausnahmezustand“. Abgeschottet von der Gesellschaft, untherapiert, von Bildungswegen abgeschnitten und ohne echte Chance, sich ihren Interessen und Talenten entsprechend entwickeln zu können.

Wie und wo wohnen geflüchtete Kinder in Köln?

Auch in puncto Unterbringung sind die Bedürfnisse von geflüchteten Kindern und Jugendlichen laut EU-Richtlinie besonders zu berücksichtigen. Was bedeutet, dass die armselige und oft auch gefährliche Lebenssituation in der Erstaufnahmeeinrichtung möglichst kurz gehalten, und die Betroffenen schnell einem Land- oder Stadtkreis zugeordnet werden sollten. „Zwar sieht eine Soll-Regelung für NRW vor, dass Familien nach spätestens sechs Monaten in einer Kommune unterkommen sollen, tatsächlich leben sie aber bis zu eineinhalb Jahren und länger dort“, sagt Prölß.

Kinder haben ein Recht darauf, in einem geschützten Rahmen aufzuwachsen. Doch gerade großen Einrichtungen für geflüchtete Familien sind keine Orte, an denen ein Kind aufwachsen sollte
Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer Kölner Flüchtlingsrat e.V.

Es spreche aber auch wenig für die Annahme, dass das Wohl von Kindern in kommunalen (Groß-)Einrichtungen ausreichend und zuverlässig gewährleistet werden könne. „Kinder haben ein Recht darauf, in einem geschützten Rahmen aufzuwachsen. Doch gerade großen Einrichtungen für geflüchtete Familien sind keine Orte, an denen ein Kind aufwachsen sollte“.

Zwar hat der Kölner Rat im Februar 2021 beschlossen, dass Gemeinschaftsunterkünfte im Stadtgebiet bis 2025 abgebaut und die Geflüchteten in abgeschlossenen Wohneinheiten untergebracht werden sollten, doch noch immer leben knapp 40 Prozent von ihnen in Gemeinschaftsunterkünften. „Die in den meisten Fällen auch nicht den vom Rat beschlossenen Standards entsprechen. Insbesondere die Vorgabe, dass an einem Standort höchstens 80 Menschen untergebracht werden, wird derzeit oft nicht erfüllt“, so Prölß.

Hinzukomme, dass die Anzahl der von der Stadt Köln in Obhut genommenen, unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge so weit angestiegen sei, dass die Unterbringungs- und Betreuungsmöglichkeiten in Kölner Jugendhilfeeinrichtungen ausgeschöpft seien.

Besuchen alle geflüchtete Kinder eine Kölner Schule?

Erst wenn betroffene Kinder, beziehungsweise deren Familie, einer Kommune zugewiesen sind, haben sie Anspruch auf einen Schul- oder Kitaplatz. Im ersten Schritt werden sie im städtischen Integrationszentrum getestet, um sie einstufen und – falls erforderlich – für maximal zwei Jahre einer Vorbereitungsklasse oder eben einer Regelklasse zuweisen zu können.

Prölß: „Das bedeutet, dass Kinder in Erstaufnahmeeinrichtungen meist für lange Zeit nicht beschult werden, sondern, wenn überhaupt, lediglich schulnahe Angebote erhalten.“ Diese Kinder bräuchten dringend mehr Angebote für außerschulisches Lernen und Empowerment. „Kinder wie Eltern sollten außerdem zeitnah nach ihrer Ankunft in unserem Land Sprachkurse erhalten, in unsere Lebensverhältnisse und unser Wertesystem eingeführt werden, damit sie frühst möglich in die Situation kommen, sich selbst zu orientieren, zu entwickeln und – nach ihren schrecklichen Erlebnissen – neu zu erfinden.“ Doch diese integrationsfördernden Maßnahmen blieben meist aus. „Menschen verlieren zu viel Zeit und Energie in Aufnahmeeinrichtungen, das betrifft Erwachsene wie Kinder.“

Menschen verlieren zu viel Zeit und Energie in Aufnahmeeinrichtungen, das betrifft Erwachsene wie Kinder
Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer Kölner Flüchtlingsrat e.V.

Ein weiteres Problem sei, dass viele Kinder, wenn sie dann eine Schule besuchen dürfen, das nicht immer regelmäßig tun. „Ihnen fehlt unter anderem die Motivation, da sie in unserem Land keine Perspektiven für sich sehen“, sagt Prölß. Außerdem hätten viele Schulen kaum Kontakt zu den Betreibern der Unterkünfte, den sie aber bräuchten, um die Eltern zu informieren, wenn ihr Kind in der Schule Probleme hat. Wer Abhilfe schaffen könnte, wären Schul- und Integrationslosten, doch auch für sie fehle den Kommunen Personal, Geld – und manchmal auch der Wille.

Wie ist es um ihre medizinische Versorgung bestellt?

Aktuell haben asylsuchende Kinder und Jugendliche in den ersten 18 bis 36 Monaten ihres Aufenthalts lediglich Anspruch auf eingeschränkte medizinische Versorgung – etwa bei akuten Erkrankungen oder Schmerzen. „Oft entscheidet medizinisch nicht geschultes Personal in den Sozialämtern, ob darüber hinaus Leistungen in Anspruch genommen werden können, zum Beispiel bei chronischen und psychischen Erkrankungen.“

„Wir gehen davon aus, dass bis zu 40 Prozent der geflüchteten Kinder und Jugendlichen so traumatisiert sind, dass sie psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe brauchen“, sagt Prölß. Doch es fehlen Fachärzte und Therapieplätze, die Wartelisten für einen Traumatherapie-Platz sind lang, die Angebote begrenzt.

Wie viel Geld haben geflüchtete Kinder zur Verfügung?

Kinder aus Asylbewerberfamilien verfügen noch nicht einmal über das Existenzminimum. Sie haben, je nach Alter, Anspruch auf zwischen 278 und 364 Euro pro Monat. Davon müssen sie Nahrungsmittel und Kleidung kaufen, auch Shampoo oder mal die Kinokarte. Damit haben sie deutlich weniger Geld als Kinder mit Bürgergeld zur Verfügung, die zwischen 318 und 402 Euro pro Monat erhalten. „Jedes geflüchtete Kind bedeutet einen ungeheuren Reichtum für unsere Gesellschaft, den wir nur fördern müssen“, sagt Prölß. Und es könnte künftig eine Arbeitskraft von 400.000 sein, die unserem Arbeitsmarkt fehlen.

So können Sie helfen

Auszug aus dem aktuellen „wir helfen“-Flyer

Auszug aus dem aktuellen „wir helfen“-Flyer

  1. Mit unserer aktuellen Jahresaktion „wir helfen: weil jedes Kind wertvoll ist“ bitten wir um Spenden für Projekte, Vereine und Initiativen in Köln und der Region, die Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, einen Platz in unserer Gesellschaft zu finden, an dem sie gesund, sicher und glücklich aufwachsen können.
  2. Die Spendenkonten lauten: „wir helfen – Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e. V.“
  3. Kreissparkasse Köln, IBAN: DE03 3705 0299 0000 1621 55
  4. Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 3705 0198 0022 2522 25
  5. Wünschen Sie eine Spendenquittung, notieren Sie bitte +S+ im Verwendungszweck. Wollen Sie nicht in der Spenderliste genannt werden, vermerken Sie bitte ein +A+. Legen Sie auf beides Wert, schreiben Sie +AS+. Bitte geben Sie auch Ihre Adresse an, damit eine Spendenquittung ausgestellt werden kann. Danke!
  6. Kontakt: „wir helfen e.V.“, Amsterdamer Straße 192, 50735 Köln 0221/224-2789 (Anträge, Förderungen) 0221/224-2130 (Redaktion), wirhelfen@kstamedien.de
  7. Mehr Infos und die Möglichkeit, online zu spenden, finden Sie auf unserer Vereinshomepage hier >>