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Was hat der Klimawandel mit Flucht zu tun?Der Kölner Flüchtlingsrat klärt mit Projekten in Kölner Schulen auf

Lesezeit 5 Minuten
Geflüchtete nach einem Schiffsbruch vor Indonesien.

Geflüchtete nach einem Schiffsbruch vor Indonesien.

Mit dem Projekt „Klimawandel und Migration“ will der Flüchtlingsrat Vorurteile gegenüber Geflüchteten bei Jugendlichen abbauen und das Bewusstsein für die Auswirkungen des Klimawandels schärfen.

„Klimawandel und Migration“ heißt ein neues Projekt, das der Kölner Flüchtlingsrat in Rahmen seiner Jugendbildungsarbeit in diesem Jahr anbietet. Den Hintergrund für diesen Themenschwerpunkt bilden die neuesten Ergebnisse von Jugendstudien der Bertelsmann-Stiftung sowie die Resultate der Shell-Studie. In beiden Studien kristallisieren sich zwei Themen heraus, die die Jugend aktuell beschäftigen. Einerseits die Zuwanderung: hier befürchten viele Jugendliche, dass die Ressentiments gegenüber Geflüchteten und Ausländern steigen werden und dadurch es zu einer verstärkten Spaltung der Gesellschaft kommen wird. Andererseits gibt es in der jungen Generation zunehmende Ängste vor den Folgen des Klimawandels.

Angesichts dieser Ergebnisse möchte der Kölner Flüchtlingsrat mit der Altersgruppe der 10 bis18jährigen ins Gespräch kommen, um in Workshops Ängste vor dem klimatischen Veränderungen und Vorurteile gegenüber Geflüchteten abzubauen.

„Uns ist es wichtig, dass gerade auch Kinder und Jugendliche verstehen, was es bedeutet zu fliehen, egal aus welchen Gründen. Wir versuchen altersgerecht, vor allem mit den Grundschülern, einen virtuellen Koffer zu packen, in den man nur drei Sachen hineintun darf. Die Kinder sollen begreifen, dass Flucht keine Urlaubsreise und auch keine Auswanderung ist, sondern eine Notsituation“, sagt Projektleiterin Aische Westermann, die gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen in Kölner Schulen unterwegs ist und bis zu 600 Schülerinnen und Schüler mit den Projekten erreicht.

Die Sozialarbeiterin und Psychologin Westermann weiß, dass in zwei Unterrichtsstunden nicht die ganze Denkschablone eines Kinders verändert werden kann, aber sie hofft, durch ihre Erklärungen den Schülerinnen und Schülern einen Input zu geben und diese zum Nachzudenken anzuregen. Ziel ist, dass sich die Kinder selbst fragen, was wäre, wenn sie ihren Wohnort verlassen müssten, weil es infolge von langanhaltender Dürre kein Trinkwasser mehr gäbe. Sie sollen sich über ihre Reaktionen auf eine solche Notsituation klar werden und Antworten auf die Frage finden, wie sie sich fühlen würden, wenn sie als notleidende Menschen auf Misstrauen und Vorurteile stoßen würden.

Dass der Klimawandel und die steigenden Flüchtlingszahlen für die Kinder und Jugendlichen im Verlauf ihres Lebens zu Problemen und Herausforderungen führen werden, steht außer Frage, denn schon heute mussten viele Menschen, ganze Völker aufgrund von Extremwetterlagen, von Dürre, Fluten und steigendem Meeresspiegel bereits ihren angestammten Lebensraum verlassen und sich neue Siedlungsgebiete suchen. Die Weltbank schätzt, dass dies erst der Anfang ist und es bis zum Jahr 2050 über 216 Millionen Klimaflüchtlinge geben könnte.

„Ich finde, dass solche Zahlen und Schlagzeilen, wenn sie nicht in den Zusammenhang gestellt werden, Ängste bei den Kindern und Jugendlichen schüren. Häufig wird suggeriert, durch den Klimawandel kämen bald hunderte Millionen Menschen nach Europa. Das ist in dieser Pauschalität falsch. Die Mehrheit wird nicht nach Europa kommen, denn es gibt Formen der regionalen Anpassung, der zirkulären Migration und der Binnenflucht. Das bleibt häufig unerwähnt“, kritisiert die 37-jährige Bildungsreferentin vom Kölner Flüchtlingsrat den politischen und medialen Umgang mit diesem Thema.

Aische Westermann setzt auf Aufklärung. Mit Hilfe kindgerechter Methoden wird in den Seminaren der letzte Stand in der Wissenschaft hinsichtlich des Klimawandels erarbeitet und erklärt welche Auswirkungen er auf die menschliche Mobilität und Fluchtbewegungen haben wird. Den Kindern und Jugendlichen soll einerseits ein stärkeres Bewusstsein für die dramatische Bedrohung, die der Klimawandel für die Welt der Zukunft bedeutet, aufgezeigt werden, andererseits aber auch Verständnis für die Situation von Flüchtlingen vermittelt werden, die Auswege aus lebensbedrohlichen Veränderungen der Natur suchen.

„Ich bedaure es, dass Menschen, die ihr Herkunftsland wegen klimatischer gravierender Veränderungen verlassen mussten, keinen Asylantrag stellen dürfen. Der Klimaflüchtling ist kein Rechtsbegriff “ sagt Aische Westermann.

Nach der Genfer Flüchtlingskonvention gibt es keine Klima- oder Umweltflüchtlinge. Im Völkerrecht gelten nur Menschen, die aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung verfolgt und bedroht werden als „Flüchtlinge“ mit eigenen Rechten.

„Natürlich gehen wir mit den Kindern nicht die Artikel der Genfer Flüchtlingskonvention durch, aber wir versuchen, weniger theorielastig, anhand von Einzelschicksalen der Menschen am Kap von Afrika, in Bangladesch oder in Pakistan genau diese Bedrohung der Lebensgrundlage durch den Klimawandel verständlich zu machen. “ sagt Westermann, die seit 9 Jahren beim Kölner Flüchtlingsrat arbeitet. Angesichts der aktuellen Lage wäre es gut, wenn in den Schulen im regulären Unterricht über das Thema Flucht und Migration nicht nur im Zusammenhang mit historischen Ereignissen wie dem 2. Weltkrieg gesprochen würde, sondern auch über die Fluchtbewegungen von heute.

„Aus den Flüchtlingen wird häufig ein Problem gemacht, sie werden als Bedrohung empfunden, wenn Politiker sagen, sie kämen nach Deutschland um sich die Zähne machen zulassen, wird der Fluchtgrund völlig bagatellisiert. Niemand macht sich in Afghanistan auf den Weg, um sich in Deutschland die Zähne machen zu lassen, das ist absurd“ davon ist Leiterin der Jugendbildungsarbeit Aische Westermann überzeugt.

Das Projekt dauert ein Jahr und wird von „wir helfen“ finanziell gefördert.


Auch wenn der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Verletzung von Menschenrechten zunehmend juristisch anerkannt wird, kann der Klimawandel selbst, gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention und des deutschen Asylgesetzes derzeit nicht als Fluchtgrund geltend gemacht werden. Dennoch können die Auswirkungen des Klimawandels, wie die zunehmende Ausbreitung neuer und erneut auftretender Krankheiten, die im Herkunftsland nicht behandelt werden können, die Gefahr von Ausbeutung und Menschenhandel oder Fremdenfeindlichkeit, sowie politische und religiöse Spannungen, Gründe für die Anerkennung als Klimaflüchtling sein

Gemäß dem Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) haben im Jahr 2022 laut UNHCR rund 32,6 Millionen Menschen aufgrund von Katastrophen und klimabedingten Ereignissen kurz- ihre Heimat verlassen müssen – dies stellt die höchste Zahl seit einem Jahrzehnt dar.

Weiterführende Links:

  1. Uno-Flüchtlingshilfe zu Zahlen von Geflüchteten
  2. UNHCR zum Flüchtlingsschutz
  3. Uno-Flüchtlingshilfe zum Klimawandel als Fluchtursache