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Kritik an MigrationsgipfelKölner Flüchtlingsrat nennt Wüsts Asylpläne eine „moralische Bankrotterklärung“

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Seenotrettung von Bootsflüchtlingen vor der libyschen Küste.

Seenotrettung von Bootsflüchtlingen vor der libyschen Küste.

An den Asylplänen von Bund und Ländern scheiden sich in NRW die Geister. Soll Deutschland Anerkennungsverfahren in Drittländern durchführen lassen?

Asylverfahren in Drittländern außerhalb der EU sollen Flüchtlinge davon abhalten, den Weg nach Deutschland anzutreten. Ein umstrittener Plan, über den sich die Ministerpräsidenten der Länder weitgehend einig sind. Durch die Auslagerung der Asylverfahren sollen die Kommunen bei der Unterbringung der Schutzsuchenden entlastet werden. Beim Migrationsgipfel mit dem Bundekanzler bleiben jedoch konkrete Umsetzungs-Absprachen aus. „Die Bundesregierung hat den Ernst der Lage offensichtlich nicht erkannt“, sagte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst. In der Migrationspolitik brauche es „Tempo statt Zeitspiel“, so der CDU-Politiker.

Italien hatte im vergangenen Jahr eine Absichtserklärung mit Albanien zur Errichtung von Aufnahmezentren für Migranten unterzeichnet, die im Mittelmeer gerettet wurden. Großbritannien plant Menschen, die ohne Papiere einreisen, nach Ruanda abschieben. Die Bundesregierung will die Option der Drittstaatenlösung zunächst rechtlich prüfen lassen, ein Ergebnis wird Mitte Juni erwartet. Dieses „Schneckentempo“ sei „ernüchternd“, sagte Wüst. Die Liste der unerledigten Hausaufgaben durch die Ampel sei „ellenlang“.

Kölner Firmen haben offene Stellen

Auch die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker hatte von dem Spitzentreffen mehr erwartet. „Statt Debatten um Obergrenzen und Arbeitspflichten zu führen, müssen Bund und Land endlich die Rahmenbedingungen schaffen, damit Integration vor Ort gelingt“, sagte Reker dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Allein in Köln hätten mehr als die Hälfte der Unternehmen Schwierigkeiten, längerfristig offene Positionen zu besetzen. „Diese sozialversicherungspflichtigen Stellen sind der Schlüssel zur Integration in den Arbeitsmarkt und in Gesellschaft – Integration, die gleichzeitig unseren Wohlstand erhält“, erklärte die Oberbürgermeisterin.

Der Kölner Flüchtlingsrat zeigte sich entsetzt über den Plan, Asylverfahren im Ausland durchführen zu lassen. Die Gespräche beim Treffen von Kanzler Olaf Scholz mit den Ministerpräsidenten würden „nur eines deutlich“ machen: „Es geht längst nur noch um den Abbau von Rechten schutzsuchender Menschen, um Abschreckung und Ausgrenzung“, sagte Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats, unserer Zeitung. Eine Auslagerung der Asylverfahren in Staaten außerhalb der EU sei „eine humanitäre Bankrotterklärung und dürfte sich als rechtswidrig erweisen“.

SPD stichelt gegen Wüst

Die Opposition im Düsseldorfer Landtag teilt die Kritik an der Ampel naturgemäß nicht, schließlich sind SPD und FDP Regierungspartner im Bund. SPD-Fraktionschef Jochen Ott zeigte kein Verständnis für die Kritik von Wüst an den Ergebnissen des Treffens. „Ich weiß ja nicht, auf welcher MPK Hendrik Wüst gewesen ist“, stichelte der Politiker aus Köln. Es könne jedenfalls nicht die gleiche gewesen sein, die sein Amtskollege Boris Rhein (CDU) geleitet habe. Während der hessische CDU-Ministerpräsident die Fortschritte lobte, habe der NRW-Ministerpräsident offenbar „einen alten Sprechzettel zur Hand gehabt“, sagte Ott dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Wüst gefalle sich „offenbar zunehmend in der Rolle des Schlechtredners“, während sein eigener Beitrag zur Lösung der Herausforderungen „bei null“ liege.

Henning Höne, Fraktionsvorsitzender der FDP, sieht das ähnlich. „Ministerpräsident Hendrik Wüst sitzt im Glashaus und sollte nicht mit Steinen werfen“, sagte der Liberale. Wüst agiere „mut- und ambitionslos“. Die Forderungen an Scholz löse Wüst in NRW selbst nicht ein. „Dem Ministerpräsidenten fehlt die Machermentalität und er lässt sich in NRW von den Grünen am Gängelband führen“, so Höne. Deshalb kämen die Forderungen nach einer landesweiten Einführung der Bezahlkarte, beschleunigte Asylverfahren und Abschiebeeinrichtungen an großen Flughäfen auch „nicht aus den Startlöchern“.

Bei den Kommunen in NRW in lösten die Ergebnisse des Migrationsgipfels Enttäuschung aus. Olaf Gericke, Präsident des Landkreistags NRW, erklärte, mit „Unterhaken und Dranbleiben“ sei es nicht getan. Die kommunale Familie brauche „Lösungen für die dringenden Fragen“ der Migration. „Wo sollen die Menschen wohnen, woher kommen die Sprachkurse, wie sollen sie integriert werden und wer soll das alles bezahlen?“, wollte Gericke wissen.

Bezahlkarte soll Bargeld ersetzen

Beim Treffen der Landeschefs mit Bundeskanzler Scholz sollte aufgearbeitet werden, wie weit die Bund-Länder-Beschlüsse zur Migration vom vergangenen Jahr bereits umgesetzt wurden. Damals wurde die Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber vereinbart, die teilweise Bargeld-Auszahlungen ersetzen soll. Damit soll verhindert, dass die Flüchtlinge Geld in ihre Heimatländer oder an Schlepper überweisen. Die FDP erklärte, das „hohe Niveau“ der Sozialleistungen dürfe „nicht länger Anreize für irreguläre Migration nach Deutschland setzen“.

Mit Stand 20. Februar wurden in NRW in diesem Jahr 5722 Asylanträge gestellt. Die Anerkennungsquote liegt bei 54,4 Prozent. Das Land prognostiziert, dass bis zum Jahresende 70.000 Asylsuchende nach NRW kommen.