Teil 2 der neuen „wir helfen“-Serie zeigt auf, warum die Kinder- und Jugendhilfe enorm wichtig für die gesamte Gesellschaft ist, was sie anbietet und wer sie in Anspruch nimmt.
Kinder- und JugendhilfeDamit kein Kind im Schatten leben muss
Ein Mal im Jahr erscheint der Kinder- und Jugendhilfereport der „Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik“ an der TU Dortmund. Er fasst aktuelle Daten und Fakten zu den vielfältigen Aufgaben und inzwischen vor allem auch Hindernissen der Kinder- und Jugendhilfe (KJH) zusammen und bietet damit eine fundierte Grundlage für die Debatten um deren Stellenwert in der und für die Gesellschaft.
Rahmenbedingungen der Kinder- und Jugendhilfe
Der Report zeichnet Entwicklungen nach und zeigt, welchen Rahmenbedingungen und Herausforderungen sich die Einrichtungen, Angebote und Mitarbeitenden der KJH stellen müssen und zu deren gesellschaftlicher Bewältigung sie beitragen kann — und das ohne auf diese Rahmenbedingungen, beziehungsweise das gesellschaftliche Umfeld einen oder nur sehr wenig Einfluss zu haben.
Der soziale und demografische Wandel, die Folgen der Zuwanderung, die (finanzielle) Situation von Familien aufgrund von Inflation und anderen Krisen – kurz gesagt: der komplette soziale Kontext, in dem junge Menschen aufwachsen, gibt die Bedingungen vor, die zu beachten sind, wenn man die Funktion und Notwendigkeit der KJH verstehen möchte.
Fachkräftemangel und steigende Angebotsnachfrage
Die demografische Entwicklung zum Beispiel ist ein wesentlicher Faktor für die künftige Nachfrage nach Angeboten der KJH und für das Fachkräftepotenzial, weshalb der aktuelle Kinder- und Jugendhilfereport 2024 auch den Schwerpunkt auf das Thema Fachkräftemangel legt. Längst ist bekannt, dass künftig drei Personen aus Altersgründen aus dem gesamten Arbeitsmarkt ausscheiden, wohingegen nur zwei neue Arbeitskräfte zu erwarten sind. Das trifft auch auf die KJH zu.
Zunächst präsentiert der Bericht zentrale statistische Eckwerte zum Aufwachsen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland: Wie viele Minderjährige leben aktuell und künftig in Deutschland – und in welchen Familienkonstellationen? Wie ist es um die Bildungsbeteiligung der Kinder und Jugendlichen bestellt – und unter welchen ökonomischen Bedingungen wachsen sie auf? Welches sind die wichtigsten Bedarfe und Bedürfnisse der jungen Generation – und was bedeutet das alles für die KJH?
Zentrale Aufgabenfelder der Kinder- und Jugendhilfe
Neben den örtlichen Jugendämtern, die als zentrale kommunale Behörden und Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die Umsetzung der Leistungen und Aufgaben verantwortlich sind, übernehmen immer mehr auch Trägerinnen und Träger der freien KJH die im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) vorgeschriebenen Leistungen — die sich um die Förderung, Erziehung, Chancengleichheit und den Schutz junger Menschen drehen.
Wesentliche Arbeitsfelder der KJH erstrecken sich von der Kindertagesbetreuung (Kita), über Hilfen zur Erziehung, die Kinder- und Jugendarbeit oder Jugendsozialarbeit inklusive Schulsozialarbeit bis hin zu Eingliederungshilfen – und auch um Inobhutnahmen, also das Herausnehmen von Kindern aus ihren Familien. Aktuell gibt es über alle Arbeitsfelder hinweg in der gesamten KJH 98108 Einrichtungen, Behörden und Geschäftsstellen. Rund 62 Milliarden Euro — und damit 1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – investiert der Staat in die KJH, für die deutschlandweit mehr als 1,1 Millionen Menschen arbeiten – womit die KJH, gemessen an der Zahl der Beschäftigten, längst die Größenordnung des gesamten Schulwesens erreicht hat.
Gesundes Aufwachsen: Diese Hilfen nutzen junge Menschen
Zugenommen hat in jüngerer Zeit vor allem die Inanspruchnahme der Kindertagesbetreuung – zwischen 2007 und 2022 ist die Zahl der Kita-Kinder um rund eine Million auf mehr als vier Millionen angewachsen. Auch die Hilfen zur Erziehung expandieren kontinuierlich ebenso wie der institutionelle Kinderschutz, was steigende Fallzahlen bei Gefährdungseinschätzungen (rund 63.000 Fälle) und Inobhutnahmen (rund 47.000) zeigen.
Von den Einzelfall-Erziehungshilfen für junge Menschen unter 18 Jahren profitieren aktuell rund 1,27 Millionen junge Menschen und deren Familien. Damit nehmen 7,2 Prozent der unter 18-Jährigen sowie 4,2 Prozent der 18- bis Unter-21-Jährigen irgendein Angebot der Hilfen zur Erziehung wahr.
Von den Eingliederungshilfen aufgrund einer seelischen Behinderung profitieren etwa 142.000 junge Menschen – rund 680.000 besuchen regelmäßig bis täglich Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit.
Anzahl der Minderjährigen in Deutschland jetzt und künftig
Derzeit leben hierzulande rund 14,25 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, und damit knapp 17 Prozent der gesamten Bevölkerung. Im Jahr 2035 werden es voraussichtlich 15,5 Millionen sein. Knapp 40 Prozent aller Minderjährigen und damit rund 5,4 Millionen unter-18-Jährige haben einen Migrationshintergrund. Deren genereller Bedeutungszuwachs an der Gruppe der Kinder und Jugendlichen insgesamt wirkt sich sehr vielfältig auf die Kinder- und Jugendhilfe aus, die sich auf eine divers zusammengesetzte Zielgruppe einstellen und ihre Aufgabenbereiche an deren (neuen) Bedarfe anpassen muss. Integration, Sprachförderung oder interkulturelle Kompetenzen haben enorm an Bedeutung gewonnen – was die Inhalte der Angebote betrifft und die Anforderung an die Fachkräfte.
Bildungsbeteiligung: Chancen und Voraussetzungen
Außerfamiliäre Bildungsangebote, sei es die Kindertagesbetreuung oder die Teilnahme an zusätzlichen Bewegungs-, Spiel- oder Musikangeboten, sind für Kinder und Jugendliche enorm wichtig für deren Entwicklung und auch für ihre Zukunftschancen. Für einige junge Menschen bedeutet die Teilnahme daran aber eine enorm große Herausforderung, weil sie zum Beispiel angewiesen sind auf besondere Hilfestellungen im Alltag, auf Förderung in der Schule, dabei ihren Schulabschluss zu erreichen oder in der oft schwierigen Phase des Übergangs in die Ausbildung oder einen Job.
So viele Jugendliche verlassen die Schule ohne Abschluss
Rund sechs von allen Schülern eines Altersjahrgangs verlassen die Schule ohne einen Abschluss. An Förderschulen liegt der Anteil bei 70 Prozent. Ohne Schulabschluss sinken die Chancen auf eine Berufsausbildung und einen anschließenden existenzsichernden Arbeitsplatz. Rund sieben Prozent der 15- bis 24-Jährigen besuchen weder eine Schule noch gehen sie einer Ausbildung oder einem Job nach.
So viele Schülerinnen und Schüler haben Förderbedarf
Die Anzahl der Schüler und Schülerinnen mit sonderpädagogischer Förderung – aufgrund einer körperlichen, geistigen Beeinträchtigung oder weil sie in puncto Lernen, Sprechen, sozialer und emotionaler Entwicklung Unterstützung brauchen — ist in den vergangenen 15 Jahren gestiegen und lag zuletzt bei fast 600.000 jungen Menschen, was knapp acht Prozent aller Minderjährigen ausmacht.
Anzahl der Kinder und Jugendlichen mit einem alleinerziehenden Elternteil
15,7 Prozent aller Minderjährigen leben in Alleinerziehenden-Haushalten, was bedeutet, dass ein Elternteil sämtliche Erziehungsaufgaben, Aufgaben zur Alltagsbewältigung und das Erwirtschaften des Familieneinkommens überwiegend allein bewältigen muss. In der Regel ist dem eine Trennung oder Scheidung vorausgegangen, die auch zu sozialen, ökonomischen und psychischen Belastungen bei den Kindern und Jugendlichen führen können.
Von Armut betroffene oder bedrohte Kinder und Jugendliche
Der Alltag von Kindern und Jugendlichen sowie ihre sozialen Teilhabe- und Bildungschancen werden maßgeblich durch die finanzielle Situation ihrer Familien bestimmt. Mit materiellen Entbehrungen gehen gesellschaftliche Benachteiligungen und negative Zuschreibungen einher. Diese Ungerechtigkeiten auszugleichen, ist maßgeblich auch Aufgabe der KJH. Derzeit sind bundesweit rund 22 Prozent der unter-18-Jährigen von Armut bedroht, 13,8 Prozent erhalten staatliche Transferleistungen. Mit 42,3 Prozent sind weit überdurchschnittlich von Armut bedroht minderjährige Kinder von Alleinerziehenden.
Fazit: Gutes Aufwachsen ist mehr als nur Privatsache
Allein die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die Angebote der KJH nutzen, macht eindrucksvoll klar, wie umfangreich deren Förder-, Hilfe-, und Schutzbedarfe sind und wie sehr die KJH-Einrichtungen für sie zu einem wichtigen Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsort geworden sind, der sie maßgeblich prägt und ihre Chancen positiv beeinflussen kann. All das zeigt einmal mehr: Das „Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung“ hat für junge Menschen erheblich an Bedeutung gewonnen. Und geht uns alle an.