Köln – Die Szene erinnert ein bisschen an den Eismann, der an einem heißen Tag mit seinem bimmelnden Wagen durch die Straßen fährt und kleine Kunden anlockt. Wenn Benjamin Richter und Anna Knauer donnerstagnachmittags um 16 Uhr durch die Wohnsiedlung in Weiler laufen, kommen die Kinder aus allen Richtungen angerannt. Knauer und Richter verteilen kein Eis und auch sonst nichts Süßes. Sie kommen, um Fangen oder Verstecken im Dunkeln zu spielen. Denn entgegen den landläufigen Vorurteilen über faule und playstation-fixierte Bewegungsverweigerer spielen Kinder immer noch gerne miteinander auf der Straße.
Darauf baut das „Straßen-Kinder-Projekt“ des Vereins Kindernöte in Chorweiler seit 25 Jahren. Der Verein feiert dieses Jahr ein großes Jubiläum. Mit diesem Projekt auf der Straße hat alles angefangen. Acht Gruppen gibt es zurzeit in verschiedenen Ecken des Bezirks Chorweiler. Jede von ihnen begann einmal mit einem Mann und einer Frau, am liebsten ein Team mit deutschen und nicht-deutschen Wurzeln, die ausgestattet mit Springseil, Ball und Straßenkreide an einem bestimmten Ort auftauchten und versprachen: „Wir kommen jetzt jede Woche um diese Zeit.“ Die Kinder, die das Gleiche taten, und mitspielten, bildeten dann nach ein paar Wochen eine feste Gruppe, der sie einen eigenen Namen gaben.
Spielen in Sichtweite
Zur „Freundegruppe“, wie das Projekt in Weiler heißt, sind etwa 20 Kinder gekommen. Richter leitet die Gruppe seit viereinhalb Jahren gemeinsam mit einer Kollegin, die heute durch die pädagogische Leiterin des Vereins, Anna Knauer, vertreten wird. Um Viertel nach vier versammeln sich alle in einem großen Kreis und stimmen über das erste Spiel ab. Es heißt „2021“ und wird von einem Mädchen in dunkelgrüner Jacke und wippendem, geflochtenem Zopf vorgeschlagen. Kurze Diskussion über das Regelwerk des Fangspiels, dann rennen alle über die Wiese.
„Unser Prinzip lautet immer schon: Hingehen statt kommen lassen“, erklärt Geschäftsführerin Ingrid Hack am Rande der Spielwiese. Heißt: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen zu den Kindern. Das Straßen-Kinder-Projekt ist ein – ein Wort, das alle Sozialarbeiter lieben – niedrigschwelliges Angebot; gedacht für Kinder von sechs bis 13 Jahren, die noch zu jung für ein Jugendzentrum sind. Oft seien die Wege in die Einrichtungen auch schlicht zu weit, sagt Hack, oder die Eltern hegen Misstrauen gegenüber Institutionen. Gegen gemeinsames Spielen in Sichtweite des Zuhauses habe aber niemand etwas einzuwenden.
Weil es Spaß macht
Fragt man die Kinder, warum sie jede Woche wieder kommen, ist die häufigste Antwort: Weil es Spaß macht. Klar könnten sie auch so miteinander spielen, sagt die neunjährige Fatime, aber mit Benny mache es eben noch mehr Spaß. „Ich habe hier viele Freunde gefunden“, sagt die zehnjährige Christina.
Noah ist 13 Jahre alt und kommt seit vielen Jahren. Er fand besonders die Ausflüge toll, die die Gruppe schon gemeinsam unternommen hat. Einmal waren sie im Phantasialand, einmal Schlittschuhfahren im Lentpark. Hack und ihre Mitarbeiter wissen von ihrer langjährigen Arbeit in Chorweiler: Viele Kinder haben ihren Stadtteil noch nie verlassen. Hack erinnert sich an einen Jungen, der mit acht Jahren das erste Mal am Rhein war.
Krise hat die Kinder verändert
Für viele Kinder aus dem Kölner Norden waren die letzten eineinhalb Jahre besonders hart. Die Kinder sind so anders, waren die Gruppenbetreuer sich schon im ersten Lockdown einig. Sie boten „Sprechstunden“ auf der Parkbank an, um den Kontakt zu halten. Der digitale Austausch habe mit dieser Zielgruppe kaum funktioniert. Es wurden Rallyes veranstaltet, an denen ein Kind alleine teilnehmen konnte. Gewinne wurden aber für die ganze Gruppe erzielt. „Wir mussten vielen Kindern klar machen, dass es die Gruppe und die anderen Kinder noch gibt“, sagt Hack. Für das Engagement wurde der Verein mit dem zweiten Platz des Initiativen-Preises 2021 des Paritätischen Jugendwerks NRW ausgezeichnet. Unter dem Titel „Trotz der Krise“ prämierte der Verband herausragende Kinder- und Jugendarbeit.
Ein wichtiges Anliegen von Geschäftsführerin Hack zum 25. Vereinsgeburtstag: Positive Nachrichten aus Chorweiler. „Es hat sich hier wirklich viel verändert“, sagt sie und lobt die GAG als verlässlichen Partner in den Stadtteilen. Auch der Verein „wir helfen“ unterstützt die Arbeit von Kindernöte seit vielen Jahren. Gerade ist Hack mit der städtischen Immobiliengesellschaft im Gespräch: Drei Spielgruppen in Roggendorf, Volkhoven und Chorweiler-Mitte haben aktuell keine Räume, in die sie im Winter bei zu schlechtem Wetter ausweichen können. Über niedrigschwellige Miet-Angebote würde sie sich sehr freuen.
So können Sie helfen
Mit unserer Aktion „wir helfen: damit in der Krise kein Kind vergessen wird“ bitten wir um Spenden für Projekte, die Kinder und Jugendliche wieder in eine Gemeinschaft aufnehmen, in der ihre Sorgen ernst genommen werden.
Die Spendenkonten lauten:
„wir helfen – Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e. V.“