Zu wenig ZeitFamilienhebammen versorgen Babys in belasteten Familien
Köln – Die Zwillinge schauen neugierig zu, wie Romina Di Carlo die weiße Babywaage aus dem Karton holt und auf dem niedrigen Wohnzimmertisch aufbaut. Als sie Laiz drauf setzt, verzieht er das Gesicht und beginnt, leise vor sich hin zu wimmern. Di Carlo hat gute Nachrichten: „400 Gramm mehr, super. Wie haben Sie das gemacht?“, fragt sie seine Mutter, die gelöst lächelt und stolz erzählt, dass sie das leicht untergewichtige Baby diese Woche jeden Abend geduldig mit Gemüsebrei gefüttert hat. „Das ist toll! Machen Sie das weiter!“
Aus ihrem prall gefüllten, schwarzen Rucksack holt Di Carlo einen Schnellhefter heraus und macht in einem Koordinatensystem ein Kreuzchen. Laiz’ Linie zeichnet einen Bogen nach oben. Der fast Einjährige entwickelt sich gut, er ist nur kleiner. Romina Di Carlo, eine kleine, leise Frau mit dunklen Locken, ist Familienhebamme. Wobei siezwar ausgebildete Hebamme ist, aber auch mehr als das. Ihr eigentlicher Jobtitel lautet „gesundheitsorientierte Familienbegleiterin“.
„Sie hilft uns bei allem“
Di Carlo war nicht bei der Geburt der Zwillinge dabei und trotzdem besucht sie sie seit Monaten in einem Hochhaus in Köln-Porz. Für ihre Mutter Fatima Süleman, die vor über elf Jahren aus dem Irak nach Deutschland kam und wie ihre Kinder eigentlich anders heißt, ist Di Carlo eine Unterstützung in allen Lebenslagen. „Sie hilft uns bei allem, nicht nur beim Wickeln, Baden und Füttern, sondern auch bei Telefonrechnungen und Briefen“, erzählt Süleman, während die älteste Tochter Lilly konzentriert ihr Stofftier wickelt.
Die Dreijährige hat Trisomie 21 und kam mit einem Herzfehler zur Welt. Monatelang sei sie nur mit Lilly unterwegs gewesen, sagt Süleman, immer bei den Ärzten im Krankenhaus oder gerade auf dem Weg dorthin. Nach Lillys Herzoperation wurde sie schwanger mit den Zwillingen. Im sozial-pädiatrischen Zentrum des Krankenhauses rieten sie ihr, sich Unterstützung zu suchen. Sie hat Hilfe von ihrem Mann und ihrem Schwager, und trotzdem: Wenn jemand kommt, und sagt „Laiz ist zu klein“, hat Süleman Angst, sie macht etwas falsch und ist eine schlechte Mutter. Und dann sagt Di Carlo: „Lassen Sie sich keine schlechten Gefühle einreden. Die Zwillinge sind gesund und entwickeln sich gut.“ Und Süleman ist beruhigt.
Kinder aus armen Familien werden eher krank
Di Carlo ist angestellt beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) und als Familienhebamme 20 Stunden in der Woche zuständig für den Bezirk Porz. Mit sieben Kolleginnen teilt sie sich die Arbeit in Köln, bezahlt werden die Frauen vom Land NRW. Wer schon einmal in Kölns Hochhaussiedlungen unterwegs war, kann sich denken, wie lang die Wartelisten sind. Etwa sechs bis sieben Familien versorgt Di Carlo gleichzeitig.
So können Sie helfen
wir helfen: damit in der Krise kein Kind vergessen wird
Mit unserer Aktion „wir helfen: damit in der Krise kein Kind vergessen wird“ bitten wir um Spenden für Projekte, die Kinder und Jugendliche wieder in eine Gemeinschaft aufnehmen, in der ihre Sorgen ernst genommen werden.
Bislang sind 1.328.993,90 Euro (Stand: 27.09.2022) eingegangen.Die Spendenkonten lauten:„wir helfen – Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e. V.“Kreissparkasse Köln, IBAN: DE03 3705 0299 0000 1621 55Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 3705 0198 0022 2522 25
Mehr Informationen und Möglichkeiten zum Spenden unter www.wirhelfen-koeln.de.
Wenn schon eine schwangere Mutter in Lindenthal oder Ehrenfeld keine Hebamme für die Versorgung nach der Geburt findet, ist eine schwangere Frau in Ostheim oder am Kölnberg nahezu chancenlos. „Wir fangen oft verwaiste Wochenbetten auf“, sagt Di Carlo. Die Mutter wird mit der Versorgung des Neugeborenen allein gelassen. Viele haben häufig kein familiäres Netzwerk, sprechen schlecht Deutsch und haben ohnehin viele andere Sorgen. Der Zusammenhang zwischen Gesundheit und sozialer Benachteiligung ist hinlänglich erforscht: Kinder aus armen Familien haben ein deutlich höheres Risiko, krank zu werden. Babys von armen Eltern sind im Durchschnitt schon bei der Geburt leichter als die von Wohlhabenden.
In der Pandemie waren Familienhebammen oft die einzigen, die noch kamen
Ines Waschkuhn ist Di Carlos Kollegin im Bezirk Rodenkirchen. Auch sie ist gelernte Hebamme und hat schon in ihrer Zeit als Angestellte im Kreißsaal immer am liebsten die Patientinnen versorgt, die ihre Hilfe am dringendsten brauchten. „Bei der klassischen Nachsorge hatte ich oft das ungute Gefühl, die Familie nach meinem letzten Besuch mit ihren Sorgen alleine zu lassen“, erzählt Waschkuhn am Telefon. Deshalb hat sie 2008 eine Zusatzausbildung gemacht, die psychosoziale Beratung mit einschließt.
Eigentlich ist die Idee: Die Familienhebamme betreut die Familie ganzheitlicher und vermittelt sie je nach Bedarf an andere Hilfsangebote. Besonders in der Corona-Pandemie stößt das Konzept an seine Grenzen, erzählen beide Familienhebammen. Viele Sozialberatungsstellen konnten keine Termine anbieten, zuhause stapelten sich die Briefe vom Amt. Manche Eltern bekamen irgendwann kein Hartz IV mehr vom Jobcenter, weil der Aufenthaltstitel abgelaufen war – und bei der Ausländerbehörde ging niemand ans Telefon. Plötzlich war die Familienhebamme, die Einzige, die überhaupt noch vorbeikam und half. „Wir können aber nicht das Sozialgesetzbuch auswendig. Ich habe mich ständig überfordert gefühlt“, sagt Waschkuhn. „Da kommt die geistige und körperliche Gesundheit des Kindes bei den Terminen zu kurz.“
Verbände fordern mehr Mittel für die Frühen Hilfen
Bei den Sülemans möchte Di Carlo noch über Kindersicherheit sprechen. Die Zwillinge krabbeln und stolpern schon durch die ganze Wohnung. Sie zeigt Süleman auf ihrem Handy ein Bild von Plastikschnallen, mit denen sie die Schubladen kindersicher verschließen kann. Es drängt noch ein anderes Problem: Die Kita hat sich gemeldet. Sie haben kein Personal mehr, die Zwillinge können nicht aufgenommen werden. Noch ein sozialer Beruf, in dem engagierte Frauen reihenweise aufgeben, weil die Arbeitsbedingungen schlecht sind.
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Auch Di Carlo hat ihren Job als Familienhebamme gekündigt, erzählt sie im Treppenhaus auf dem Weg nach unten. Weil sie das Gefühl hat, den Kindern nicht gerecht zu werden. Unten auf der Straße zeigt sie auf ein zwölfstöckiges Hochhaus und sagt: „Alleine dort könnte ich Vollzeit arbeiten.“ Der SkF fordert schon lange von Bund und Kommunen, die Arbeit der Familienhebammen auskömmlich zu finanzieren und zeitlich aufzustocken. Die Verantwortliche bei der Stadt verweist auf das Land und die angespannte Haushaltslage der Kommune.