Handwerkerinnenhaus in NippesMit Werkzeug gegen Stereotypen
Köln – Maryam schlägt die weiße Fliese in ein schon angegrautes, kariertes Handtuch ein, bevor sie mit dem Hammer draufhaut. Sie soll zerspringen, aber nicht schmutzig werden. „Das beruhigt meinen Kopf“, sagt die 17-Jährige und meint nicht nur das Zerschlagen von Fliesen, sondern mehr. Zu wissen, dass sie jeden Dienstagnachmittag nach der Schule ins Handwerkerinnenhaus nach Nippes kommen und hier ein paar Stunden in Ruhe an etwas arbeiten kann. „Ich kann hier einfach mein Ding machen.“
Maryams Ding liegt oben auf der Werkbank: Ein runder Stein mit einem Loch, aus dem mithilfe eines Wasserschlauchs ein kleiner Zimmerbrunnen werden soll. Seit über zwei Jahren geht Maryam regelmäßig in den Verein der freien Jugendhilfe, der im alten Worringer Bahnhof an der Kempener Straße sitzt. In drei Werkstätten lernen Mädchen ab der fünften Klasse und Frauen, wie sie richtig mit Werkzeug umgehen. Aber auch, wie sich eine Idee zu einem Plan entwickelt und am Ende ein fertiger Gegenstand steht. Und wie es das Selbstbewusstsein stärkt, mit den eigenen Händen etwas zu erschaffen.
Sofia kam vor ein paar Wochen mit dem Foto eines Schaukelstuhls zu Kursleiterin Hilde van der Zander und nun feilt sie an zwei 1,20 Meter langen Holzbrettern, die später die Seitenwände des Stuhls werden. „Sicher arbeiten an der Hobelmaschine“ steht auf einem angegilbten Schild, das an einem Holzbalken hängt, ein paar Balken weiter besagt eine gelbe, selbstgebastelte Pappe „Haare zusammenbinden!“. Sofia hängen ihre langen schwarzen Haare sicher im Zopf über den Rücken, während sie sich konzentriert über die Bretter beugt.
Hilfe bei der Berufswahl
In verschiedenen Projekten arbeiten die Mädchen handwerklich und werden darüber hinaus auch bei ihrer Berufswahl oder bei Schwierigkeiten in der Schule begleitet. Die Aktion „wir helfen“ hat bereits ein Projekt gegen Schulmüdigkeit mitfinanziert. Für Maryam hat eine Kollegin aus dem Handwerkerinnenhaus schon einen Boxkurs und eine Nachhilfelehrerin organisiert, erzählt sie beim Bekleben ihres Steins. In den Mädchenkursen steht auch immer eine Sozialarbeiterin zur Beratung bereit.
So können Sie helfen
wir helfen: damit in der Krise kein Kind vergessen wird
Mit unserer Aktion „wir helfen: damit in der Krise kein Kind vergessen wird“ bitten wir um Spenden für Projekte, die Kinder und Jugendliche wieder in eine Gemeinschaft aufnehmen, in der ihre Sorgen ernst genommen werden.
Bislang sind 1.328.993,90 Euro (Stand: 27.09.2022) eingegangen.Die Spendenkonten lauten:„wir helfen – Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e. V.“Kreissparkasse Köln, IBAN: DE03 3705 0299 0000 1621 55Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 3705 0198 0022 2522 25
Mehr Informationen und Möglichkeiten zum Spenden unter www.wirhelfen-koeln.de.
„Wir wollen Stereotype aufbrechen und die Teilnehmerinnen von Klischees befreien“, sagt Mira Sin aus dem Vereinsvorstand. Im Ausbildungsjahr 2020 haben über die Hälfte der jungen Frauen bundesweit sich für nur zehn Berufe entschieden, obwohl es über 350 verschiedene Ausbildungen gibt. Kauffrau im Büro oder Einzelhandel, Arzthelferin oder Krankenschwester belegen die vorderen Plätze der beliebtesten Ausbildungen, immer noch stereotypische Frauenberufe eben. Das Handwerkerinnenhaus will Mädchen zeigen, dass sie viel mehr Wahlmöglichkeiten haben, wenn sie die Rollenbilder hinter sich lassen.
Vorbehalte sind immer noch präsent
Kursleiterin Hilde van der Zander ist gelernte Tischlerin und will ein Vorbild sein. Sie zeigt den Mädchen in der Werkstatt, dass es in vielen handwerklichen Berufen nicht um Kraft, sondern um Geduld, Konzentration und Kreativität geht. Sie weiß von ihrer Arbeit als Tischlerin, wie präsent die Vorbehalte gegenüber weiblichen Handwerkerinnen in Betrieben und bei Kunden sind. „Mir wurde bei der Bewerbung vor acht Jahren noch gesagt: Frauen nehmen wir nicht“, erinnert Hilde van der Zander sich.
Das Handwerkerinnenhaus wurde 1989 von Frauen gegründet, denen es ähnlich ging. Handwerkerinnen, die trotz guter Gesellenprüfung keine Arbeit fanden, und Frauen, die nicht für jede Reparatur im Haushalt auf Männer angewiesen sein wollten.
Kultur muss sich ändern
Mittlerweile seien die Betriebe offener, erzählt Mira Sin, viele suchen händeringend Auszubildende und wissen, dass sie die Unternehmenskultur ändern müssen, um auch für junge Frauen interessant zu sein. Der Verein vermittelt auch Praktika für seine Kursteilnehmerinnen. Hilde van der Zander ist überzeugt: „Es arbeiten heute definitiv mehr Frauen im Handwerk, aber es ist noch viel zu tun.“
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Sofia geht auf dem Berufskolleg in eine Klasse mit technisch-mathematischem Schwerpunkt. Sie zeichnet Baupläne, macht viel Mathe und arbeitet mit der Handsäge. Maryam möchte nach der Schule eine medizinische Ausbildung machen. Nicht jedes Mädchen aus den Kursen muss Handwerkerin werden, sagt die Kursleiterin. Aber jede sollte wissen, das sie es könnte.