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Trauerchat für JugendlicheUnd plötzlich ist der Tod ganz nah

Lesezeit 4 Minuten

Trauernde Kinder finden im Chat Gleichgesinnte.

Köln – Der Schmerz kommt in Wellen. So ist es bei Anna Raisch, seit ihr Vater vor 13 Jahren starb, so ist es bei vielen jungen Usern im Chat „Doch etwas bleibt“. Die 36-Jährige ist heute selbst Mutter, sitzt in der Abenddämmerung neben Ida Gründahl auf dem grauen Sofa in Gründahls frisch bezogener Wohnung in Köln-Sülz.

Beide arbeiten ehrenamtlich für den Trauerchat des Hospiz Bedburg-Bergheim-Elsdorf, der von „wir helfen“ gefördert wird. In ihm können sich Jugendliche einmal pro Woche anmelden, um sich anonym auszutauschen oder still mitzulesen, was diejenigen schreiben, die ähnliches erlebt haben wie sie: den Verlust eines geliebten Menschen – Vater, Schwester, Oma, Freund oder Nachbar.

Der Tod wird in unserer Gesellschaft an den Rand gedrängt

„Viele User vereint das Gefühl, ihr Umfeld, besonders das gleichaltrige, versteht sie nicht“, sagt Gründahl, die als Chatbegleiterin die Gespräche moderiert. Ein normaler Freundeskreis mit Durchschnittsalter 15 will ausgehen und Spaß haben. Die Jugendlichen wollen sich abnabeln von der Familie und herausfinden, was für ein Erwachsener sie in dieser Welt sein werden. Sie wollen nicht an den Tod denken, der weit weg erscheint und in unserer vergnügungsorientierten Gesellschaft ohnehin ausgeblendet und an den Rand gedrängt wird. Und für einen jungen Menschen plötzlich ganz nah rücken kann.

„Für mich ist damals die Welt zusammengebrochen und alle anderen haben ihr normales, glückliches Leben weitergelebt“, beschreibt Gründahl das Gefühl, als ihre Mutter starb. Und von dem sie den Usern im Chat heute sagt: Das ist okay, du hast etwas Schlimmes erlebt, du darfst traurig sein. Oder wütend. Oder hoffnungslos.

Von Hospizmitarbeiterin gegründet

„Das hilft oft schon enorm“, sagt Raisch, die als Projektkoordinatorin des Trauerchats seit über zehn Jahren mitarbeitet. „Dass jemand deinen Schmerz aushält.“ Nicht ablenkt oder kleinredet. Ein Außenstehender, bei dem der Trauernde selbst kein schlechtes Gewissen haben muss. Viele Jugendliche übernehmen mit dem Tod eines Elternteils neue Aufgaben in der Familie. Sorgen sich plötzlich um ihre verbliebenen Familienmitglieder – und wissen dabei nicht, wohin sie mit ihren eigenen Gefühlen sollen.

Ida Gründahl (l.) und Anna Raisch von „Doch etwas bleibt“

Das Konzept des Trauerchats stammt von Romy Kohler. Ihr Sohn Lars stirbt 2003 mit 15 Jahren an einer Meningokokken-Infektion. Romy Kohler und ihre Familie sind in Trauer. Genau wie Lars’ Freunde. Sie treffen sich regelmäßig auf dem Friedhof und in seinem Kinderzimmer. „Das war für uns manchmal ganz schwer auszuhalten“, sagt Kohler rückblickend, schon damals war sie Hospizmitarbeiterin.

Sie sucht Angebote zur Trauerbegleitung bei Jugendlichen. „Die Freunde meines Sohnes haben damals klar gesagt, dass sie sich nicht irgendwo in einen Kreis setzen und mit Fremden über Lars reden wollen“, erinnert sich Kohler. Also sucht die erfahrene Hospizmitarbeiterin nach Alternativen, entdeckt ein Chat-Angebot in Freiburg, konzipiert Jahre später „Doch etwas bleibt“ nach diesem Vorbild.

„Unsere User sehen, dass irgendwo in Deutschland jemand sitzt, der diese schreckliche Zeit überstanden hat“

Ein wichtiger Unterschied, der ihre Idee deutschlandweit einmalig macht: Die erwachsenen Chatmoderatoren sind keine ausgebildeten Trauerbegleiter, sondern junge Frauen und Männer, die selbst Erfahrungen mit dem Tod gemacht haben. Wobei sich in all den Jahren noch kein Mann bei Raisch und Kohler für das Ehrenamt gemeldet hat. Leider, findet Raisch, denn für die Jungen im Chat wäre der Austausch mit dem gleichen Geschlecht wertvoll.

„Unsere User sehen, dass irgendwo in Deutschland jemand sitzt, der diese schreckliche Zeit überstanden hat“, erzählt Gründahl, die bei ihrer Trauererfahrung 18 Jahre alt war. Jahrelang hat sie nicht über ihren Verlust gesprochen, wurde im Studium auf das Projekt aufmerksam, wollte es sich nur einmal anschauen und ist nun seit drei Jahren dabei.

User kommen oft mit konkreten Anliegen

Sie macht die Chatbegleitung eines Abends immer gemeinsam mit zwei anderen Ehrenamtlern im Team. Meist starten sie zu Beginn mit einer einleitenden Frage: Was bringt euch heute Abend hierher? Was ist heute dein Thema? „Oft kommen die User mit konkreten Anliegen. Zum Beispiel: Ich habe mich mit meiner Mutter gestritten, weil sie das Zimmer meines Bruders ausräumen will. Ich will das aber noch nicht.“

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Manchmal werden auch Entscheidungen wie ein Umzug oder eine Ausbildung diskutiert. Oft käme dann in den Gesprächen heraus, dass viele Krisen mit der Trauererfahrung zusammenhängen, erzählt Gründahl. „Eine Userin hatte Zweifel, ob sie in die Nähe ihres Onkels ziehen soll, obwohl sie dann weiter weg vom Friedhof lebt, wo ihre Mutter liegt.“ Häufig seien auch anstehende Jahrestage der Grund, warum sich User auch nach Monaten der Abwesenheit wieder einmal im Chat anmelden. Weil der Schmerz eben in Wellen kommt.

Der Trauer-Chat ist jeden Montag von 20 bis 22 Uhr offen. Das Team aus ehrenamtlichen Chatbegleiterinnen sucht immer Verstärkung durch Menschen zwischen 18 und 30 mit eigener Trauererfahrung.

Kontakt: Romy Kohler, Tel: 02271/45303, bergheim@hospiz-erft.dewww.doch-etwas-bleibt.de