Ein Forscherteam der Hochschule Fulda hat den Zusammenhang von verschlechterten Arbeitsbedingungen und Gewalt in Feldern der Sozialen Arbeit untersucht.
StudieGewalt in sozialen Einrichtungen nimmt zu
Im vergangenen Jahr wurden vermehrt Fälle von Gewalt durch Beschäftigte in Kitas, Einrichtungen der Behinderten-, Sucht- und Jugendhilfe sowie in der Sozialen Arbeit mit Migrantinnen und Migranten bekannt.
Ein Forscherteam der Hochschule Fulda hat das Thema kürzlich mit einer Studie, an der sich 8.200 Teilnehmende aus genannten Einrichtungen beteiligt haben, unter die Lupe genommen – unter der Fragestellung: Wie groß schätzen die Beschäftigten das Ausmaß an Gewalt ein? Und lassen sich Zusammenhänge mit den Arbeitsbedingungen herstellen? Das Ergebnis in Kürze: Die Arbeitsbedingungen müssen sich verändern, um Gewalt vorzubeugen.
Verschlechterte Arbeitsbedingungen fördern Gewalt
Die Studie untersucht, wie Beschäftigte aus verschiedenen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit psychische und physische Gewalt durch und gegen Adressaten und Adressatinnen vor und während der Corona-Pandemie wahrgenommen haben. Ein Fokus liegt dabei auf einem möglichen Zusammenhang zwischen sich verschlechternden Arbeitsbedingungen und Gewalt.
„Jeder Fall physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt oder entsprechender Mischformen steht im Widerspruch zum professionellen Grundverständnis der Sozialen Arbeit, das eine gewaltfreie, anerkennende und feinfühlige Arbeitsbeziehung vorsieht“, stellt Studienleiter Professor Nikolaus Meyer klar. Sowohl die Berufsgruppe selbst als auch die Öffentlichkeit seien gefordert, solche Fälle aufzuarbeiten.“
Zehn Prozent mehr körperliche Gewalt während der Pandemie
37,1 Prozent der Befragten berichten von psychischer Gewalt durch Beschäftigte vor Ausbruch der Pandemie. Damit ist unter anderem gemeint: Bevormunden, Niederbrüllen, Ignorieren, Drohen und Beschimpfen. Während der Pandemie stieg die Quote um elf Prozent auf 41,5 Prozent. Auch von physischer Gewalt berichten die Beschäftigten. In der Studie zählen hierzu unter anderem Schubsen, hartes Anpacken und Schütteln sowie schwere Formen wie Fixieren. Auch hier stiegen die Werte während der Pandemie an, und zwar deutlich um über zehn Prozent auf 24,7 Prozent.
Das Ausmaß an Gewalt ist der Studie zufolge in den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit unterschiedlich groß. Besonders häufig sind psychische wie physische Gewalt in der Behinderten- und Suchthilfe, in der Arbeit mit arbeitslosen Menschen, der Elementarbildung, der Kinder- und Jugendhilfe sowie in der Sozialen Arbeit mit Migrantinnen. Das zeigt: Betroffen sind besonders vulnerable, also verletzliche Gruppen.
Mehrere andere Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass die Arbeitsbelastung in der Sozialen Arbeit ist während der Corona-Pandemie deutlich gestiegen ist: Mehr Adressaten und Adressatinnen, komplexere Problemlagen, höherer Personalwechsel führten und führen dazu, dass immer mehr Beschäftigte am persönlichen Limit arbeiten. In der höheren Arbeitsmenge aufgrund fehlender Kollegen und Kolleginnen sehen die Beschäftigten eine der Hauptursachen für die Arbeitsverdichtung.
Mehrarbeit und keine Pausen fördern aggressives Verhalten
„Wir können durchaus Zusammenhänge zwischen dem Verzicht auf gesetzlich festgelegte Pausen und einer hohen Zahl an Konflikten beziehungsweise aggressivem Verhalten nachweisen“, sagt Meyer. Dieser Befund passt zu früheren Studien, die einen deutlichen Zusammenhang zwischen beruflichen Belastungen und der Zahl der Konflikte offenlegen. „Gewalt in Einrichtungen der Sozialen Arbeit ist aus dieser Perspektive das Ergebnis einer steigenden Zahl an Konflikten und einer sich hochschaukelnden aggressiven Stimmung, der dann von beiden Seiten Taten folgen“, sagt Meyer und stellt sich damit in eine Reihe mit Forschenden, die bereits auf Zusammenhänge zwischen gewaltförmigen Konstellationen in Einrichtungen der Sozialen Arbeit und hohen Belastungswerten aufgrund widriger Arbeitsbedingungen verwiesen haben. Meyer: „Worte stehen am Anfang von Gewaltakten. Der Fachkräftemangel stärkt Gewalt fördernde Mechanismen. Deshalb ist es wichtig, neben Schutzkonzepten auch die Arbeitsbedingungen in den Blick zu nehmen.“
Zehn Forderungen zur Prävention in der Sozialen Arbeit
Gemeinsam haben die Fuldaer Forschenden zehn Forderungen zur Prävention von Gewalt in der Sozialen Arbeit aufgestellt. Unter anderem plädieren sie für eine Bund-Länder-Konferenz, um Maßnahmen zur Behebung des Fachkräftemangels in der Sozialen Arbeit, insbesondere in Kindertageseinrichtungen, der Jugendhilfe und der Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigung, zu entwickeln. Meyer: „Wir wissen, dass eine kurzfristige Lösung unter Beibehaltung professioneller Qualitätsstandards kaum möglich ist. Dennoch sehen wir in der Gewinnung von fachfremdem Personal, wie es für die Kinder- und Jugendhilfe in einigen Bundesländern diskutiert wird, keine Lösung.“
Dass gewaltförmige Konstellationen oft auch das Resultat fehlender oder mangelnder pädagogischer Ausbildung seien, habe die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in „Kinderheimen“ gezeigt. Fachkräfte müssten für Gefahren sensibilisiert und durch berufsethische Regelungen an entsprechende Standards gebunden werden. Staatliche Stellen sehen die Forschenden ebenso in der Pflicht wie die Gesellschaft insgesamt: „Wir müssen uns über die Rolle und Bedeutung Sozialer Arbeit verständigen“, fordern sie. Denn die täglichen Dilemmata zwischen Personalmangel und der Verantwortung der Fachkräfte etwa für individuell am Kind orientierte Bildungsprozesse und den Kinderschutz seien kaum noch zu bearbeiten.
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