Auch Kölner Geschäfte in ExistenznotWie der Modehandel ums Überleben kämpft
- Der Modehandel steckt in der Krise. Verbraucher merken das aktuell vor allem in Form von Rabatten, doch die könnten die Lage des Handels noch verschlimmern.
- Es gibt große strukturelle Probleme im Textilhandel. Die Ware, die nicht verkauft werden konnte, hat stark an Wert verloren.
- Aufgrund der schweren Krise geht es auch bei vielen Kölner Geschäften ums Überleben.
Köln – Wenn man in Oliver Kehrls Marco-Polo-Store auf der Dürener Straße in Lindenthal tritt, deutet nichts darauf hin, wie schwer es der Textilhandel in diesen Tagen hat. Kleidung in Rosé-, Weiß- und Blautönen liegt in edel angeleuchteten Regalen. Ein Schild im Eingangsbereich bewirbt die neue Kollektion. Leinen laufe gerade besonders gut, erzählt Kehrl, die Trendfarbe Gelb habe etwas nachgelassen. Einzig die Masken, die die Gesichter von Kundinnen und Mitarbeiterin bis über die Nasenspitze verdecken, zeigen, dass gerade eben doch nicht alles so ist wie immer.
Kehrl hat in Köln und Umland insgesamt sieben Geschäfte mit 40 Mitarbeitern – durch die Schließungen im März und April hat er fast 20 Prozent seines üblichen Jahresumsatzes verloren. „Das geht unglaublich an die Liquidität“, sagt Kehrl, der für die CDU im NRW-Landtag sitzt. Er erzählt: von emotionalen Mitarbeiterbesprechungen, von Existenzängsten und zurückgezogenen Lastschriften – aber auch davon, wie schnell die Stammkunden wieder ins Geschäft zurückströmten, als die Türen wieder öffneten.
Branche in Existenznot
Die Corona-Pandemie stellt für die gesamte Wirtschaft eine kaum gekannte Herausforderung dar – der Textilhandel und die Industrie dahinter aber zählen zu denen, die sie besonders hart trifft. Das Virus und die damit verbundenen Geschäftsschließungen haben schon viele Branchengrößen in Existenznöte gebracht: Esprit hat sich mit mehreren deutschen Gesellschaften in ein Schutzschirmverfahren gerettet, die mildeste Form der Insolvenz.
Das Kölner Traditionshaus Appelrath Cüpper und das Hagener Unternehmen Sinn (ehemals Sinn Leffers) haben Insolvenz in Eigenverwaltung beantragt. Und die Gläubiger von Gerry Weber haben gerade erst vorübergehenden Teilstundungen ihrer Forderungen zugestimmt, um dem Unternehmen Luft zu verschaffen. Alle genannten Unternehmen haben ihren (Deutschland-)Sitz in NRW.
Die Probleme der Textilhändler haben vor allem auch strukturelle Gründe. Die Kollektionen werden schon Monate im Voraus bestellt, in der Regel gibt es keine Möglichkeit, sie später wieder zu stornieren. In der Krise liefen den Unternehmen die Lager voll mit Ware, die schon bezahlt war, aber nicht verkauft werden konnte. Als die Geschäfte wieder öffneten, war die Frühjahrssaison schon fast vorbei.
Übergangsjacken braucht jetzt keiner mehr
Übergangsjacken brauchte jetzt keiner mehr. Es ist das zweite große Problem der Händler: der Wertverlust von Kleidung im Saisonverlauf – und die großen Rabattschlachten, die hier wohl zugleich Ursache und Folge des Problems sind.„Es gibt keine andere Branche, die in der Krise Ware entgegennehmen musste, die immer weiter an Wert verliert“, sagt Axel Augustin, Sprecher des Handelsverbands Textil (BTE). Zumal durch die vollen Lager der Druck steigt, die alte Ware loszuwerden. „Wenn wir überleben wollen, dürfen wir die Sachen nicht verramschen. Wir hoffen, dass alle Beteiligten möglichst lange standhaft bleiben.“
Kehrl rechnet vor, wie sich die Kosten im einfachen Textilhandel in etwa verteilen: 50 Prozent des Umsatzes entfallen auf die Warenkosten, 10 bis 20 Prozent auf die Miete, 15 Prozent auf das Personal, hinzu kommen dann noch Verwaltungskosten. Am Ende bleibe eine Marge von einem bis fünf Prozent. Die hohen Fixkosten bei sinkenden Kundenströmen sind ein grundsätzliches Problem der Branche. Unternehmen wie Gerry Weber und Sinn sind nicht erst durch Corona in Schieflage geraten. Sie haben bereits in jüngster Vergangenheit Insolvenzverfahren durchlaufen müssen.
Für Kehrl ist das Geschäft wieder gut angelaufen. Stadtteile und Kleinstädte erlebten gerade eine Renaissance, sagt er. „Der Handel ist hier, wo man sich zu Hause fühlt, stärker angesprungen.“ Andernorts aber gibt es Probleme. In den Metropolen fehlen Touristen und Messebesucher, Pendler und Ausflügler.
Verlust höher als der Gewinn in einem guten Jahr
Beim Düsseldorfer Unternehmen Peek & Cloppenburg berichtet man, die Frequenz in den Häusern liege mittlerweile bei etwa 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Gerade an touristisch geprägten Standorten fehlten Kunden, kleine Häuser liefen etwas besser. Mit Blick auf ein Schutzschirmverfahren heißt es auf Anfrage, es sei wichtig, „alle Möglichkeiten und Alternativen im Auge zu behalten“: „Derzeit sind wir aber froh, dass wir die hohen Eintrittsvoraussetzungen für ein Schutzschirm- beziehungsweise Insolvenzverfahren nicht erfüllen.“ Dennoch rechnet man bei P&C wohl damit, dass der Verlust im Jahr 2020 vermutlich höher ausfallen wird als der Gewinn in einem guten Jahr.
Axel Augustin vom BTE glaubt, dass der Branche viele Insolvenzen erst noch bevorstehen. „Im Moment machen alle weiter, weil sie noch auf ihrer Ware sitzen.“ Kritisch werde es, wenn bald die Herbstware bezahlt werden müsse. „Bei den größeren Unternehmen werden wir Insolvenzen sehen. Filialisten werden unrentable Geschäfte schließen, es wird insgesamt weniger Läden geben.“ Die kleinen aber – die würden einfach verschwinden. Ein Insolvenzverfahren zu durchlaufen, das schließlich der Entschuldung dient, ergebe für sie keinen Sinn. „Wirklich sehen werden wir die Folgen erst im nächsten Jahr.“
Hoffnung auf eine Neustrukturierung
In der Branche hoffen sie derweil, dass die Corona-Krise einen kleinen positiven Nebeneffekt haben könnte: eine Neustrukturierung der schwierigen Saisonverläufe. „Eine Entzerrung der Verkaufszyklen würde etwas von dem allgemeinen Druck aus der Branche nehmen“, heißt es dazu von Peek& Cloppenburg. Dann könnte Ware länger auf der Fläche gezeigt und vorschnelle Rabattaktionen vermieden werden – weil nicht gleich wieder Nachschub aus dem Lager drängt.
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Auch Kehrl hofft auf einen ähnlichen Effekt. Es sei zu viel Ware im Markt, durch Textilangebote von Discountern, Shoppingcentern und Outlets zudem auf viel zu viel Fläche. Damit habe die Branche sich „selbst hingerichtet“. Man müsse die Begehrlichkeit der Ware wieder erhöhen. „Nur wenn Handel und Industrie zu einer klügeren Warensteuerung kommen, können alle Geld verdienen.“