Autorin Tijen Onaran„Menschen, die meine Arbeit infrage stellen, machen mich besser“
- Tijen Onaran, Gründerin von Global Digital Women, spricht im Interview über Vielfalt in Unternehmen und den Weg dahin, über alte weiße Männer und falschen Aktionismus.
Frau Onaran, müssen die alten weißen Männer raus aus den Führungsetagen?
Tijen Onaran: Sie müssen nicht raus. Aber sie müssen verstehen, dass sie Teil des Problems fehlender Diversität sind, aber auch Teil der Veränderung sein müssen. Wenn sie nicht verstehen, dass es bei Diversität immer auch um Machtabgabe, Machtteilung und Partizipation geht, wird sich nichts verändern. Und statistisch gesehen sitzen eben Männer, meistens weiß, an den Entscheidungshebeln.
Ohne Entscheidungsträger funktioniert der Weg zu Diversität für Unternehmen nicht?
Genau. Entscheider müssen als allererstes die Entscheidung treffen, dass sie Diversität in ihrem Unternehmen haben wollen und gestalten wollen. Besonders ihnen sollte auffallen, dass nur ein Geschlecht am Tisch sitzt, dass Menschen mit Migrationshintergrund und weitere Gruppen fehlen.
Was bedeutet Diversität in der Wirtschaft eigentlich: Dass auch Frauen Führungspositionen bekommen?
Das möchte man meinen. In Deutschland beschäftigen wir uns sehr leidenschaftlich mit einer Frauenquote und dem Gendern. Diversity umfasst aber viel mehr Dimensionen: Neben dem Geschlecht zum Beispiel auch die sexuelle Orientierung, das Alter, verschiedene Formen von Behinderungen und die ethnische und soziale Herkunft. Wer Vielfalt in seinem Unternehmen möchte, sorgt dafür, dass im besten Fall alle Dimensionen abgebildet sind. Diversity ist aber auch kein Status, der erreicht werden kann. Diversity ist etwas, das sich ständig verändert und das zu einer gesunden und nachhaltigen Unternehmenskultur beiträgt. Außerdem zählt Vielfalt auf den unternehmerischen Erfolg von Unternehmen ein.
Welche Erkenntnisse gibt es dazu?
Egal ob McKinsey, Boston Consulting, Accenture und viele andere, die sich mit dem Thema in Studien beschäftigt haben – sie alle kommen zu dem Schluss, dass Vielfalt in einem Kausalzusammenhang mit Erfolg steht. Zum Beispiel, dass es eine höhere Wahrscheinlichkeit auf bessere Renditen in Unternehmen gibt, wenn Frauen überdurchschnittlich häufig Führungspositionen besetzen.
Welchen Wert bieten diverse Teams über Zahlen hinaus?
Es ist ja immer wahnsinnig angenehm, mit Menschen am Tisch zu sitzen, die genauso aussehen, wie du selbst, die genauso ticken und denken wie du. Da kommt man immer sehr schnell zu einer Lösung. Wenn aber sehr unterschiedliche Menschen zusammenkommen, ist es wahnsinnig anstrengend, wenn ihre Meinungen aufeinandertreffen. Auf den zweiten Blick stellt man jedoch fest, dass die Lösungen, Produkte und Dienstleistungen von diversen Teams die besseren sind. Weil hier eine Meinungsvielfalt vorherrscht, die sich im Ergebnis widerspiegelt.
Vielen dürfte diese Meinungsvielfalt nicht geheuer sein.
Klar, weil sie dadurch auch mal Gegenwind bekommen. In der Wirtschaft herrscht ein Ähnlichkeitsprinzip: Der Thomas stellt einen anderen Thomas ein. Es ist total menschlich, dass wir gerne mit einer Person arbeiten, die eine ähnliche Meinung hat, mit der wir über die gleichen Dinge lachen, die eine ähnliche Sozialisation und auch Werte teilt. Anstrengend wird es, wenn der Mensch, der mir gegenübersitzt, eine komplett andere Haltung hat. Menschen, die mich selbst und die Art und Weise, wie ich arbeite, in Frage stellen, machen mich aber besser. Und darum geht es doch am Ende. Diversität hat auch eine soziale Komponente, aber es geht ja nicht nur darum, mal was Gutes für die Gesellschaft zu tun. Mehr Vielfalt führt zu mehr Innovation und mehr wirtschaftlichem Erfolg. Wer will das nicht?
Zur Person
Tijen Onaran, Jahrgang 1985, ist Gründerin von Global Digital Women, einem Beratungsunternehmen in Diversitätsfragen. Mit Global Digital Women unterstützt sie Konzerne und Mittelständler bei der Konzeption und Umsetzung von Events und berät sie in allen Fragen rund um Diversität, Inklusion und Gleichberechtigung.
Die gebürtige Karlsruherin Onaran hat den Digital Female Leader Award für weibliche Nachwuchs- und Führungskräfte ins Leben gerufen und ist Autorin der Sachbücher „Die Netzwerkbibel“ und „Nur wer sichtbar ist, findet auch statt“. (hge)
Das Logo Ihrer Diversity-Beratung ist eine Rakete. Ist der Weg eines Unternehmens zu mehr Vielfalt so anstrengend wie eine Mondfahrt?
Die Rakete haben wir gewählt, weil es einen zündenden Moment geben muss. Und zwar bei den Menschen, die in Machtpositionen sitzen. Die plötzlich sagen: Ich muss etwas verändern. Letzte Woche hat mich ein Mann angerufen, der ein mittelständisches Familienunternehmen führt. Der hat erzählt: „Wenn meine Tochter auf die Firmenwebsite geht, sieht sie nur Männer. Sie hat gesagt: Da möchte ich nicht arbeiten.“ Es sollte vielleicht nicht der Job der Töchter sein, ihre Väter darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig Vielfalt ist. Aber wenn es dazu führt, dass sich etwas verändert und nicht nur Aktionismus betrieben wird, ist es ein gutes Mittel zum Zweck.
Was meinen Sie mit Aktionismus?
Aktionen, die überhaupt nicht zielführend sind: Von oben diktierte Frauen-Netzwerke oder Frauenförderungsprogramme. Was für ein schreckliches Wort! Da wird dann geguckt, wie man die Frauen reparieren kann. Oder die Mitarbeitenden müssen sich selbst organisieren und sich damit zufriedengeben. Ihnen wird also vermeintlich großzügig erlaubt, ein LGBTQ+- oder ein Frauen-Netzwerk zu gründen, und da können sich die „Betroffenen“ dann zusammenfinden und miteinander reden. Was dabei nicht stattfindet, ist die Beschäftigung der Führungsriege mit dem Thema. Und dann scheitern Unternehmen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Nach welchen Kriterien suchen Sie selbst Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus?
Wir möchten immer eine möglichst große Meinungsvielfalt in unseren Teams erreichen und überlegen schon bei der Ausschreibung, welche Puzzle-Teile uns dafür fehlen. In meinem Team gab es zum Beispiel zuletzt kaum Männer, das haben wir jetzt geändert. Wir schauen dafür nicht nur auf Lebensläufe, sondern lassen unsere Bewerberinnen und Bewerber auch einen Persönlichkeitstest ausfüllen.
Und wenn der möglichst konträr zu Ihren Antworten ausfällt, wird die Person eingestellt?
Nein, so einfach ist das nicht. Aber es lohnt sich, bewusst Menschen einzusetzen, die mir überhaupt nicht ähnlich sind.
Was raten Sie Unternehmen, die diverser werden möchten, aber nicht wissen, wo sie anfangen sollen?
Am wichtigsten ist, Kapazitäten dafür freizusetzen. Irgendjemandem aus der Personalabteilung diese Aufgabe zusätzlich aufzudrücken, funktioniert nicht. Es muss Menschen geben, die sich fokussiert darum kümmern, den Status Quo zu erfassen, mit der Unternehmensführung Ziele zu formulieren und diese auch zu verfolgen. Klare, erreichbare Ziele sind wichtig.
Was entgegnen Sie Firmen, die beklagen, dass sie keine Frauen für bestimmte Positionen finden?
Ich bekomme jeden Tag bestimmt zwei oder drei solcher Anrufe, in denen das beklagt wird. Ich frage dann als erstes, wo die Stelle ausgeschrieben wurde. Die Antwort ist meistens: Auf Linkedin und den gängigen Jobportalen. Da liegt das Problem: Wer bestimmte Gruppen erreichen will, muss auch direkt in die Communities und Netzwerke, in denen Mitglieder der Gruppe unterwegs sind, und sie dort ansprechen. Das Spiel hat sich verändert. Du musst dahin, wo Diversität ist. Sie kommt nicht von allein in dein Unternehmen.