Bayers Glyphosat-Problem in den USAWie ein Milliarden-Vergleich aussehen könnte
Köln/Leverkusen – Nach einem Jahr zum Vergessen ist bei Bayer Ruhe eingekehrt. Der Leverkusener Pharma- und Agrochemiekonzern war Mitte 2019 an der Börse nur noch ungefähr so viel wert, wie der Konzern ein Jahr zuvor für den US-Saatgutriesen Monsanto bezahlt hatte: 63 Milliarden Dollar. Seitdem ist der Aktienkurs um mehr als 40 Prozent gestiegen, die rechtlichen Turbulenzen rund um das Monsanto-Pflanzengift Glyphosat in den USA bremsen die weitere Wertsteigerung aber noch.
Doch nicht nur an der Börse steht es wieder besser um die Leverkusener. Auch ihr Chef, Werner Baumann, sitzt wieder fest im Sattel. Auf der Jahreshauptversammlung 2019 schaffte er Historisches: Die Bayer-Aktionäre brandmarkten ihn im vergangenen April als den ersten amtierenden Dax-Chef, der nicht entlastet wurde. Die Anteilseigner wollten das als Warnung, als Schuss vor den Bug verstanden wissen, Baumann jedoch nicht entmachten.
Arbeitnehmervertreter und Aufsichtsrat stützten Werner Baumann
Arbeitnehmervertreter und auch der Aufsichtsrat um den Vorsitzenden und Baumann-Intimus Werner Wenning standen fest zum Bayer-Chef und dessen Strategie, die neben der Pharmasparte auf den Monsanto-Geschäften mit chemischem Pflanzenschutz, innovativem Saatgut und digitalen Feldanalysen fußt und sein Potenzial in den kommenden Jahren voll entfalten soll. Wenn denn der Sturm um Glyphosat irgendwann einmal zum Erliegen kommt.
Aber auch in dieser Causa wird wohl in den nächsten Wochen Ruhe einkehren. Die Einigung auf einen Vergleich mit Zehntausenden Klägern, die das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel für ihre Krebserkrankungen verantwortlich machen, steht kurz bevor. US-Anwalt Ken Feinberg, der mit der Mediation betraut ist, sagte kürzlich, er sei „verhalten optimistisch“, dass bald eine Lösung des Rechtsstreits erfolgen könne. Dass nun immer mehr geplante Glyphosat-Prozesse erst einmal auf Eis gelegt werden, deutet ebenfalls auf eine rasche Einigung hin. Von Bayer selbst heißt es dazu offiziell nur: „Bayer beteiligt sich konstruktiv am Mediationsprozess, es gibt derzeit jedoch keine umfassende Lösung. Es gibt auch keine Gewissheit oder einen Zeitplan für eine umfassende Lösung.“
Bayer kommentiert Spekulationen nicht
Spekulationen über die Höhe des Vergleichs – mal schwebten acht, mal zehn Milliarden Dollar im Raum – kommentiert Bayer überhaupt nicht. Umgerechnet müsste das Unternehmen demnach sieben bis neun Milliarden Euro zahlen. Trotz eines immensen Schuldenbergs von zuletzt fast 38 Milliarden Euro könnte der Dax-Konzern diese Summe wohl auch stemmen, wenn sie noch ein wenig höher ausfiele. Vermutlich könnte Bayer sie zudem über mehrere Jahre abstottern.
Egal wie ein Vergleich am Ende aussieht: Bayer wird das Risiko neuer Klagen nie komplett ausschließen können. Schließlich handelt es sich nicht um eine Massenklage mit vielen identisch gelagerten Sachverhalten. Es wird also auch keine Vergleichseinigung geben, die automatisch jene mitdenkt, die nach jahrzehntelanger Glyphosat-Nutzung erst noch erkranken und später Klagen einreichen. Die Zehntausenden Glyphosat-Klagen wurden zwar teilweise gemeinsam für die Verhandlung vorbereitet, müssen jedoch als individuelle Fälle betrachtet werden.
Gemeinsam haben viele der Kläger jedoch die Anwälte – viele kleinere Anwaltskanzleien haben ihre Fälle an spezialisierte und klageerfahrene Großkanzleien abgegeben. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ verhandelt Bayer mit eben jenen Kanzleien über einen Vergleich, die auch die meisten Fälle bei sich gesammelt haben. Es wäre üblich, wenn diese Sozietäten nach einem Vergleich darauf verzichten, neue Klagen einzureichen. Zukunftsfest wäre Bayers Einigung dann aber noch immer nicht, andere Kanzleien können schließlich immer wieder auf den Plan treten.
Führt Bayer Berufungsverfahren weiter?
Eine weitere Chance bestünde nach Ansicht von US-Rechtsexperten darin, einen Vergleich finanziell so unattraktiv zu gestalten, dass der Anreiz neuer Klagen verloren geht. Bei rund 234.000 Dollar, die jeder der zuletzt 42.700 Kläger bei einem Vergleich von zehn Milliarden Dollar rein theoretisch kassieren würde, erscheint diese Option nicht als wahrscheinlich. Darüber hinaus ist Bayer in einer schwachen Position, hat drei Prozesse in der ersten Instanz verloren und wurde zur Zahlung von insgesamt gut 170 Millionen Euro verurteilt. Ob Bayer die Berufungsverfahren hier weiterführt oder diese Teil eines Vergleichs wären, ist derzeit noch völlig unklar.
Zudem könnte sich Bayer vor neuen Klagen schützen, indem künftig eindeutige Warnungen vor Krebsgefahren auf die Verpackung Glyphosat-haltiger Produkte, allen voran Roundup, gedruckt werden. Fehlende Warnhinweise waren vor Gericht ein zentrales Argument gegen Bayer und Monsanto.Bayer wehrt sich jedoch gegen eine entsprechende Kennzeichnung seiner Produkte, auch weil der Konzern weiter die Sicherheit seiner Glyphosat-Mittel bei sachgerechter Anwendung betont. Rückenwind erhielten die Leverkusener erst vor zwei Wochen von der US-Umweltbehörde EPA, die das Pestizid weiterhin nicht als Gesundheitsrisiko für den Menschen betrachtet und Warnhinweise wohl gar nicht erst erlauben würde.
Bayer prüft Verkaufsstopp
Dass Bayer Glyphosat zum Eigenschutz einfach vom Markt nimmt, ist undenkbar, zu lukrativ ist das Mittel – insbesondere wenn es kombiniert mit Glyphosat-resistentem Saatgut verkauft wird. Mit Herbiziden machte Bayer 2018 einen Umsatz von rund 4,2 Milliarden Euro, ein großer Teil davon entfällt auf Glyphosat. Nach Informationen des „Handelsblatt“ prüft Bayer jedoch einen Stopp des Verkaufs an Privatpersonen, die ohnehin nur ein Zehntel des Geschäfts ausmachen, in den USA jedoch einen Großteil der Kläger darstellen. Die resultierenden Verluste wären wohl verkraftbar.
Auch dieser Schritt würde Bayer nicht vor Klagen von Menschen schützen, die das Mittel bereits jahrzehntelang benutzt haben. Sicher ist also nur, dass Bayer auch künftig einer rechtlichen Unsicherheit ausgesetzt sein wird.
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Nach der desaströsen Jahreshauptversammlung 2019 wird Werner Baumann darauf drängen, die Vergleichsverhandlungen noch vor dem erneuten Aktionärstreffen am 28. April abzuschließen. Gelingt den Bayer-Verhandlungsführern eine Einigung, die sich finanziell abfedern lässt, kann sich Baumann deutlich beruhigter vor die Aktionäre stellen als noch vergangenes Jahr.
Marc Tüngler, Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, hatte den Bayer-Chef auf der Jahreshauptversammlung 2019 noch stark kritisiert, jetzt hofft auch er auf einen Vergleich, sagte er mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Nach diesem Befreiungsschlag dürsten alle. Man kann Bayer nur wünschen, dass das Thema endlich vom Tisch ist.“