DeepL aus KölnGeheimnisvoll, Google überlegen – und in den Top 100 weltweit
Köln – „Klar, DeepL kenne ich“, sagt der Mann an der Bushaltestelle vor dem Maarweg-Center in Köln-Ehrenfeld. „Ich benutze die immer, die machen mir die Arbeit leichter.“ Er gebe etwa den deutschen Text für eine Bedienungsanleitung auf deepl.com ein. Und zack, ein paar Sekunden später habe er ein fast perfektes Ergebnis in einer anderen Sprache. Dass die Technologie im nüchternen Bürogebäude hinter ihm entwickelt wird? „Die sind hier? Echt?“
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Unsere besten Texte 2021 – dieser Text ist erstmals am 1. Oktober 2021 veröffentlicht worden.
Der Auftritt von DeepL im Kölner Stadtbild ist unscheinbar. Doch im Internet ist deepl.com ein Gigant. Die Übersetzungssoftware ist vielen Einschätzungen zufolge vergleichbaren Diensten von Tech-Konzernen wie Google überlegen. Millionen Menschen lassen sich von DeepL kostenlos Texte übersetzen. Geld verdienen die Kölner mit Firmenkunden, die den Dienst unbegrenzt nutzen wollen. In der Rangliste der meistgenutzten Websites weltweit ist deepl.com auf Rang 100 hochgeschnellt – und damit auf ähnlichem Niveau wie cnn.com.
So groß das Interesse der Internetnutzer an DeepL ist, so verschwiegen ist das Unternehmen – zumindest derzeit. Auf Veranstaltungen der Tech-Branche tauchen in den vergangenen Jahren weder der Geschäftsführer noch Mitarbeiter von DeepL auf. Das sei eine Art ungeschriebenes Gesetz der Firma, sagt ein Beschäftigter hinter vorgehaltener Hand.
„Anders als alle anderen Start-ups in Köln“
Ein Investor mit besten Kontakten in die Kölner Tech-Szene, sagt: „DeepL ist anders als alle anderen Start-ups in Köln. Sie sind etwa die einzigen, die nicht reagieren, wenn ich mal eine Frage habe und versuche, Kontakt aufzunehmen.” Als DeepL 2019 einen Ehrenpreis für Forschung an Künstlicher Intelligenz erhielt, reiste niemand aus dem Top-Management zur Preisverleihung.
Journalisten, die über DeepL berichten wollen, haben es derzeit schwer. Die Firma veröffentlicht zwar Pressemitteilungen zu Produktfortschritten. Doch die Kontaktaufnahme ist eine Herausforderung: Auf der Homepage steht eine Fax-Nummer, telefonisch erreicht man nur eine Bandansage, auf E-Mails wird nicht reagiert.
Vor einigen Jahren gab DeepL-Gründer und Geschäftsführer Jaroslaw Kutylowski Interviews. Dann hieß es in Texten über das Unternehmen: „Mehrere Gesprächsanfragen blieben unbeantwortet.“ Wichtiger Anteilseigner der Kölner ist der US-Fonds Benchmark Capital, der Ende 2018 bei DeepL einstieg. Wie viel die Amerikaner für 13,6 Prozent der Firma zahlten, ist: geheim.
Der Kölner Stadt-Anzeiger hat über Monate versucht, das Unternehmen zu kontaktieren. Kurz vor Veröffentlichung dieses Texts meldete sich Kutylowski unerwartet am Telefon und sagte ein Gespräch zu. Sein Fokus liege „voll auf der Produktentwicklung“, erklärt er dann beim Treffen in der Firmenzentrale.
Viele junge Unternehmen haben Phasen, in denen sie sich abkapseln, um sich ganz auf den Kern ihrer Arbeit konzentrieren zu können. Bei DeepL hat die Verschlossenheit damit zu tun, den eigenen technologischen Vorsprung halten zu können, bei Übersetzungen besser als Google zu sein. „Ich gehe davon aus, dass das so bleiben wird“, sagt der 38-Jährige selbstbewusst.
Für den weiteren Erfolg der Firma ist tatsächlich entscheidend: Wie gut ist die Technologie wirklich, wie leicht kann sie nachgeahmt werden?
Große Konzerne wie eben Google, aber auch Microsoft oder Baidu arbeiten auf demselben Gebiet. Nur wenn die Kölner wirklich überlegen bleiben, haben sie die Chance zum ganz großen Durchbruch. Von außen fällt es schwer, die Überlegenheit zu bewerten. Der Schweizer KI-Experte Samuel Läubli hält den Vorsprung der Kölner allenfalls für „minimal“. Kutylowski hält DeepL für überlegen, da der ausschließliche Fokus der Firma auf Übersetzungen liege.
Der Besuch am Maarweg-Center, einem etwas in die Jahre gekommenen Bürokomplex, zeigt in jedem Fall: DeepL wächst. „Jetzt neu! Unser Empfang befindet sich jetzt im zweiten Stock“, steht auf einem Zettel an einem der Eingänge. Denn mittlerweile belegt die Firma hier zwei Etagen.
Im veröffentlichten rudimentären Geschäftsbericht nannte DeepL 86 Beschäftigten im Jahresdurchschnitt 2020. Mittlerweile sei die Zahl von 200 Beschäftigten überschritten, sagt Kutylowski. Weitere 31 Stellenausschreibungen sind Anfang September auf der Homepage gelistet.
Eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter zu finden, der unter zugesicherter Anonymität über DeepL berichtet, ist schwer. Man wachse derzeit in irrem Tempo und es sei wirklich genial, dort zu arbeiten, berichtet einer. Mehr gibt er nicht preis.
Als Gewinn weist DeepL für das vergangene Jahr etwas mehr als 130.000 Euro aus, im Vorjahr waren es fast eine Millionen Euro. Doch die Zahlen spiegeln nicht zwangsläufig den wahren Wert der Firma wider. Der Gewinn könnte etwa durch Investitionen niedrig gehalten werden. Andere Kennzahlen wie Nutzungshäufigkeit und der Erfolg mit den mittlerweile angebotenen Abo-Modellen für umfangreiche Übersetzungsdienste sind ausschlaggebender. „Wir sind weiterhin profitabel“, sagt der CEO ohne genauer zu werden.
Fokus auf der Qualität des Produkts
„Die Zahlen, die ich gesehen habe, sind gut“, sagt ein Kenner der Szene der Unternehmensfinanzierer, der einem wichtigen DeepL-Investor nahesteht.
Die veröffentlichten Kurz-Geschäftsberichte lassen den Schluss zu, dass der jährliche Umsatz zuletzt im niedrigen zweistelligen Millionenbereich gelegen hat. Umsatz und auch Gewinn in die Höhe zu treiben, wäre für das Management leicht. Allein das Einblenden von Werbung auf der Website könnte die Einnahmen über Nacht angesichts der zig Millionen Aufrufe im Monat vervielfachen.
Klarer Schwerpunkt auf Technologie
Der eindeutige Fokus bei DeepL liegt auf der Qualität der Übersetzungen und der Leichtigkeit der Nutzung – auch wenn gleichzetig das Geschäft mit Firmenkunden forciert wird. In der Branche wird ein Fokus auf Forschung und Technologie geliebt. Unter Investoren und in der Kölner Tech-Szene wird schon lange orakelt, wie viel „Phantasie“ in DeepL steckt.
Der Begriff umschreibt, wie hoch der Firmenwert des Unternehmens beim Einstieg eines weiteren Investors oder einem Börsengang taxiert werden wird. Ob das Unternehmen eine Milliarde Dollar oder mehr wert sein könnte? Keiner der zahlreichen Gesprächspartner, die für diesen Text zu einer Einschätzung gebeten wurde, hält das für unrealistisch. Kutylowski sagt dazu: „Es ehrt uns, dass das für möglich gehalten wird.“
Auf dem Weg zum Milliarden-Unternehmen
DeepL hat gute Chancen, das erste Kölner Technologie-„Einhorn“ zu werden, wie Wachstumsunternehmen mit Milliardenbewertung genannt werden. Derzeit gibt es etwa 20 solcher Firmen in Deutschland – fast alle haben ihren Sitz in Berlin oder München.
Der Weg des Erfolgs begann im Jahr 2009 mit dem Start der Übersetzungswebsite Linguee. Seit 2017 ist die nächste Generation von Linguee am Start: DeepL. Die Website verblüfft schnell selbst erfahrene Übersetzerinnen und Übersetzer dank ihrer Qualität. Das Besondere: Die Kölner haben eine Software entwickelt, die selbständig die Qualität von bestehenden Übersetzungen im Netz bewerten kann und dadurch immer besser wird - das sogenannte Deep Learning (kurz: DeepL).
In Umfragen überzeugten die Texte gegenüber konkurrierenden Websites und die Firma begann ihre nächste Wachstumsphase, die von Kutylowski und dem US-Investor im Rücken mächtig vorangetrieben wird.
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Dennoch seien für die weitere Entwicklung von DeepL mehrere Szenarien möglich, sagt der Kölner Digitalunternehmer Tim Schumacher. Die Kölner verlieren das Rennen um die beste Übersetzungssoftware der Welt – und der Erfolg verpufft. Oder DeepL wachse selbst zum Konzern heran. Das sei die unwahrscheinlichste. Die naheliegendste Variante sei, dass ein Tech-Riese zuschlage und die Technologie kaufe.
„Ich denke über ein solches Szenario nicht nach“, sagt Kutylowski.
Et kütt wie et kütt, sagt der Kölner.
It comes as it comes, übersetzt DeepL.
(Mitarbeit: Thomas Riedel)
Unsere besten Texte 2021 – dieser Text ist erstmals am 1. Oktober 2021 veröffentlicht worden.