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Kommentar

Die Job-Kolumne
Mein Chef ist ein Kontrollfreak – was hilft?

Ein Kommentar von
Lesezeit 4 Minuten
Viele Menschen fühlen sich vom Chef oder der Chefin kontrolliert.

Viele Menschen fühlen sich vom Chef oder der Chefin kontrolliert.

Der Kölner Coach Sohrab Salimi erklärt in seiner Job-Kolumne „Von nichts kommt nichts“, warum Vertrauen besser ist als Kontrolle – und wie Vertrauen entsteht.

„Baba, dieses Screentime nervt total! Warum vertraust du mir nicht einfach?“ Es vergeht kein Tag, an dem mich mein Sohn nicht darauf anspricht, dass wir seine Zeit am Smartphone begrenzen.Warum wir ihm nicht vertrauen? Jedes Experiment, jeder Tag, an dem wir ihm keine Einschränkung gegeben haben, hat zu massivem Konsum geführt. In seinem Alter, mit seiner Reife, ist er noch nicht in der Lage, sich selbst zu beherrschen.

In der Arbeitswelt ist es nicht anders. Vertrauen, jeder fordert es ein, und jedem von uns fällt es schwer, es zu geben. Das Fehlen von Vertrauen führt zu Mickromanagement. Es erfordert ständige Meetings. Keiner ist gewillt, anderen die Entscheidung zu überlassen. Ohne Vertrauen kann kein Team wirklich hochperformant werden und kein Unternehmen wird nachhaltig erfolgreich. Jeder CEO - egal ob im DAX, im Silicon Valley oder im deutschen Mittelstand - predigt Vertrauen. Vertrauen ist schwer greifbar. Es wird zu wenig systematisch darüber nachgedacht und zu viel unkonkret darüber gesprochen. Dabei entsteht häufig der Eindruck, dass Vertrauen entweder existiert oder nicht. Null oder Eins. Schwarz oder Weiß.

Als Mediziner und Führungskraft gehe ich den Dingen auf den Grund – nicht nur die Symptome zählen, sondern die Ursache. Nur so können wir systematisch besser werden. Nachhaltiges Vertrauen muss kontinuierlich verdient werden. Verdient wird es durch Konsistenz zwischen dem, was man sagt, und dem, was man tut. Zwischen dem, was man plant und dem, was man liefert. Selbst das Urvertrauen von Kindern zu ihren Eltern basiert auf dieser Konsistenz.

In der deutschen Sprache gibt es diesen wunderbaren Begriff „Vertrauensvorschuss“. In keiner anderen Sprache ist mir dieser Begriff begegnet. „Vertrauensvorschuss“ beschreibt sehr schön, dass in jeder Beziehung initial ein gewisses Maß an Vertrauen notwendig ist, welches noch nicht verdient wurde.

Warum würde ich mich mit einer komplett fremden Person auf ein Date treffen? Warum würde ich mich bei einem Unternehmen initial bewerben? Warum würde ich meinen neuen Mitarbeiter aus dem Home Office arbeiten lassen? All diese Handlungen und noch viel mehr basieren auf Vertrauensvorschuss. Nun liebe ich diesen Begriff - und die deutsche Sprache grundsätzlich - aufgrund ihrer Präzision. Ein „Vorschuss“ ist eben nur ein Vorschuss. Der Begriff lautet nicht „Grundvertrauen“. Dieser „Vorschuss“ muss „zurückgezahlt“, oder anders ausgedrückt „verdient“ werden.

Wenn nun der eigene Chef ein Kontrollfreak ist, kann man sich die Frage stellen: Wie verdienen wir Vertrauen? Für mich gilt die einfache Regel: Konsistenz zwischen dem, was wir sagen, und dem, was wir tun. Zu viel versprechen und zu wenig liefern ist kein gutes Rezept. Das sehen wir übrigens auch bei all unseren Politikern.

Wenn mein Sohn sagt „ich höre nach einer Stunde auf“ und dies auch tut, dann wächst mein Vertrauen in ihn. Dieses Vertrauen bezieht sich dann auf diesen Sachverhalt, aber deswegen noch lange nicht auf unsere Finanzen. Genauso verhält es sich bei der Arbeit. Wenn man trotz eigener Bemühungen keine Veränderung beim Chef sieht, kann man diesen natürlich darauf ansprechen und ermutigen, einem etwas mehr Vertrauen entgegenzubringen.

Das mentale Modell dazu ist eine „Vertrauensbatterie“. Diese ist nicht 0% oder 100% - beide Zustände gibt es. Aber es gibt eben auch sehr viel dazwischen. Keine Beziehung kann ohne Vertrauensvorschuss starten. Die Batterie muss aber mit der Zeit geladen werden, so dass die Beziehung nachhaltig gedeihen kann. Vertrauensbildende Maßnahmen wie etwa Transparenz sind essentiell für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.

Wie bei allen Dingen im Leben: Von nichts kommt nichts.

Zur Person und zur Kolumne

Sohrab Salimi

Sohrab Salimi

Sohrab Salimi ist Gründer und CEO der Agile Academy. Er hat über 20 Jahre Berufserfahrung als Trainer für kleine bis sehr große Unternehmen. Sohrab Salimi lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Köln. Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ schreibt er in seiner Kolumne „Von nichts kommt nichts“ einmal im Monat über Fragen und Themen rund um die Arbeitswelt.