Digitale HauptversammlungKritik an Leverkusener Bayer-Konzern geht virtuell unter
Köln/Leverkusen – So turbulent Bayers Hauptversammlung im vergangenen Jahr war, so harmonisch ist sie am Dienstag abgelaufen. Das zwar zwangsweise so, schließlich wurde die Hauptversammlung wegen der Corona-Pandemie erstmals komplett virtuell durchgeführt: Vorstand, Aufsichtsrat und Notar saßen nicht vor mehreren Hundert Aktionären auf einer Bühne, sondern am Leverkusener Stammsitz vor Kameras. Die Fragen mussten vorab eingereicht werden, die Möglichkeit, als Fragesteller erst einmal der Unternehmensführung die Meinung zu sagen, fiel gleich ganz weg. Etwa ein Dutzend Aktivisten hatten sich vor der Unternehmenszentrale postiert, aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen selbstverständlich mit gebührendem Abstand zueinander.
Stiller Abschied für Wenning
Für Werner Wenning bedeuteten die Umstände einen äußerst stillen Abschied von Bayer. 1966 startete er seine Laufbahn im Konzern mit einer Ausbildung zum Industriekaufmann, er ging für die Leverkusener nach Südamerika, stieg später weiter auf und wurde 1997 in den Vorstand berufen. Fünf Jahre später übernahm er dessen Vorsitz bis 2010. Wiederum zwei Jahre später wurde Wenning Aufsichtsratsvorsitzender. Eigentlich habe er schon 2019 dieses Amt niederlegen wollen, ließ Wenning Ende Februar mitteilen, doch das Bayer-Urgestein blieb mit Blick „auf die damalige Lage der Gesellschaft“ im Amt.
Ein Abschied Wennings in dieser damaligen Lage – Zehntausende Glyphosat-Klagen in den USA, die ersten millionenschweren Schadenersatzurteile, die Aktie im Sinkflug, Bayer also schwer angeschlagen – hätte wohl ein fatales Zeichen gesendet. Zumal er bis zuletzt als wichtiger Rückhalt für Vorstandschef Werner Baumann galt. Ein Jahr später nun also keine Bühne, kein Applaus, nur Worte des Dankes vom Bayer-Chef und Betriebsratschef Oliver Zühlke. Und ein sichtlich gerührter Wenning. Auf ihn folgt Ex-PwC-Europachef Norbert Winkeljohann, der nun ankündigte, die eingeschlagene Strategie voll zu unterstützen.
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Tatsächlich befindet sich Bayer wieder in ruhigerem Fahrwasser. Rein operativ steht der Konzern gut da, ist trotz Corona-Krise stark ins Jahr gestartet. Und auch wenn eine Einigung beim Rechtskomplex Glyphosat weiterhin aussteht, sind die vom Vorstand nach der Nicht-Entlastung im vergangenen Jahr angestoßenen Veränderungen bei den Investoren positiv angekommen. So wurde die Rechts- und Agrarexpertise im Aufsichtsrat gestärkt, eine Nachhaltigkeitsstrategie aufgesetzt und die Verhandlung über einen finanziellen Vergleich mit den US-Klägern aufgenommen.
Die Entlastung des Vorstands war aufgrund dieser Signale am Dienstag nicht in Gefahr, statt nur 45 Prozent wie 2019 billigten knapp 93 Prozent der Aktionäre die Arbeit der Unternehmensführung.
Auch dem neuen Vergütungssystem stimmten sie zu. Darin wird unter anderem festgelegt, dass die langfristige Vergütung zu 20 Prozent an die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele gekoppelt ist.
Kritik geht unter
Bei aller Harmonie ging die durchaus vorhandene Kritik an Bayer, sonst ein integraler Bestandteil jeder Hauptversammlung, komplett unter. Ingo Speich von der Deka Fondsgesellschaft sagte im Vorfeld, „die Taktik, Bayer durch Monsanto krisenfester und stärker zu machen, ist bisher gescheitert“. Die Zeiten, in denen die Bayer-Aktie ein Stabilitätsgarant in Krisenzeiten gewesen sei, seien Geschichte. Einzig die Ungewissheit über die Rechtsverfahren wirke noch als Schutzschirm vor Übernahmen.
Auch dass Bayer die volle Dividende in Höhe von 2,80 Euro pro Aktie an die Anteilseigner ausschüttet, wurde im Vorfeld kritisch betrachtet: Während die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz diesen Schritt als Zeichen der Stärke wahrnahm, kritisierte Union Investment, dies sei nicht sinnvoll, solange nicht klar sei, wie teuer ein Glyphosat-Vergleich den Konzern zu stehen bekommt.