Bringen die neuen Schulden Deutschland voran oder nicht? Welche Reformen sind nötig? DIW-Chef Marcel Fratzscher hat eine klare Meinung.
DIW-Präsident„Wir müssen weit über 67 hinaus arbeiten“

Eine Rentnerin hält ihren Rentenbescheid in der Hand. DIW-Chef Marcel Fratzscher plädiert für eine längere Arbeitszeit.
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Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, begrüßt grundsätzlich das Milliarden-Paket für Verteidigung und Infrastruktur, das der Bundestag am Dienstag (18. März), beschlossen hat. Bei ntv sagte der Ökonom zum Vorwurf, der riesige Schuldenberg belaste junge Menschen: „Wenn die Koalition wirklich das Geld für zusätzliche Investitionen in Infrastruktur, in Bildung und Verteidigung nimmt, dann ist das gerade im Sinne künftiger Generationen.“
Beispiele hatte Fratzscher bereits in einem früheren Gespräch genannt: Eine bessere Schienen- oder Energie-Infrastruktur seien Investitionen in die Zukunft. „Wir Deutschen haben so ein bisschen eine Obsession mit Schulden“, so Fratzscher. Er warnt aber vor einer Zweckentfremdung der Milliarden, diese müssten für Investitionen genutzt werden, nicht für konsumptive Ausgaben.
Dafür müssten Union und SPD ihre Pläne aus den Sondierungsgesprächen aufgeben, appelliert der Ökonom. Das Erhöhen von Sozialausgaben und Steuersenkungen für Spitzenverdiener würden tatsächlich nicht im Sinne der Generationengerechtigkeit sein. Die sei ein Widerspruch. Ihre Wahlversprechen müssten Union und SPD daher jetzt „kassieren“. Fratzscher würde sich eine Kontrollinstanz für das Sondervermögen wünschen, das „am Bundestag vorbei“ ausgegeben werde.
Fratzscher: „Junge Menschen dürfen nicht für Mütterrente zahlen“
Die Forderung aus der Union nach einer Abschaffung des Bürgergeldes, um in diesem Bereich Einsparungen zu erzielen, nannte Fratzscher „Populismus pur“. Durch harte Sanktionen könne man vielleicht einen kleinen Betrag einsparen, aber „bei Weitem“ nicht die Summen, die notwendig wären. Da müsse man sich „ehrlich machen“.
Mittelfristig werde kein Weg an einer Steuer- und Rentenreform vorbeiführen. Es sei ein „dickes Brett, bei der Rentenreform zu sagen, ‚Menschen müssen länger arbeiten‘“, prophezeit der Ökonom. Junge Menschen dürften nicht für die Mütterrente zahlen, Menschen mit mittleren und geringen Einkommen müssten entlastet werden.
„Wir müssen weit über 67 hinaus arbeiten“, das sei bereits der Ampelregierung klar gewesen, so der DIW-Chef. Nur so könne eine Kostenexplosion bei der gesetzlichen Rente verhindert werden. Fratzscher weist vor allem darauf hin, dass das System flexibler gestaltet werden müsse. Nicht jeder könne so lange arbeiten, aber denjenigen, die dies wollten, sollte ein längerer Verbleib im Job ermöglicht werden. Hier könne man kluge Anreize setzen.
Seit 2012 wird in Deutschland das Renteneintrittsalter von 65 Jahren schrittweise auf 67 Jahre angehoben. 2029 ist die komplette Anhebung vollzogen. Wer 1964 geboren wurde, kann nach der gesetzlichen Regelung erst mit 67 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen.
Fratzscher: Grüne haben „Bargeschenke“ verhindert
Einige Tage zuvor hatte Fratzscher bereits die Rolle der Grünen gelobt, die diese in den Verhandlungen mit Union und SPD eingenommen hatten. „Das, was hier entschieden wurde, ist eigentlich kein Zugeständnis an die Grünen, sondern ein Zugeständnis an die Vernunft und den gesunden Menschenverstand“, meinte Fratzscher. Er betonte, wie wichtig es sei, dass das Sondervermögen für die Investitionen nur für „zusätzliche“ Ausgaben bestimmt sei, wie es erst auf Druck der Grünen festgelegt wurde. Sonst hätten „Bargeschenke“ gedroht, wie sie in den Sondierungen zwischen Union und SPD geplant worden waren.
Zum Thema Klimaschutz, den die Grünen ebenfalls in das Paket hineinverhandelt hatten, sagte der Ökonom: „Sie werden keine wirtschaftliche Transformation in Deutschland haben, wir werden nicht wieder wettbewerbsfähig werden ohne eine grüne Transformation, ohne mehr Investitionen in Klimaschutz und grüne Technologie“.
Die Grünen hätten sich „großmütig erwiesen“, die Union hätte es vermutlich anders gemacht, spekulierte Fratzscher zum ausgehandelten Kompromiss. Insgesamt sei dies ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung. Eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse sei aber unabdingbar, um mehr Investitionen zu ermöglichen.