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„Das war ein Fremdwort“Wie Fairtrade vom Ein-Mann-Verein zum Milliarden-Siegel wurde

Lesezeit 5 Minuten

Fairtrade-Chef Dieter Overath auf dem Dach des neuen Büros am Maarweg

Köln – Der Tag, der zum ersten großen Erfolgsmoment des Fairtrade-Siegels führte, war einer, den die großen Handelsketten in den 90er-Jahren wohl kaum auf dem Zettel gehabt haben dürften: der Weltgebetstag der Frauen.

Am ersten Freitag des März 1993 strömten der Legende nach etliche Frauen in die Supermärkte ihrer Wahl und erkundigten sich dort nach fair gehandeltem Kaffee. „Wenn zehn Frauen mit der gleichen Anfrage in den Markt kommen, schütteln die Filialleiter zwar den Kopf“, sagt Fairtrade-Deutschland-Geschäftsführer Dieter Overath. „Aber sie rufen trotzdem ihre Gebietsleiter an.“ Nur kurze Zeit später nahm Rewe als erster deutscher Supermarkt einen Fairtrade-Kaffee ins Sortiment auf. „Damit hatten wir den Fuß in der Tür.“

Tchibo rief einst die Polizei

Dieter Overath steht seit Tag eins an der Spitze von Fairtrade Deutschland, dem Verein, der am 10. Juni 1992 aus der „AG Kleinbauernkaffee“ hervorging. Der 67-Jährige kann viel erzählen aus der Zeit, in der die Arbeit zu einem Großteil darin bestand, dorthin zu gehen, wo man unerwünscht war. Von Exoten-Auftritten auf der Lebensmittelmesse Anuga, bei denen die Kölner Schauspielgröße Willy Millowitsch Unterstützung leistete. Von fliegenden Bananen über dem Dom und dem einen Mal, als Tchibo die Polizei rief, weil man vor der Unternehmenszentrale Postkarten von Kleinbauern verteilen wollte. „Damals gab es noch keine CSR-Beauftragten in Unternehmen. Corporate Social Responsibility war ein Fremdwort“, sagt Overath. „Heute würde so etwas nicht mehr passieren.“

Die Protestaktion vor der Tchibo-Zentrale im Jahr 1996. Ganz rechts: Dieter Overath

Die Zeiten haben sich verändert. Overath sitzt in einem Besprechungsraum des neuen Vereinssitzes in Ehrenfeld, hinter ihm eine Wand voller Fairtrade-Produkte großer Lizenznehmer. Auch Tchibo ist darunter – heute einer der wichtigsten Partner. 2021 wurden in Deutschland Fairtrade-Produkte im Wert von 2,1 Milliarden Euro verkauft.

Faire Produkte gab es nur im Weltladen

In den 90er-Jahren folgte der Handel allerdings noch anderen Gesetzen. Kaffee und Bananen waren Eckpreisprodukte, die Konsumenten schauten streng auf den Preis. „Das waren keine guten Startbedingungen“, sagt Overath. „Ich bin selbst in einer Familie aufgewachsen, in der meine Mutter durch halb Mülheim gefahren ist, wenn die Krönung im Angebot war.“

Auf der Anuga kam 1993 unter anderem Willy Millowitsch (2.v.r.) zur Unterstützung

Faire Produkte gab es damals ausschließlich in Weltläden zu kaufen. Das Fairtrade-Siegel war der erste Versuch, in Deutschlands Supermärkte vorzudringen. Der Verein, der damals noch Transfair hieß, entwickelte die Lizenz- und Siegelstruktur nach niederländischem Vorbild. Kleinbauern, Plantagen und Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette müssen dabei vordefinierte Standards einhalten, um das Siegel zu erhalten. Bauern bekommen beispielsweise einen festen Mindestpreis für ihre Ware.

Viele Jahre in Köln-Sülz

Für das erste Jahr bekam Geschäftsführer Overath 100.000 Euro Budget, zunächst arbeitete er als One-Man-Show aus seinem Wohnzimmer in Köln-Sülz. Erst nach und nach wurden weitere Stellen bewilligt, man zog um, in ein Büro des Arbeiter-Samariter-Bundes, dann in die ehemalige Polizeiwache in der Sülzer Remigiusstraße. Dort blieb Fairtrade mehr als 20 Jahre – bis erneut der Platz ausging. Vergangenes Jahr folgte der Umzug an den Maarweg. 92 Köpfe arbeiten dort mittlerweile.

Zur Person

Dieter Overath (67), wuchs als Sohn eines Briefträgers in der Bruder-Klaus-Siedlung in Köln-Mülheim auf. Er machte zunächst einen Hauptschulabschluss, ging später an eine Abendschule und studierte auf dem zweiten Bildungsweg BWL. Danach war er unter anderem langjähriger Teil des Vorstands von Amnesty-International. Fairtrade habe es ihm erlaubt, sein „Menschenrechtsherz und kaufmännisches Hirn“ zu kombinieren. Bekannt ist Dieter Overath außerdem dafür, dass er einst seinen Wehrpass an die Tür des Kölner Doms nagelte – als Protest gegen den Nato-Doppelbeschluss. (elb)

Seit 1997 gibt es außerdem die internationale Dachorganisation Fairtrade International in Bonn, in der 25 nationale Fairtrade-Organisationen und drei Produzentennetzwerke aus dem Globalen Süden zusammengeschlossen sind. Bekanntheit und Umsätze sind stark gestiegen – auch, weil Einzelhändler wie Rewe, Lidl und Aldi bei ihren Eigenmarken zunehmend auf das Fairtrade-Siegel setzen. Nun, mit dem 30-jährigen Jubiläum, das auch seines ist, verabschiedet sich Dieter Overath Ende des Monats in den Ruhestand. Dann übernimmt sein Vorstandskollegium: Claudia Brück, Katja Carson und Detlev Grimmelt.

Jubiläum steht bevor

Am Maarweg informiert er an einem Dienstagmittag gemeinsam mit Claudia Brück über die Details der bevorstehenden Jubiläumsveranstaltungen. Die beiden sitzen in einem Pausenraum, der die unverkennbare Handschrift moderner Arbeitswelten trägt: eine große Sitztreppe, darauf Kissen in den Fairtrade-Farben. An der Wand zeigen Uhren die Zeit für Köln, El Salvador, Nairobi und Singapur. Vor Overath und Brück steht ein aufgeklappter Laptop mit laufender Videoschalte, hinter ihnen drapiert Schokoosterhase und Weihnachtsstern. „Wir dekorieren immer antizyklisch“, sagt Overath. Im Videocall erzählt vom Treffen mit der neuen Geschäftsführerin von Fairtrade International; wie sie sich in Deutschland live die „berühmten Bananen-Kämpfe“ ansehen konnte.

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Dieter Overath und Claudia Brück

„Wir haben kein Menschenrecht darauf, Bananen für unter einen Euro das Kilo zu kaufen“. Das ist einer dieser Sätze, die Overath häufig sagt. Die Bananen sind ein wunder Punkt, ein Symbol für Rückschläge, weil die Preisschlachten im Handel hier noch immer besonders heftig toben. Auch die schleppende Entwicklung bei fairen Textilien schmerzt den 67-Jährigen, noch immer erreichen sie weniger als einen Prozent Marktanteil.

Optimistisch für die Zukunft

Trotzdem glaubt Overath an die neue Generation, an Menschen wie seine Töchter, die sich vegan ernähren und ihn zum Gendern auffordern. Die sich – anders als in den 90er-Jahren – nicht von steigenden Preisen abschrecken ließen. Und er blickt nach vorn, auch wenn er selbst bald nicht mehr am Steuer sitzt. Das Schwerpunktthema 2023 sei Klimagerechtigkeit, sagt er im Teammeeting. „Klimaresilienz kann nur über zusätzliche Ressource für den globalen Süden erreicht werden“, sagt er. „Dem Kaffee wird es heiß.“

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Was er selbst tun wird, wenn die neuen Kampagnen anlaufen? Vielleicht Theaterspielen. Das tut Overath schon lange. Dort mime er meist die Bösewichte, erzählt er. Zuletzt zum Beispiel einen Kakaofabrikanten, der billig einkaufen will.