Folgen für VerbraucherJetzt drohen Gasmangel und Inflation
Köln – Die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine sind nicht nur abstrakter Natur. Vieles deutet darauf hin, dass auch deutsche Verbraucher sie unmittelbar zu spüren bekommen – sei es durch die Sanktionen des Westens mit ihren Wechselwirkungen für das Inland, oder durch unmittelbare Aktionen Russlands. Ein Überblick über die Folgen für Energiekunden und Sparer.
Wird Russland dem Westen den Gashahn zudrehen?
Viele Akteure fürchten, dass Russland als Reaktion auf die westlichen Sanktionen Deutschland und anderen europäischen Ländern den Gashahn zudreht. Deutschlands bezieht etwa 55 Prozent seines Erdgases aus Russland, in Europa liegt die Quote bei 47 Prozent. In den vergangenen 50 Jahren, auch im Kalten Krieg, ist Russland diesen Schritt nie gegangen und hat vertragstreu Gas geliefert. Auch, weil das Riesenreich auf die gigantischen Einnahmen aus den Gasgeschäften angewiesen ist. „Ein rational ökonomisch agierendes Russland hätte nicht den Hauch eines Interesses, es so weit kommen zu lassen. Die Aktionen Putins der letzten Tage lassen aber erkennen, dass eine ökonomische Rationalität im Handeln nicht automatisch unterstellt werden kann“, sagt Carsten Klude, Chefvolkswirt der Warburg-Bank. Die Wahrscheinlichkeit eines temporären Lieferstopps schätzt er bei zehn Prozent ein. „Angesichts vieler stillgelegter Kern- und Kohlekraftwerke in Deutschland und sehr vieler in Wartung befindlicher Kernkraftwerke in Frankreich führt ein Ausfall des Hauptgaslieferanten zu einer großen Versorgungsunsicherheit bei Strom“, so Klude weiter. Und außerdem: „Sollten die Pipelines in der Ukraine im Rahmen von Kampfhandlungen beschädigt oder absichtlich zerstört werden, gäbe es ein ernsthaftes Versorgungsproblem in Deutschland und Europa“, sagt der Chefvolkswirt.
Bleiben deshalb bald die Heizungen kalt?
Trotz dieser Szenarien werden die Verbraucher wohl nicht frieren müssen. Die Gasspeicher in Deutschland sind mit 30 Prozent aktuell so leer wie seit Jahren nicht in einer Heizperiode. Aber: „Die Füllstände der Gasspeicher sind hinreichend, um über den Winter und bis zum Sommer zu kommen und es gibt keinen akuten Mangel“, sagte NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) diese Woche dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Das hatte auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei seinem Besuch in Düsseldorf bestätigt. Sollte es dennoch knapp werden mit dem Gas, würden nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) erst Industrie-Kunden mit entsprechenden Verträgen vom Netz genommen, um die Nachfrage zu drosseln. Haushaltskunden und etwa Krankenhäuser seien laut BDEW gesetzlich besonders geschützt.
Werden die Energiepreise nun weiter steigen?
Davon ist auszugehen, schätzt Udo Sieverding, Energieexperte der Verbraucherzentrale NRW. Die ohnehin seit Oktober schwierige Situation, habe sich durch den Angriff weiter verschärft. Dass man über den Winter komme, sieht auch Sieverding als sicher an. „Allerdings werden wir wohl im Sommer russisches Gas zu sehr hohen Preisen kaufen müssen“, sagt der Energieexperte. In welcher Größenordnung der Preis dann aber liege, lasse sich derzeit noch nicht abschätzen. Auch bei Öl, dass am Donnerstag die Grenze von 100 Dollar je Fass überschritten hatte, bleibe die Lage angespannt. Mit Blick auf den Strompreis sagte Sieverding, dass der Markt ja ein Stück weit von den geopolitischen Ereignissen entkoppelt sei, aber auch hier sei das Preisniveau insgesamt bereits sehr hoch. „Die Lehre aus der Situation muss mehr Tempo bei der Energiewende sein“, fordert der Verbraucherschützer.„Die kleinteiligen Debatten über Netzausbau, Trassenverlegung oder Streit über den Bau neuer Windkraftanlagen müssten enden. „Wir sehen gerade deutlich, dass wir aus Sicherheitsgründen mehr Unabhängigkeit brauchen. Da sollte es jetzt mehr Zusammenhalt geben“, sagt Sieverding.
Welche Auswirkungen hat das auf die Inflation?
Sie wird durch den Anstieg der Energiepreise weiter steigen. Die Inflation in Deutschland und im Euroraum wird bereits seit geraumer Zeit von deutlich gestiegenen Energiepreisen im Zuge der weltweiten Konjunkturerholung angeheizt. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine stiegen die Rohstoffpreise weiter: Auch andere Rohstoffe wie Weizen verteuerten sich auf dem Weltmarkt. Bereits im Januar legten die Preise für nach Deutschland eingeführte Güter so kräftig zu wie seit Oktober 1974 in Zeiten der Ölpreiskrise nicht mehr: Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes lagen die Importpreise um 26,9 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats.
Steigende Rohstoffpreise landen letztlich in der Regel bei den Verbrauchern, weil Produzenten höhere Einkaufspreise ganz oder teilweise weitergeben. „Die Inflationsrate wird wohl zumindest kurzfristig noch weiter ansteigen, vor allem über eine weiter steigende Energierechnung für die Verbraucher“, sagte DZ-Bank-Chefvolkswirt Michael Holstein. „Das schwächt deren Kaufkraft und tendenziell die Nachfrage von Haushalten nach anderen Gütern und erhöht die Kosten auch für die Unternehmen.“ Ifo-Konjunkturexperte Timo Wollmershäuser prognostizierte am Freitag: „Eine Fünf vor dem Komma der Inflationsrate im Gesamtjahr 2022 wird gerade wahrscheinlicher als eine Drei.“
Wie kann der deutsche Staat Bürger entlasten?
Als Reaktion auf gestiegene Energiepreise hat die Regierungskoalition ein Entlastungspaket beschlossen. So sollen Bürger von Juli an keine Ökostrom-Umlage mehr zahlen. Für Pendler ist ab dem 21. Kilometer eine höhere Pauschale von 38 Cent rückwirkend zum Jahresbeginn vorgesehen. Ob die Maßnahmen ausreichen, ist offen.
Was bedeutet die Inflation für Sparguthaben?
Für Sparer sind steigende Teuerungsraten bitter. Nach Berechnungen der zur Commerzbank gehörenden Comdirect verloren Sparer in Deutschland im vergangenen Jahr in Summe 80 Milliarden Euro wegen niedrig verzinster Einlagen. Allein im vierten Quartal 2021 lag der Realzins – also der Zins für Spareinlagen nach Abzug der Teuerungsrate – auf dem Rekordtief von minus 4,93 Prozent. Auf der Suche nach besser verzinsten Alternativen sollten sich Anleger allerdings nicht von außergewöhnlich hohen Gewinnversprechen blenden lassen. Oft stecke Betrug dahinter, warnt die Finanzaufsicht Bafin: „Das „sichere, schnelle Geld“ gibt es nicht“. Investments in Kryptowerte wie Bitcoin, Ether und Co. seien hoch spekulativ und ebenso riskant. Es drohe möglicherweise der Totalverlust des eingesetzten Geldes, warnt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin).
Wie haben sich in der Vergangenheit Krisen auf die Börsen ausgewirkt?
Die Aktienmärkte rund um den Globus gingen nach dem Angriff auf die Ukraine auf Talfahrt. „Die schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden. Es herrscht Krieg in Europa“, sagte Portfolio-Manager Thomas Altmann von QC Partners. Eine oft zitierte Börsenweisheit lautet allerdings: „Politische Börsen haben kurze Beine“. Will sagen: Die Politik vermag es nicht, die Kapitalmärkte dauerhaft in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen. Am Freitag erholte sich der deutsche Aktienmarkt deutlich. Stützend wirkten die US-Börsen, die am Vortag zwar zunächst ebenfalls abgesackt waren, dann aber den Weg in die Gewinnzone fanden und knapp unter Tageshoch schlossen.
„Politische Krisen wirken sich in aller Regel belastend auf die Börsen aus. Wie stark und wie lange, hängt vom Verlauf der jeweiligen Krise ab“, sagt die Chefin des Deutschen Aktieninstituts, Christine Bortenlänger. Das Aktieninstitut weist immer wieder auf historische Daten hin, wonach sich langer Atem beim Investment in Aktien in der Regel auszahle.
Wie sicher ist Gold in Krisenzeiten?
Das Edelmetall gilt vielen Anlegern als sicherer Hafen in turbulenten Zeiten. Es verliert trotz Preisschwankungen seinen Wert nie ganz. Der Nachteil: Für Gold gibt es weder Zinsen noch Dividenden. Die Rendite lässt sich letztlich nur aus einem steigenden Goldpreis erzielen.
Welche Auswirkungen hat der Konflikt auf den Spritpreis?
Laut Sonderauswertung des ADAC mussten Autofahrer aktuell für einen Liter Super E10 im Mittel 1,757 Euro bezahlen, das sind 1,6 Cent mehr als bei der turnusmäßigen Erhebung am Dienstag, Diesel kostete durchschnittlich 1,670 Euro je Liter und hat sich damit innerhalb von zwei Tagen um 1,5 Cent verteuert. Beide Kraftstoffsorten klettern damit auf neue Allzeithochs.
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Die bisherigen Höchstmarken, die am 15. Februar ermittelt wurden, werden bei Super E10 um 1,2 Cent und bei Diesel um 0,8 Cent je Liter überschritten. Angesichts des Ukraine-Kriegs könnten die Spritpreise weiter deutlich zulegen.