Köln/Düsseldorf – In NRW breitet sich die Sorge aus, Russland könnte das Land nicht mehr ausreichend mit Erdgas versorgen. NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) fordert daher, nach alternativen Energielieferanten zu suchen. „Wir bereiten uns jetzt auf den nächsten Winter vor, indem wir zum Beispiel andere Lieferländer wie Norwegen und die Niederlande stärker nutzen wollen“, sagte Pinkwart dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Aktuell habe er keine Sorge um die Versorgungssicherheit. „Die Füllstände der Gasspeicher sind hinreichend, um über den Winter und bis zum Sommer zu kommen, und es gibt keinen akuten Mangel“, so der Minister. Gleichzeitig fordert er aber: „Wir müssen die Speicher eher füllen, das hätte man bereits im vergangenen Jahr tun müssen“. Deshalb habe NRW dem Bundesrat eine nationale Gasreserve vorgeschlagen. „Zudem müssen wir den Ausbau der Erneuerbaren, der Speicher und der Wasserstoffwirtschaft weiter beschleunigen, um unabhängiger von fossilen Energieträgern zu werden“, sagte Pinkwart.
Versorgung kurzfristig gesichert
„Kurzfristig ist die Versorgung in Deutschland also gesichert, dazu werden auch die Bündnispartner beitragen“, so Pinkwart. Deshalb seien die starken Preis-Ausschläge an den Märkten für Öl und Gas sehr spekulativ. „Im Übrigen kann ich nicht glauben, dass Russland die Lieferungen runterfährt, denn dies würde die russische Wirtschaft weitaus härter treffen als die europäische, das zeigt auch eine Studie des IfW“, so der Minister.
Für die Verbraucher fordert er die „schnelle Abschaffung der EEG-Umlage, die kleine Einkommen, mittelständische Industrie und Handwerk bereits seit Jahren massiv trifft. Ihr Wegfall ab Sommer 2022 würde die NRW-Wirtschaft und Verbraucher gegenüber 2021 um circa vier bis fünf Milliarden Euro jährlich entlasten.“
Opposition glaubt nicht an Holland-Gas
Die Opposition sieht die Chancen auf niederländisches Gas kritisch. Thomas Kutschaty, Chef der SPD-Fraktion im Landtag, erklärte, NRW befinde sich in einer „Zwickmühle“: „Auf der einen Seite wollen die Niederlande die Gasförderung wegen zunehmender Erdbeben bald stoppen, auf der anderen Seite bezieht Deutschland mehr als die Hälfte seiner Erdgasimporte aus Russland. Aus dieser Zange müssen wir uns befreien. Die beste Lösung dafür ist eine schnelle Umsetzung des europäischen Green Deal und damit verbunden der massive Ausbau der Erneuerbaren Energien“, sagte Kutschaty. Mit jedem Windrad und mit jeder Photovoltaik-Anlage könne NRW ein Stück weit unabhängiger in der Energieversorgung werden. „Deshalb brauchen wir jetzt umgehend einen Energiegipfel, bei dem alle relevanten Akteure aus Politik und Wirtschaft an einen Tisch kommen und auf dieses gemeinsame Ziel hinarbeiten“, so Kutschaty. Schwarz-Gelb habe hier zu lange auf der Bremse gestanden und die „Hausaufgaben nicht gemacht“. „Eine neue Landesregierung wird diese Bremse lösen", kündigte Kutschaty an.
Grüne fordern Ausbau der Erneuerbaren
Mona Neubaur Spitzenkandidatin der NRW-Grünen, sagte, die Lage mache deutlich, dass nur eine weitreichende Energieunabhängigkeit mehr Sicherheit bieten könne. Die sei nur über einen massiven Ausbau der Erneuerbaren zu erreichen. „Da dies aber nur mittel- bis langfristig geschehen kann, muss bis dahin eine Diversifizierung bei den Energieimporten vorangetrieben werden. Die Landesregierung müsse jetzt „umgehend prüfen“, mit welchen Maßnahmen der Anteil russischen Gases verringert werden könne. „Letztlich muss Hendrik Wüst aber die Frage beantworten, wie er Nordrhein-Westfalen langfristig unabhängiger von fossilen Energieträgern machen will. Die schwarz-gelbe Blockadepolitik bei den Erneuerbaren, die auch er zu verantworten hat, hat viel Zeit gekostet“, sagte Neubaur.
Laut dem „Statistic Review of World Energy" des Energiekonzerns BP hat Deutschland zuletzt gut die Hälfte seiner Erdgasimporte aus Russland bezogen (51 Prozent). Die weiteren Hauptlieferanten für Erdgas sind Norwegen (27 Prozent) und die Niederlande (21 Prozent). Innerhalb der Europäischen Union ist Deutschland mit 55,6 Milliarden Kubikmetern der größte Importeur von Erdgas aus Russland.
Noch nie habe Russland Gas oder Öl als politisches Instrument eingesetzt, um damit andere Länder zu erpressen oder Interessen durchzusetzen, sagen dem Land wohlgesinnte Energiekonzerne und Politiker. Im Streit um die Ukraine drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass Kreml-Chef Wladimir Putin diese Strategie seiner Vorgänger über Bord geworfen hat. Tatsächlich ist der größte Gasspeicher des regierungsnahen russischen Gazprom-Konzerns in Westeuropa im niedersächsischen Rehden mit einem Füllstand von nur noch sechs Prozent praktisch leer. Andere Speicher sind gerade einmal zu 13 Prozent gefüllt – das ist ein historischer Tiefstand im noch nicht zu Ende gegangenen Winter.
Kölner Gas kommt aus den Niederlanden
Gesetzt den Fall, Russland würde das Gas drosseln, haben Gaskunden im Rheinland derzeit noch Glück. Aktuell kommt das meiste Gas in der Region aus den Niederlanden. Es ist sogenanntes L-Gas mit niedrigerem Brennwert. Allerdings stellt die Rheinische Netzgesellschaft sukzessive auf russisches und norwegisches H-Gas um. Von Dormagen bis Erftstadt, von Pulheim bis Reichshof, also in und um Köln ist die Rheinische Netzgesellschaft (eine Tochter der Rhein-Energie) der Gasnetzbetreiber. Die Umstellung verläuft sukzessive von Ost nach West, hat 2018 begonnen und soll erst 2030 abgeschlossen sein.
Im Bergischen hat die Umstellung teilweise schon stattgefunden, im Kölner Stadtgebiet noch nicht. Erdgasnutzer in den Kölner Stadtbezirken Innenstadt, Lindenthal und Rodenkirchen sowie in Porz, Kalk und Mülheim werden als nächstes umgestellt.
Niederlande stoppen Erdgas-Förderung
Die Chancen, russisches Gas durch solches aus den Niederlanden zu ersetzen, stehen derzeit denkbar schlecht. Die Niederlande sind der größte Erdgasproduzent und -lieferant der EU. Bis spätestens 2030 will das Land jedoch aus der Erdgasförderung aussteigen und verstärkt auf erneuerbare Energien setzen. Eric Wiebes, der niederländische Minister für Wirtschaft und Klima, verkündete, dass das Land die Förderung in Europas größtem Erdgasfeld beenden wird. Die Erdgasförderung hat wegen der zunehmenden Erdbebengefahr keine Zukunft mehr in den Niederlanden, das war seit Langem klar. Möglicherweise wird die Förderung aber auch schon deutlich früher eingestellt oder gedrosselt, das zumindest war der Plan der niederländischen Regierung vor der aktuellen Zuspitzung der Ukraine-Krise.
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Auf Erdgas aus Deutschland auszuweichen ist zwar rein grundsätzlich möglich, aber unwahrscheinlich. Die Reserven sind klein und die Erzeugung aus den gleichen Gründen wie in den Niederlanden in der Bevölkerung höchst umstritten. Außerdem dürften sich mögliche Genehmigungsverfahren über Jahre oder gar Jahrzehnte hinziehen.