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Industrie soll Vorreiter seinWas bringen die Klimaschutz-Milliarden NRW?

Lesezeit 5 Minuten
Ein Vogel fliegt vor der Sonne, die hinter Windrädern am Horizont untergeht.

Der klimafreundliche Umbau der Wirtschaft ist ein Zielpunkt der geplanten Milliardeninvestitionen.

NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) sieht das Schuldenpaket auch kritisch. Das Land braucht Geld für den grünen Wandel. Erneuerbare Energien sind ein Schlüsselthema.

100 Milliarden Euro für den Klimaschutz und den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft: Diesen Punkt haben die Grünen CDU und SPD abgerungen, bevor sie am Dienstag den Weg für ein historisches Schuldenpaket mit freimachten. Aber was bedeutet das für NRW? Und wo steht Deutschlands bevölkerungsreichstes Land überhaupt beim Klimaschutz? Ein Check.

Die Ausgangslage

Wasserstoff, Wind und Wärmewende: Das Land NRW ist im Umbruch – für den Klimaschutz und einen dadurch erhofften Wirtschaftsaufschwung. Die schwarz-grüne Regierung hat im Februar ein zweites „Klimaschutzpaket verabschiedet und will ihren Weg weitergehen; nun unter den Vorzeichen des Infrastrukturpakets. Der Bundesrat muss am Freitag noch zustimmen.

Mona Neubaur spricht bei einer Veranstaltung.

Die stellvertretende NRW-Ministerpräsidentin Mona Neubaur sagt: „Die Investitionen von Ländern und Kommunen in die klimaneutrale Infrastruktur werden in den kommenden Jahren riesige Summen erfordern.“

Trotz der enormen Summen, die nun bewegt werden sollen, bleibt NRW-Klimaschutzministerin Mona Neubaur (Grüne) kritisch und sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Die Länder und Kommunen stemmen einen Großteil der Investitionen in die Infrastruktur in Deutschland. Trotzdem sollen sie nur einen vergleichsweise geringen Anteil vom Sondervermögen erhalten.“

Neubaur: „Vorreiter bei klimafreundlicher Industrie, Landwirtschaft und Mobilität werden künftig ökonomisch im Vorteil sein“

Die Ministerin betont: „Die Investitionen von Ländern und Kommunen in die klimaneutrale Infrastruktur werden aber in den kommenden Jahren riesige Summen erfordern - und sie dulden keinen Aufschub mehr. Es müssen jetzt Wege gefunden werden, wie diese Investitionen zügig auf den Weg gebracht werden können.“ Ambitionierte Klimapolitik werde letztlich „nur erfolgreich sein, wenn sie auch wirtschaftlich erfolgreich ist“, so Neubaur: „Und wirtschaftlich wird NRW erfolgreich sein, wenn wir den Weg Richtung Klimaneutralität weitergehen. Vorreiter bei klimafreundlicher Industrie, Landwirtschaft und Mobilität werden künftig ökonomisch im Vorteil sein.“

Dafür wurde schon viel angestoßen – und viel diskutiert. Vor allem das Thema Windkraft bewegt viele Menschen, vielleicht weil die gigantischen Windräder einfach am deutlichsten zu sehen sind. Und die AfD sie am liebsten alle abreißen würde.

Wo steht NRW bei der Windkraft?

Nach Angaben des Neubaur-Ministeriums werden nirgendwo in Deutschland mehr Anlagen genehmigt, als in NRW. Tatsächlich sind aktuell 3791 Windräder in NRW in Betrieb, weitere 625 sind genehmigt. Aber: In anderen Bundesländern gibt es bereits wesentlich mehr Anlagen: In Niedersachsen etwa mehr als 6000, in Brandenburg gut 4000. In Bayern sind es allerdings auch nur 1150. NRW steht bei der Gesamtleistung (7153 Megawatt) auf Platz 4.

„Besonders der starke Ausbau der Windenergie fällt ins Auge“, lobt Prof. Andreas Löschel: „Hier ist es gelungen, die Planungs- und Genehmigungsprozesse zu straffen und robuster aufzustellen“, so der Inhaber des Lehrstuhls für Umweltökonomik und Nachhaltigkeit an der Ruhr-Uni Bochum. Löschels Analyse: „Die neu geschaffene verpflichtende Beteiligung von Bürgern und Gemeinden bei neuen Windenergieanlagen ermöglicht mehr Akzeptanz vor Ort. Schließlich scheut man sich bei der Ausweisung von Landesfläche für die Windenergienutzung nicht davor, Wildwuchs zu verhindern.“

Die Umweltschutzorganisation BUND sieht das wesentlich kritischer: „Zwar wurde die Genehmigungsbremse beim Ausbau der Windenergienutzung gelöst, doch der Nettozubau von gerade einmal 37 Windenergieanlagen in 2024 ist ernüchternd“, so BUND-NRW-Geschäftsleiter Dirk Jansen: „Darüber kann auch nicht die hohe Zahl an Neugenehmigungen hinwegtäuschen. Wie so das Versprechen von 1000 neuen Windrädern in dieser Legislatur erfüllt werden kann, bleibt schleierhaft.“

Wie sieht es bei Solarenergie aus?

Bei Photovoltaikanlagen gibt es nach Angaben des Klimaschutzministeriums „hohe Zuwächse“. Tatsächlich wurden laut dem Landesverband Erneuerbare Energien NRW 2024 genau 203.316 neue Solaranlagen gebaut – etwas weniger als im Vorjahr. Deutschlandweit liege NRW beim Ausbau nach Bayern auf Platz 2. Was die Zahlen noch mal verändern wird: NRW hat eine schrittweise Solardachpflicht eingeführt (galt zunächst nur für Behörden und andere Institutionen). Seit diesem Jahr müssen Neubauten eine Solaranlage haben.

Wie ist es mit den Treibhausgasen?

Durch die Energiewende sinkt der Ausstoß von Treibhausgasen in NRW deutlich. Zum Beispiel waren es 2023 knapp ein Drittel weniger Emissionen durch Kohleverstromung, so das Landesamt für Umwelt- Natur- und Verbraucherschutz (LANUV). Auch die Emissionen im Industriesektor sanken 2023 um 5,9 Prozent. Dafür stieg zum Beispiel der Ausstoß durch den Flugverkehr – der nach Corona wieder mehr wurde.

Wie geht es bei der Wärmewende weiter?

Für eine „Wärmewende“ wurden die Gemeinden per Gesetz in die Pflicht genommen, „Wärmepläne“ aufzustellen. Sprich: Wie kann man Gebäude klimaneutraler heizen (zum Beispiel mit Geothermie). „Bei der sogenannten Wärmewende lässt die Landesregierung die Kommunen als zentralen Partner bei der Umsetzung völlig im Stich“, meint allerdings André Stinka, Klimaschutz-Experte der SPD im Landtag.

Welches Fazit kann man ziehen?

„Frau Neubaur verteilt fleißig Werbebroschüren im Land, aber das Produkt dahinter ist das Marketing nicht wert“, so SPD-Politiker Stinka. Der vorgezogene Kohleausstieg werde scheitern, „auch weil Schwarz-Grün diesen Deal gemacht hat, ohne die energieintensive Industrie ins Boot zu holen.“ Trotz der Investitionen in die technologische Umrüstung „baut die Industrie massiv Stellen ab, für die Zukunft der Raffinerien in NRW haben CDU und Grüne gar keinen Plan“, so der Politiker.

BUND-Mann Jansen sieht die bisherige Bilanz von Schwarz-Grün ebenfalls kritisch: „Die Landesregierung ist angetreten, NRW zu ersten klimaneutralen Industrieregion Europas zu machen. Davon sind wir noch weit entfernt. Die Stromerzeugung wird immer noch von der besonders klimaschädlichen Kohle dominiert. Und immer lauter wird sogar danach gerufen, den für 2030 verkündeten Kohleausstieg zu verschieben. Das wäre ein herber Rückschlag für den Klimaschutz.“

Klima-Professor Löscher stellt der Regierung ein besseres Zeugnis aus: „Klimaschutz spielte in den letzten drei Jahren eine wichtige Rolle in NRW. Etliche Impulse im Klimaschutz auf Bundesebene wurden maßgeblich aus NRW heraus vorangetrieben, etwa beim Kohleausstieg oder beim Ausbau der Windenergie.“

Was steht noch an?

Löscher glaubt: „Neben den Fortschritten bei den erneuerbaren Energien dürfte der Blick stärker in Richtung Moleküle gehen. Hier drängt nicht nur der Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur, sondern auch die Frage, woher günstiger Wasserstoff in der Zukunft überhaupt herkommen soll.“

„Die Zeit läuft uns davon“, mahnt Umweltschützer Jansen: „Wir brauchen deutlich mehr Investitionen in dezentrale erneuerbare Energien, angepasste Verteilnetze und Speicher. Wenn also über ein Infrastruktur-Sondervermögen nachgedacht wird, muss der Klimaschutz dabei deutlich berücksichtigt werden.“