Gothaer-Chef Oliver Schoeller und der Aufsichtsratsvorsitzende Werner Görg sprechen über die Hintergründe des Zusammenschlusses, den Standort Köln und Folgen für die Kunden.
Interview zur Fusion Gothaer mit Barmenia„Wir brauchen alle Menschen in beiden Unternehmen“
Die Kölner Gothaer Versicherung will sich mit der Wuppertaler Barmenia zusammenschließen. Das wäre seit Langem die erste große Fusion in der Branche. Was hat Sie zu dem Schritt bewogen?
Oliver Schoeller: In den vergangenen Jahren haben sich die sogenannten schwarzen Schwäne, also disruptive negative Ereignisse weltweit gehäuft: erst die Pandemie, dann die Flutkatastrophe, schließlich der russische Angriffskrieg auf die Ukraine mit all seinen Folgen wie Inflation und Zinserhöhungen – das alles fordert die Versicherer. Deshalb wollen wir uns breiter und diversifizierter aufstellen.
Werner Görg: Wir haben bereits eine gemeinsame Tochtergesellschaft und sind ohnehin seit Jahren im stetigen Austausch über die Perspektiven auf den Märkten oder gemeinsame Kooperationsfelder. Und im Zuge eines solchen Gesprächs kamen wir an den Punkt: Sollten wir nicht mal weiterdenken…
Die Gothaer ist der größere der beiden künftigen Partner. Direkt gefragt: Werden Sie die Barmenia übernehmen?
Schoeller: Ganz deutlich: Nein. Es werden sich zwei Unternehmen auf Augenhöhe verbinden, die beide eine ausgesprochen starke Marktposition haben und die komplementär zueinander sind. Wir agieren also aus einer Position der Stärke. Beide Partner sind sehr gut aufgestellt. Die Barmenia betreibt gemessen an den gesamten Prämien von 2,8 Milliarden Euro rund 80 Prozent Krankenversicherungsgeschäft und wächst erheblich. Die Gothaer liegt bei 4,6 Milliarden Euro Prämieneinnahmen mit einem starken Komposit- und Lebengeschäft. Das heißt, wir ergänzen uns in den Geschäftsfeldern hervorragend.
Görg: Die Gespräche, die der Vorstand zusammen mit dem Aufsichtsrat vor über einem Jahr begonnen hat, waren immer Gespräche auf Augenhöhe. Wir glauben, dass die Aufstellung nach Versicherungssparten und nach Kundengruppen so ist, dass die beiden Unternehmen geradezu ideal zusammenpassen. Der Schwerpunkt der Gothaer liegt in zunehmendem Maße im Bereich Gewerbe und Industrie. Bei der Barmenia liegt der Fokus auf dem Privatkundengeschäft.
Was bedeutet das für die beiden Standorte?
Schoeller: Die Gesellschaften und die jeweiligen Versicherer werden ihren Sitz in Köln und Wuppertal behalten. Wir wollen eine gemeinsame Finanzholding gründen, die ihren Sitz in Köln haben wird. Der neue Name soll dann Barmenia-Gothaer-Finanzholding sein. Die dann insgesamt drei Versicherungsvereine sollen als Aktionäre der Holding agieren. Das sind zum einen die Gothaer Versicherungsbank, zum anderen die beiden Versicherungsvereine der Barmenia.
Wie wird denn die neue Stimmenverteilung sein?
Schoeller: Es wird eine paritätische Verteilung der Stimmrechte zwischen den Vereinen der Barmenia und Gothaer geben, das heißt, die beiden Gruppen bestimmen gleichberechtigt über die Geschicke des gemeinsamen Unternehmens.
In der Regel bedeuten solche Zusammenschlüsse, dass Stellen gestrichen werden….
Schoeller: Das ist nicht geplant, im Gegenteil. Der Zusammenschluss ist auf gemeinsames Wachstum ausgerichtet, dafür brauchen wir alle Menschen in beiden Unternehmen. Die Barmenia hat von ihren 2500 Beschäftigten rund 2200 am Standort in Wuppertal. Die Gothaer von 5000 rund 3500 am Unternehmenssitz in Köln. Wir haben alleine in den letzten drei Jahren über 400 Stellen in Köln angebaut. Wir wollen daher eine dreijährige Beschäftigungsgarantie geben, beginnend ab dem Start der gemeinsamen Holding. Zudem wird es eine Standortgarantie geben, das heißt, die Menschen können in ihren Gesellschaften in Köln und Wuppertal weiterarbeiten.
Görg: Wir haben durch die Altersstruktur in beiden Belegschaften in Zukunft so viel natürliche Fluktuation, dass wir selbst bei Effizienzgewinnen keine Menschen abbauen müssen.
Werden denn die Marken erhalten bleiben? Bei der Übernahme von Gerling durch HDI wurde das anfangs auch versprochen, heute heißt fast alles Talanx…
Schoeller: Ja, die Marken werden erhalten bleiben. Sie haben eine solche Kraft in ihren Kernmärkten, wir wären nicht gut beraten, sie aufzugeben.
Ändert sich etwas für die Kunden?
Schoeller: Für die Kunden wird sich in ihren Verträgen nichts ändern. Sie bekommen ein deutlich breiteres Angebot, das ist für sie vorteilhaft.
Wenn alles so bleibt, wie es ist, wo sind denn die Synergien?
Schoeller: Die ergeben sich in breiteren Facetten. Etwa beim Kampf um Fachkräfte. Den kann man mit einer großen Marke und zwei attraktiven Standorten besser gestalten. Zweiter Punkt sind etwa IT-Investitionen, die wir gemeinsam stemmen können, etwa in KI, Kundenmanagement oder die elektronische Patientenakte.
Görg: Wir verbinden mit dem Zusammenschluss Kostenziele, aber keine Einsparziele. Im Klartext, es wird kein Sparprogramm geben. Wir glauben, dass wir wechselseitig vom Vertrieb mit dann gemeinsam über 4000 Partnern viel Schlagkraft im Markt entfalten und so ein sehr hohes Wachstum generieren.
Wie wird die neue Führungsstruktur aussehen?
Schoeller: Auf der Ebene des Vorstandes wird es eine Doppelspitze aus Dr. Andreas Eurich und mir geben.
Wer hat im Falle von Dissens das letzte Wort?
Schoeller: Es wird nur Einstimmigkeit geben. Es ist ähnlich wie bei einer Papstwahl: Verhandelt wird, bis weißer Rauch aufsteigt.
Görg: In der Finanzholding würde ich den Aufsichtsratsvorsitz übernehmen, Herr Dr. Beutelmann, jetziger Aufsichtsrat der Barmenia, würde mein Stellvertreter. In den Versicherungsvereinen bleibt die Aufsichtsratsspitze wie heute bestehen.
Das neue Unternehmen wird dann insgesamt zehn Vorstände haben – Sparten sind doppelt besetzt. Wird es dabei bleiben?
Schoeller: Es wird sicherlich noch Veränderungen im Vorstand geben, wir werden das nicht auf diesem Niveau halten. Altersbedingt wird die Zahl der Vorstände ohnehin deutlich zurückgehen. Aber das sondieren wir noch.
Wo wird das neue Unternehmen dann im Ranking der deutschen Versicherer stehen?
Schoeller: Wir würden auf Platz zehn der deutschen Assekuranz sein und den drittgrößten Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit in Deutschland bilden. Derzeit liegen wir auf Platz 14. In diesem Jahr werden wir gemeinsam über acht Milliarden Euro Prämie erreichen.
Wie ist der zeitliche Fahrplan?
Görg: Nach dem positiven Votum der beiden Mitgliederversammlungen darf der Vorstand Daten für eine Due-Diligence-Prüfung offenlegen. Dort werden Bewertungsfragen geklärt. Diese Bewertungsrelationen führen dann dazu, dass es eine bestimmte Beteiligungsquote der Barmenia und der Gothaer an der Holding gegeben wird.
Schoeller: Dann folgen die Prüfungen etwa durch das Kartellamt und die Bafin. Und abschließend müssen unsere Eigentümer, also die jeweiligen Mitgliedervertretungen, zustimmen. Wir rechnen mit einem Vollzug im dritten Quartal 2024.
Wie genau wird denn die Beteiligungsquote beider Unternehmen jeweils in Prozent an der Holding sein?
Görg: Die kapitalmäßige Beteiligung an unserer gemeinsamen Finanzholding-Gesellschaft wird – rein rechnerisch – das Resultat der Unternehmensbewertungen widerspiegeln. Hier könnte sich ein leichter Überhang der Gothaer Gruppe ergeben. Bezüglich der Stimmrechte wird es eine volle Parität geben, sodass keiner der Beteiligten von dem anderen überstimmt werden kann.
Wo sind die Risiken?
Görg: Die Risiken werden dort liegen, wo uns die Due Diligence auf Risiken hinweist. Wir kennen die Bilanzen des jeweils anderen Unternehmens sehr gut. Das heißt aber nicht, dass nicht vielleicht doch etwas auftaucht. Aber nach jetziger Einschätzung ist das nicht zu erwarten.
Schoeller: Es wird letztlich jenseits der ökonomischen Perspektiven stark auf die kulturelle Integration ankommen. Wie immer sind Menschen für den Erfolg entscheidend. Zusammen bauen wir etwas wirklich Gutes!