Die Dörfer und Städte im Ahrtal wurden vor zwei Jahren zerstört. Ob die Touristen jemals wieder zurückkehren?
„Gemeinden sind überfordert“Im Ahrtal gibt es kaum noch Hoffnung auf einen schnellen Wiederaufbau
„Nein“, sagt Günter Lang. Am Spatenstich für den Wiederaufbau der Ahrtalbahn, nur ein paar hundert Meter von seinem Hotel „Zur Post“ in Altenahr entfernt, könne er nicht teilnehmen. Auch wenn er dem hohen Besuch auf dem Bauplatz viel zu sagen hätte.
Er müsse sich derweil ums Abendessen kümmern. Für die wenigen Touristen, die sich gut zwei Jahre nach der Flutkatastrophe vom Juli 2021 trotz des trostlosen Anblicks wieder in den Ort wagten, und die Bahn-Monteure, die den Auftrag haben, den 14 Kilometer langen, völlig zerstörten Abschnitt der Bahntrasse zwischen Walporzheim und Ahrbrück im Rekordtempo von 27 Monaten wieder aufzubauen.
Die Tunnel enden seit dem Hochwasser im Nichts
Das ist in Deutschland offenbar so außergewöhnlich, dass das Baufeld vor den beiden Tunnelmündern, die seit der Hochwasserkatastrophe wie schwarze Löcher im Nichts enden, beim Spatenstich am vergangenen Dienstag zum großen Bahnhof wird. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) ist angereist, Malu Dreyer, die SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, und der für den Wiederaufbau verantwortliche Bahnvorstand Berthold Huber.
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Alle sprechen sie von der Hoffnung und davon, dass es aufwärts gehen möge, wenn auf der Ahrtalbahn, der Lebensader der Region, ab Ende 2025 wieder durchgehend Züge fahren. Elektrisch und im 20-Minuten-Takt.
Hand in Hand habe man gearbeitet. Der Bund, das Land, die Bahn. Planungserleichterungen geschaffen, Bürokratiehürden überwunden. „Der Bund steht fest an der Seite der Menschen hier in der Region und wird weiter alles dafür tun, beim Wiederaufbau zu unterstützen“, verspricht der Minister. „Wir nutzen Synergien und planen und realisieren die Bahnstrecke und den Ahrtal-Radweg aus einer Hand“, lobt die Ministerpräsidentin die Anwesenden.
Bauruinen, für die es keine Pläne gibt
Hotelier Lang steht auf der Brücke, die der Flut standgehalten hat. Das verbogene Geländer, hat er gehört, soll noch in diesem Jahr erneuert werden. Hinter ihm der Torso seines vierten Gästehauses in bester Lage direkt an der Ahr, mit Blick auf den Fluss und den Ortskern. Und auf Bauruinen, für die es keine Pläne gibt, wie es mit ihnen weitergehen soll. „Wir haben reichlich in den Wiederaufbau investiert, drei Häuser renoviert und wiedereröffnet“, sagt der 56-Jährige. „Wir haben das auch getan, weil man es von uns erwartet hat.“ Von seinen Stammgästen seien nach zwei Jahren Corona und zwei Jahren Flut nur noch wenige übrig geblieben.
Ein neues Brückengeländer zwei Jahre nach der Flut. „Wir wissen bis heute nicht, was sich die Gemeinde denkt, wie es hier weitergehen soll“, sagt Lang. „Ob der Tourismus für den Ort noch interessant oder nicht.“ Auch deshalb habe er sich entschieden, das vierte Haus nicht mehr zu renovieren. „Ich bin schließlich keine 20 mehr. Die Gemeinde tut null, um Touristen wieder für das Ahrtal zu begeistern.“
Für den Wiederaufbau stehen 14 Milliarden Euro bereit
14 Milliarden Euro stehen für den Wiederaufbau an der Ahr bereit. Hotelier Lang fürchtet, dass die Gemeinden diese „Riesenchance zur Veränderung“ gar nicht ergreifen können. „Jeder Ortsbürgermeister ist völlig überfordert. Die müssen so viele Projekte anpacken und mit Geldern in einer Größenordnung umgehen, von denen sie gar keine Ahnung haben. Und dann diese bürokratischen Wege, die dabei beschritten werden müssen. Das geht alles viel zu langsam.“ Ausgerechnet die Bahn, von der das keiner erwartet habe, sei die rühmliche Ausnahme. „Die hat von Anfang an gesagt, dass sie Ende 2025 wieder fahren wollen. Selbst wenn das ein Jahr länger dauert, ist das immer noch schnell.“
Am Geld scheitert es also nicht. Aber woran dann? Man muss Weingut-Besitzer Elmar Sermann nur antippen und der Frust sprudelt nur so aus ihm heraus. Im Vertrauen darauf, dass sich das Ortsbild schnell verbessern werde, hat er sein Geschäft wieder aufgebaut. Die 80-Prozent-Förderung durch die Investitions- und Strukturbank von Rheinland-Pfalz sei gut gelaufen, „wenn man einmal mit den Anträgen durch ist.“ Den Rest habe die Familie privat finanziert, unter anderem mit der Altersversorgung seiner Frau.
Zwei Jahre nach der Flut sei Altenahr „halb aufgebaut und halb voller Ruinen“. Bei der Aufteilung des Ahrtals in gelbe und blaue Zonen, in denen das Bauen ganz verboten oder unter Auflagen erlaubt ist, habe man die gelben Zonen mit komplettem Bauverbot viel zu klein gefasst. „Sonst hätte man viel konsequenter abbrechen und die Eigentümer entschädigen und höher gelegene Grundstücke anbieten können und mehr Platz für den Ahr-Radweg und den Uferweg gewonnen.“
Gestiegene Baukosten fressen die Entschädigungen auf
Die stark gestiegenen Baukosten und die hohen Sicherheitsauflagen „führen jetzt dazu, dass die Entschädigung von 80 Prozent nicht mehr reicht, um die 20 Prozent draufzulegen und dann neu zu bauen“, sagt Sermann. „Das reicht gerade für den Rohbau. Wenn ein Abbruch dann auch noch 100.000 Euro kostet, lassen viele Eigentümer die Ruinen halt einfach stehen.“
Die Bürokratie erledige den Rest. Beim neuen Friedhof habe die Gemeinde vier statt der zwei Wasserzapfstellen eingeplant und 45 statt 25 Quadratmeter Verbundsteinpflaster verlegt. „In beiden Fällen hat die Aufsichtsbehörde ausführliche Begründungen angefordert. So arbeitet das Land Rheinland-Pfalz. Wir haben hier mittlerweile Riesenprobleme, überhaupt noch Ortsbürgermeister zu finden. Die schmeißen reihenweise die Brocken hin.“
Seit der Flut hat Altenahr rund zehn Prozent seiner Einwohner verloren. „Früher ging hier der Ahr-Radweg durch und es gab die Campingplätze. Da waren im Sommer draußen alle Tische besetzt. Heute gibt es nur noch zwei Winzerbetriebe, die an die alten Umsätze vor der Flut herankommen. Dabei können wir uns noch helfen, unsere Weine überall verkaufen. Aber was macht man mit den Hotelbetten ohne Radweg und bei dem Zustand des Ortes?“, sagt Sermann und spricht von einem Teufelskreis. „Wenn der Tourismus zurückgeht, geht der Weinabsatz zurück. Geht der Weinabsatz zurück, werden die Weinberge aufgelassen. Wir haben eh schon große Probleme mit dem Nachwuchs im Steillagen-Weinbau. Dann kommt der Tourist und fragt sich, was er hier noch soll? Das sind doch nur noch Hecken. Dann kommt keiner mehr, weil die Landschaft scheiße ist und schon macht das erste Hotel zu.“
Das alles hat Sermann dem Bürgermeister der Verbandsgemeinde Altenahr, Dominik Gieler, in einem langen Schreiben dargelegt. Die Antworten haben ihn nicht sonderlich optimistisch gestimmt. Er könne das „trostlose, einwohner- und besucherabschreckende Bild in unserer Ortsmitte“, von dem Sermann, spricht, nachvollziehen, so die Antwort des Bürgermeisters. „Dennoch ist es nicht unsere Absicht, gewisse Zustände dauerhaft hinzunehmen.“
Der Entwurf eines städtebaulichen Leitkonzeptes für den Wiederaufbau von Altenahr aus dem Architekturbüro von Albert Speer & Partner lässt erahnen, was mit „dauerhaft“ gemeint sein könnte. 20 bis 30 Jahre werde es dauern, bis alle Flutschäden in Altenahr beseitigt sind. „Ich bin einfach ein Realist“, sagt Sermann. „Das werden wir nicht überleben.“