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Gründer aus RösrathJohannes Recks Reise-Start-up ist trotz Krise Milliarden wert

Lesezeit 5 Minuten
Johannes Reck - GetYourGuide

Johannes Reck sitzt im Januar 2020 in einem Konferenzraum von GetYourGuide.

Köln – Auch im Leben von Johannes Reck liegen im Corona-Jahr 2020 die glücklichen und die trüben Momente nah beieinander. Im Januar sieht es nach einer steilen Entwicklung seines Unternehmens GetYourGuide aus. 2009 gegründet, hat Reck eine Online-Buchungsplattform für Urlaubserlebnisse aufgebaut, über die bis heute mehr als 45 Millionen Touren, Aktivitäten und Museumstickets an Kundinnen und Kunden aus 170 Ländern verkauft wurden.

GetYourGuide ist zu diesem Zeitpunkt schon kein Start-up mehr, sondern ein mittelständisches Unternehmen mit fast 650 Angestellten und einem von Investoren angenommenen Wert von mehr als einer Milliarde Euro – solche Firmen werden in der Gründerszene Einhörner genannt, weil es sie nur selten gibt.„Alles sah nach einem fantastischen Reisejahr aus“, erzählt Reck dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor wenigen Wochen im Interview, das pandemiebedingt per Video stattfindet. „Januar und Februar waren bombastische Monate, mit einem hundertprozentigen Wachstum bei den Buchungen. Zum ersten Mal seit zehn Jahren hatte ich überhaupt keine Sorgen.“

Umsatz: null Euro

Dann aber kommt das Coronavirus, kommen weltweit Lockdowns, werden Grenzen geschlossen – und das Geschäft von GetYourGuide bricht völlig zusammen. Innerhalb weniger Wochen sinkt der Umsatz auf null Euro. „Als wenn man mit 200 Kilometer pro Stunde einen Frontalunfall baut“, sagt der 35-Jährige. Dann wird Anfang April Recks erster Sohn geboren, „mitten im Lockdown, in dieser verrückten Zeit“, in der er nun so viel mehr Zeit mit der Familie verbringen kann, als er sich je erhofft hatte – und das Glück rückt wieder in den Vordergrund.

Reck wohnt im Gründerepizentrum Berlin, ist aber in Rösrath im Rheinisch-Bergischen Kreis aufgewachsen. Der Vater, Hans-Joachim Reck, war dort ab 1991 Oberkreisdirektor, wurde später Bundesgeschäftsführer der CDU, dann Telekom-Manager in Bonn und nach der Rückkehr in die Politik CDU-Generalsekretär in NRW, später Landtagsabgeordneter.

„Wir haben in der Familie immer viel über Politik gesprochen“, sagt Johannes Reck. Das hinterlässt bei ihm Spuren: Auch er engagiert sich politisch, sitzt im Beirat Junge Digitale Wirtschaft von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier.

Recks Engagement gilt dem Gründerstandort Deutschland, den er in vielerlei Hinsicht als „starr, ineffizient und gründungsfeindlich“ betrachtet. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase Anfang der 2000er sei ein Vakuum entstanden, findet er, das vor allem US-Konzerne für sich genutzt hätten. Den Start-ups hierzulande komme nun eine Schlüsselrolle zu, „um Deutschland neu aufzustellen und den Wandel zu gestalten“, sagt Reck.

Erst den Sportteil, später die Wirtschaftsseiten

In Rösrath hat Johannes Reck das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium besucht und als Jugendlicher morgens gern den „Kölner Stadt-Anzeiger“ gelesen, wie er erzählt. Erst den Sportteil, als er älter wurde immer öfter auch die Wirtschaftsseiten. Bei einem Schüleraustausch in der elften Klasse lernte er in den USA seinen späteren Mitgründer Tao Tao kennen, der ursprünglich aus China stammt und später mit ihm gemeinsam in Zürich studierte. Reck machte seinen Abschluss in Biochemie, Tao in Ökonomie. Die beiden beschlossen, ein soziales Reisenetzwerk zu gründen, bei dem Tourguides Urlaubern ihre Dienste verkaufen. „Eine totale Fehlkonstruktion“, sagt Reck heute. „Nach einem Dreivierteljahr hatten wir drei Buchungen.“

Also zogen sie das Unternehmen neu auf, verkauften fortan Tickets für Ausflüge, Museumsführungen und Sehenswürdigkeiten. Die wurden damals vor allem über Flyer oder Plakate vor Ort beworben, man kaufte sie an der Kasse vor Ort, online buchen konnte man sie kaum. Der Durchbruch gelang mit den Vatikanischen Museen, erzählt Reck: Vier Stunden stehen die Menschen seinerzeit dort in der Schlange und niemand weiß von den Gruppenführungen, mit denen man sie umgehen kann. GetYourGuide digitalisierte den Verkauf dieser Tickets und feierte einen ersten großen Erfolg. Der Besuch von immer mehr Attraktionen konnte in der Folge auf der Plattform gebucht werden – Disney World in Paris, Kolosseum in Rom, Bootstouren an der Amalfiküste, 9/11-Memorial in New York, Brauhaustour durch die Kölner Altstadt.

Struktureller Wandel im Reisemarkt

„Es gibt einen strukturellen Wandel im Reisemarkt“, sagt Reck. „Die Angebote von früher werden fragmentiert. Wer früher einen USA-Trip gebucht hat, hat im Reisebüro das ganze Paket aus Flug, Hotel, Sehenswürdigkeiten und Mietwagen gekauft. Heute buchen die Leute alles separat. In diesem Umfeld haben wir das Reiseerlebnis neu positioniert.“ GetYourGuide will in seinem Segment jene zentrale Rolle spielen, die Portale wie Booking.com und Airbnb längst bei Übernachtungen eingenommen haben.

Investoren kann Reck überzeugen – sie reißen sich seit Jahren um Anteile am schnell wachsenden Unternehmen. GetYourGuide hat seit seiner Gründung bis jetzt umgerechnet rund 650 Millionen Euro von Geldgebern eingesammelt, um größer zu werden. Im Mai 2019 erhält Recks Unternehmen die wichtigste Geldspritze: 428 Millionen Euro Wachstumskapital geben Investoren um den japanischen Konzern Softbank – und gehen dabei von einem Gesamtfirmenwert von deutlich mehr als einer Milliarde Euro aus. Das Geldpolster schützt GetYourGuide, als Corona die Reisebranche heimsucht: „Dank der massiven Finanzierungsrunde war es bei uns nie eine Frage des Überlebens“, sagt Reck.

„Das war extrem schmerzhaft“

Anders stellt es sich etwa bei Tui dar – der Reisekonzern braucht Milliarden, um zu überleben – und auch die Lufthansa bekommt Geld vom Staat und streicht Zehntausende Arbeitsplätze. GetYourGuide wollte es ohne Mitarbeiterverluste schaffen. Die Angestellten verzichteten anfangs auf Teile ihres Gehalts, bekamen dafür Aktienpakete, Reck kürzte die Kosten im Unternehmen – doch ganz schaffte er es nicht. Im Oktober trat der Chef vor die Belegschaft und entließ 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Das war extrem schmerzhaft“, sagt er. „Aber wir mussten uns den Umständen anpassen. Ohne Geschäftsgrundlage konnten wir es nicht einfach weiterlaufen lassen.“

Dank einer Wandelanleihe flossen im selben Monat dennoch weitere 114 Millionen Euro auf die GetYourGuide-Konten. „Wir investieren jetzt stark in unsere Kerntechnologie“, sagt Reck. Die zehn Jahre alte Plattform wird komplett modernisiert, die Suche stärker auf die Kunden personalisiert, das Geschäft für den Verkauf auf Mobilgeräten optimiert, einheitliche Stornierungsregeln eingeführt. „Wenn es eine Konstante bei Krisen gibt“, sagt Reck, „dann ist es, dass die späteren Gewinner auch während der Krise stark in die Zukunft investiert haben. Sie haben nicht aufgesteckt, sondern weitergemacht.“

Aktuell fühle sich Reisen „so weit weg“ an, sagt Reck. Aber das Reisen komme zurück. „Der Markt kommt immer zurück – und zwar eher größer als kleiner.“

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