Günther Schuh zum Streetscooter-Aus„Ich blicke da mit Erschütterung drauf“
- Günther Schuh, Jahrgang 1958, ist Maschinenbauer und Wirtschaftsingenieur.
- 2010 gründete er die Firma Streetscooter, die für die Post einen E-Lieferwagen entwickelte. 2015 gründete Schuh den E-Autobauer E.go.
- Zuletzt hatte die Post das Ende der Scooter-Produktion angekündigt, zudem gab es Insolvenzgerüchte über E.go.
Ist Ihr Unternehmen vom Coronavirus betroffen?
In der Supply Chain bislang zum Glück noch nicht. Wir sind eine digitale Firma und arbeiten derzeit noch digitaler, das geht erstaunlich gut. Aber wir haben natürlich Angst, dass unsere mehrstufigen Lieferketten etwa für die Batterie aus China abreißen. Da sind wir nicht so kampferprobt wie die großen Autobauer. Unser Auto besteht aus 6000 Teilen, da braucht nicht viel zu fehlen und dann bauen wir gar nichts mehr. Wir hängen aber auch noch von einer Eigenkapitaleinzahlung aus China ab.
Das heißt, keinerlei Einschnitte?
Nur geringe bisher durch das Coronavirus. Aber ich habe einen ziemlich großen Fehler gemacht, als wir 2020 einige Wochen nicht genug Batterien bekommen haben. Das war auch der Grund, warum die Jahresziele von 600 e.GO mit letztlich 540 verfehlt wurden. Im Januar gab es erneut eine Störung in der Batterieproduktion und damit auch in der Anlieferung. Ich hatte den Hof voller fertiger Autos, aber ohne Batterie. Irgendwann wusste ich nicht mehr, wo ich die Wagen noch unterbringen sollte. Dann habe ich den weiteren Neuwagenbau kurzzeitig gestoppt.
Das war falsch, ich hatte unterschätzt, was es bedeutet, eine Lieferkette zu unterbrechen. Die Zulieferer wenden sich sofort anderen Aufträgen zu. Damit habe ich selbst dafür gesorgt, dass wir fünf Wochen hinter Plan liegen.
Was bedeutet das für Ihre Ziele 2020?
Geplant haben wir mit 5100 e.GO Life. Mein Fehler hat Auswirkungen auf vielleicht 900 Stück. Das möchte ich heilen, indem ich schon ab Oktober 2020 statt März 2021 auf einen Zweischichtbetrieb im Werk hochfahre. Ob die Batteriezellproduktion in China bis dahin wieder gänzlich stabil sein wird, weiß aber im Moment niemand. Die 5000 produzierten e.GO Life zu erreichen, wäre also vor diesem Hintergrund schon großartig.
Wie bewerten Sie das Aus des E-Lasters Streetscooter durch die Post?
Ich blicke da mit Erschütterung drauf. Es ist schwer verständlich, wenn Postchef Frank Appel sagt, er wollte nie ein Autobauer werden. Als ich Streetscooter an die Post verkauft habe, wollte ich ursprünglich nur 25 Prozent der Anteile verkaufen. Die Post wollte aber eine Mehrheit und damit keine strategische Beteiligung, sondern die volle Kontrolle. Nun haben sie es nicht ans Laufen bekommen und möchten es aufgeben. Das ist ziemlich schade.
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Sie haben angekündigt, die Firma zurückzukaufen. Wie soll das gelingen?
Ich hätte mir gewünscht, dass die Post vor der unvermittelten Veröffentlichung der Entscheidung vorab mit uns wieder darüber gesprochen hätte. So konnte ich nur noch öffentlich reagieren. Ich habe mich jetzt bei der Post gemeldet. Ich hatte auch zuvor schon einmal ein Angebot abgegeben, das ich auch nie zurückgezogen habe. In der dritten Runde bin ich damals aber rausgefallen. Ich frage mich allerdings, ob es wirklich eine dritte Runde gab und warum ich die von mir geforderten Informationen zur Lage bei Streetscooter nie bekommen habe.
Warum würde der Kauf Sinn machen?
Ich habe aus dem Umfeld von Streetscooter gehört, dass es keine nennenswerten Bemühungen gab, das Modell weiterzuentwickeln. Stillstand ist immer ein gefährliches Zeichen. Der Streetscooter Work und der Work L könnten eine Ergänzung zu unserem e.GO Cargo Mover sein. Da kommt es auf den Zustand der Fahrzeuge an. Für mich wäre aber auch die Produktion interessant. Ein Werk und Mitarbeiter, die sich mit E-Autos auskennen, sind extrem selten und gibt es allenfalls bei Tesla. Wenn wir mit e.GO jetzt richtig durchstarten, kann ich ein weiteres Werk sowie die Batterieanlage gut gebrauchen.
Wie wollen Sie das finanzieren?
Wir würden wie beim letzten Mal einen Rückkauf nur mit einem starken Co-Investor aus der Branche anbieten und nicht mit unseren heutigen e.GO-Aktionären. Entsprechende Interessensbekundungen sind schon bei mir eingetroffen. Für große Autohersteller ist Streetscooter zu klein, zu kompliziert und zu schwer zu managen, um sie mehrheitlich zu übernehmen. Diese Nachteile können wir kompensieren und den Vorteil für den Co-Investor eines schnellen Zugangs zu einer kleinen e-Truck-Plattform erhalten.
Wann werden Sie mit e.GO schwarze Zahlen schreiben?
Schneller als ursprünglich geplant, obwohl uns die Bundesregierung mit einer Ausnahmeregelung bei der Umweltprämie im Stich gelassen hat. Wir können Ende 2020 CO2 -Zertifikate an andere Hersteller verkaufen, die die strengeren EU-Grenzwerte nicht einhalten. Diesen Herstellern stehen vorerst nur zwei Anbieter gegenüber: Tesla und e.GO.
Um welches Volumen geht es?
2020 liegt der Wert pro Fahrzeug rechnerisch ungefähr bei 18000 Euro.
Im Oktober gab es Insolvenzgerüchte. Wie ernst war die Lage?
Das war eine klassische Übertreibung in „Hypothekenbank-Deutschland“. Ein Start-up hat immer wieder neuen Finanzierungsbedarf. Die Gerüchte waren nicht ganz falsch, aber übertrieben. Es gibt zwei Investoren, die ihre Entscheidung immer wieder aufgeschoben haben. Der eine Investor ist unser chinesischer Joint-Venture-Partner, dessen Vertrag unsere Aktionäre und wir im letzten Moment noch einmal ändern wollten, weswegen sich der Zahlungseingang bei uns um ein halbes Jahr verschoben hat. Unsere bisherigen Anteilseigner sind dann aber eingesprungen und haben zu einem bestehenden Darlehen noch einmal nachgeschossen. Wenn uns das Virus die Überweisung der Chinesen nicht behindert, dann ist das Thema aber jetzt überwunden.