Rheinenergie-Chef Steinkamp„Wir können nicht ganz Köln mit Ökostrom versorgen“
- Dieter Steinkamp ist Vorstandsvorsitzender der Rheinenergie. Gerald Linke ist seit Juli 2014 Vorstandsvorsitzender des DVGW.
- Der DVGW (Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches) ist der Branchenverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft mit Sitz in Bonn.
- Ein Gespräch über notwendigen Schritte und Hindernisse bei der Energiewende in Köln und Region.
Köln – Im Interview sprechen Dieter Steinkamp und Gerald Linke über die Zukunft und erklären, warum Gas bei der Energiewende unverzichtbar ist.
Herr Steinkamp, Herr Linke, die Energiewende ist eine der größten Herausforderungen unserer Generationen. Wie können wir das Dilemma lösen, dass wir gleichzeitig aus der Atomkraft aussteigen und den Verzicht auf fossile Energieträger wie Öl, Gas und Kohle forcieren?
Linke: Aktuell sind rund 80 Prozent der in Deutschland genutzten Energien molekular in Form von flüssigen oder gasförmigen Kraftstoffen und nur ein Fünftel „elektrisch“. Will man die Energiewende aber praktisch in die Tat umsetzen, dann darf man nicht nur auf einen Energieträger setzen, sondern muss technologie-offen bleiben.
Für den Klimaschutz zählt vor allem, wie sich Emissionen vermeiden lassen, und nicht, ob die Lösung dazu auf Strom oder auf Gas basiert. Die Zwei-Energieträger-Welt, wie wir das nennen, fußt auf Elektronen und Molekülen, also auf Strom und Gas.
Steinkamp: Die Energiewende werden wir in der Tat nur hinbekommen, wenn wir auf mehrere Energieträger setzen, also auf eine Zukunft mit Gas. Denken Sie etwa an unsere E-Werke, die auf das Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung setzen.
Gaskraftwerke allein schaffen schon einen Nutzungsgrad von 60 Prozent, viel besser also als Stein- oder Braunkohle oder Öl. Wenn wir nun aber die Abwärme als Fernwärme für Haushalte und Firmen nutzen – eben Kraft-Wärme-Kopplung – erreichen wir einen Nutzungsgrad von fast 90 Prozent. Das ist unschlagbar im Vergleich zu anderen Technologien.
Linke: Hinzu kommt, dass Gas zwar ein fossiler Brennstoff ist, es aber bei der Verbrennung nur gut ein Drittel des CO2 freisetzt, das Kohle verursachen würde.
Aber ist es nicht grundsätzlich das Ziel, komplett auf fossile Energieträger zu verzichten, um klimaneutral zu werden. Ich meine gelernt zu haben, dass auch Erdgas ein fossiler Brennstoff ist…
Steinkamp: Langfristig müssen wir von den fossilen Energieträgern wegkommen, da gebe ich Ihnen recht. Aber auf dem Weg zur Klimawende müssen wir auch an Übergangstechnologien denken. Und die Zeiträume bis zu einer Welt mit ausschließlich grüner Energie betragen Generationen. Einfamilienhäuser auf dem Land mit Ökostrom zu versorgen, wo auch genügend Raum für Wind- und Sonnenenergieanlagen oder für Erdwärme ist, ist die eine Sache.
Aber hier im Ballungsraum Köln, mit einem verdichteten Geschosswohnungsbau ist das schlicht nicht zu bewältigen. Und was technisch machbar wäre, ist lange noch nicht wirtschaftlich. Wir dürfen die Verbraucher nicht überfordern. Diese müssen es am Ende noch bezahlen können.
Linke: Zumindest so schnell ist eine vollkommen CO2-freie Versorgung der Menschen mit Energie nicht zu bewerkstelligen. Mittelfristig gibt es selbstverständlich auch zum fossilen Erdgas grüne Alternativen, ich denke an grünes Gas, Biogas, Power to Gas und nicht zu unterschätzen Wasserstoff.
Das klingt nach gutem Willen, aber mal Hand aufs Herz: Kann man auch an Zahlen ablesen, wie stark sich der Kohlendioxid-Ausstoß senken lassen würde, wenn wir Kohle und Öl durch Gas ersetzen?
Linke: Das kann man an Zahlen belegen, wie der Forschungsbericht unseres Verbandes zeigt, den wir diese Woche auch in Köln diskutieren. Wenn wir bei der Stromproduktion Kohle durch Erdgas ersetzen, reduzieren wie den CO2-Ausstoß pro Jahr um 124 Millionen Tonnen.
Würden wir bei der Wärmeerzeugung Ölheizungen durch Gas ersetzen, würden wir weitere 25 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Würden Diesel und Benzin in Autos durch Gas ersetzt, käme eine weitere Ersparnis von 39 Millionen Tonnen hinzu. In Summe könnten wir den CO2-Ausstoß durch Gas so um fast 190 Millionen Tonnen reduzieren.
Das alles ist aber nur eine Reduktion der Emissionen, keine Einstellung des CO2-Ausstoßes…
Steinkamp: Wir steigen als hoch entwickeltes Industrieland binnen nur 18 Jahren gleichzeitig aus der Atomkraft aus, aus der Steinkohle, aus der Braunkohle, und nehmen damit auch bestehende fossile E-Werke mit Kraft-Wärme-Kopplung vom Netz. In dieser kurzen Zeit allen Energiebedarf eines Industrielandes mit Erneuerbaren Energien komplett zu decken, ist unrealistisch, zumindest so lange das Thema Speicherung nicht gelöst ist.
Wir bräuchten dazu eine geniale Erfindung, aber die sehe ich noch nicht. Und so lange müssen wir in kleinen Schritten vorangehen und uns dem Ziel der Emissionsreduktion widmen. Und das heißt auch und gerade, jetzt mehr Gas-Kraftwerke als Brückentechnologien zu bauen beziehungsweise die vorhandenen Infrastrukturen an Netzen verstärkt auch für die sogenannten „grünen Gase“ zu nutzen.
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Sie sprechen hier von „grünem Gas“, was verstehen Sie denn darunter?
Linke: Unter anderem ist das Gas aus Biogasanlagen. Wo also durch die Zersetzung von Biomasse wie Raps oder anderen Pflanzen Gas gewonnen wird, das verbrannt werden kann.
Aber auch dieser Ansatz steht in der Kritik, wenn wir in unserer Landschaft nicht noch mehr Monokulturen für den Anbau von Mais oder Raps für Biogas haben wollen.
Steinkamp: Auch das ist richtig. Hinzu kommt die Debatte „Tank oder Teller“. Der Raum für Biomasse-Anbau in Deutschland ist sicherlich begrenzt, deutlich mehr Anpflanzungen wird es kaum geben.
Linke: Es gibt aber noch die Möglichkeiten, aus Bioabfällen oder Klärschlamm und Gülle Biogas zu gewinnen.
Also kommen wir Ihrer Ansicht nach nicht ums Erdgas herum?
Steinkamp: Die Nutzung von Erdgas oder synthetischen Gasen ist mit Blick auf den Klimaschutz unverzichtbar für die nächsten Jahrzehnte. Wärmeversorgung ohne Gas ist für mich sogar gar nicht vorstellbar, allein mit Erdwärme wird uns das in der Masse wie gesagt nicht gelingen, nicht für die Zahl von einer Million und mehr Kölnern. Den Wärmebedarf können wir dauerhaft nicht über Strom allein decken.
Linke: Gas hat auch noch den Vorteil, den viele vergessen, dass die Pipelines anders als Stromleitungen gleichzeitig als Speicher dienen. Denn anders als Strom kann Gas in der Leitung komprimiert werden. Und mittelfristig werden wir via Power to Gas umweltfreundliches Gas etwa per Windkraft erzeugen und dann in die Leitungen einspeisen können.
Beeinflusst Ihr Bestreben auch die aktuelle Debatte um den 1000-Meter-Abstand von Windkraftanlagen zu Siedlungen?
Linke: Wenn Sie so wollen ja, anders als Windräder oder Stromtrassen haben unterirdische Gas-Pipelines kein Akzeptanzproblem in Deutschland.
Steinkamp: Wenn wir auch noch Gas als Energieträger abschaffen, werden wir jedenfalls Zehntausende neue Windräder in Deutschland brauchen, ob die Anwohner das wollen oder nicht. Wir laufen Gefahr, uns zur Überbrückung von Langzeitflauten eine Art Überkapazität an Windanlagen aufbauen zu müssen.
Wir reden da von der dreifachen Menge. Das müssen wir uns auch leisten können. Sonne und Wind haben nun einmal Schwankungen, Gas nicht. Wir müssen ja auch daran denken, dass Energie bezahlbar bleibt. Sonst wechselt der Kunde dank freier Märkte flugs zu einem Anbieter von Atomstrom aus dem Ausland und der Ökologie-Effekt ist futsch.
Aber ist es nicht kritisch, aus welcher Region wir unser Gas bekommen, aus Ländern wie Russland beispielsweise, mit teils schwierigen Beziehungen. Machen wir uns damit nicht erpressbar?
Linke: Das Kölner Gas kommt aus den Niederlanden, Norwegen und Russland.
Steinkamp: Traditionell kommt das Kölner Gas sogar vor allem aus Holland, was sich bald ändern wird, weil die Niederländer wegen steigender Erdbebengefahr ihre Förderung umstellen. Aber dann kommt Gas halt aus Russland. Historisch gesehen hat Russland gegenüber Deutschland nie die Erpressungskarte gezogen, auch nicht im Kalten Krieg. Die leben ja auch davon.
Auch unser Öl kommt ja nicht unbedingt aus unproblematischen Regionen und wir leben damit. Im Übrigen gilt das alles nur für das fossile Erdgas: Stellen wir auf die neuen grünen Gase oder meinethalben auch Wasserstoff um, so wird das Gas aus ganz anderen Quellen stammen, teils selbst erzeugt im Land, teils importiert aus Ländern, in denen viel Sonnenergie auch die Umwandlung erlaubt.