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VDA-Präsident Bernhard Mattes im Interview„E-Autos kosten 70.000 Arbeitsplätze“

Lesezeit 8 Minuten
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Bernhard Mattes

  1. Bernhard Mattes ist Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA) und war viele Jahre Chef der Kölner Ford-Werke. Ende des Jahre legt er sein Amt beim VDA nieder.
  2. Der VDA bündelt die Interessen der Autobauer aus Deutschland und ihrer Zulieferer.
  3. Im Interview spricht Mattes unter anderem über Elektromobilität und die neue IAA.

Herr Mattes, Elon Musk hat jüngst angekündigt, die erste Tesla-Fabrik in Europa in Brandenburg zu bauen. Beobachter werten das als klare Kampfansage des US-Elektro-Pioniers an die deutsche Autoindustrie. Teilen Sie diese Einschätzung?

Nein, die deutsche Automobilindustrie scheut keinen Wettbewerb - ganz im Gegenteil. Wir stellen uns diesem seit jeher ganz bewusst – Hersteller wie Zulieferer. Das spornt uns an. Gerade deshalb ist die deutsche Automobilindustrie ja über Jahrzehnte erfolgreich gewachsen und hat heute diese Spitzenstellung.

Man hat den Eindruck, dass aber genau diese Spitzenposition verloren gegangen ist. Tesla ist Marktführer. Lässt sich der Rückstand noch aufholen?

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Man muss da genau hinschauen. Da ist die Ankündigung, ein Werk zu bauen. Andererseits baut ein deutscher Hersteller – BMW - schon seit etlichen Jahren Elektroautos in Deutschland, denken Sie an Leipzig. Ein anderer – Volkswagen - hat gerade in Zwickau seine Produktion von rein batterieelektrischen Autos gestartet. Und in viele deutschen Werken unserer Mitgliedsunternehmen werden Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge produziert.

Wir investieren in den nächsten drei Jahren 40 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung alternativer Antriebe, das ist eine Hausnummer. Bis 2023 verfünffachen unsere Hersteller ihr Angebot an E-Autos auf über 150 Modelle. Übrigens: Unser E-Marktanteil in Deutschland stieg im Oktober auf 75 Prozent – weil wir mit neuen Modellen kommen. Wir sind also weiter, als mancher meint. Hinzu kommen batterieelektrische Lieferfahrzeuge und Busse, die bereits im Einsatz sind.

Gilt dies auch für autonomes Fahren und Mobilitätskonzepte der Zukunft generell?

Wir haben mehr Patente in zukunftsweisenden Feldern als jedes andere Land, das gilt sowohl für Hersteller als auch für Zulieferer. Das vernetzte und automatisierte Fahren treiben wir stark voran. Bis zum autonomen Fahren wird es aber noch dauern. Da sind noch viele Fragen zu klären, die über die reine Technik hinausgehen, zum Beispiel datenrechtliche Aspekte, Fragen des Versicherungsschutzes und vieles mehr.

Zurück zur Branche, VW setzt komplett auf E-Antriebe und hat angekündigt, ab 2040 keine Autos mit Verbrennermotoren mehr zu bauen. Fokussiert man sich zu sehr auf den Batterieantrieb, obwohl dessen Herstellung nicht umweltfreundlich und der Antrieb vielleicht nicht der bestmögliche ist?

Es geht um die Frage, wie wir die CO2-Ziele der EU bis zum Jahr 2030 erreichen. Sie verlangen von uns eine CO2-Reduktion um 37,5 Prozent – im Schnitt aller neu zugelassenen Pkw in der Europäischen Union -, und 30 Prozent Reduktion bei Nutzfahrzeugen. Das hilft Grübeln nicht weiter: Wir alle sind davon überzeugt, dass diese sehr stramme Vorgabe bei Pkw nur mit dem massiven Hochlauf der Elektromobilität zu stemmen ist. Das ist der Schwerpunkt.

Wasserstoff ist jedenfalls kurzfristig noch zu teuer und in der Menge bis dahin nicht verfügbar. Richtig ist allerdings, dass wir die anderen Optionen – dazu zählen auch CO2-neutrale E-Fuels – nicht ausklammern, sondern diese, ebenso wie die Brennstoffzelle, weiterverfolgen. Es wird an verschiedenen Antriebstechnologien geforscht. Mittelfristig wird es einen Mix geben: Plug-In-Hybrid, batterieelektrische Autos, Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe oder auch Gas sind denkbar.

Ist die Ist E-Mobilität also nur eine Übergangstechnologie?

Nein, sie wird langfristig die zentrale Rolle für die Dekarbonisierung des Verkehrs spielen. In einem dicht besiedelten Raum, wie etwa hier in Köln, macht der rein batterie-elektrische Antrieb schon jetzt Sinn, weil vor allem kürzere Strecken zurückgelegt werden.

Für lange Strecken brauchen wir Alternativen, zum Beispiel den Plug-in-Hybrid, der zudem über kürzere Distanzen rein elektrisch fährt. Damit wir die EU-Ziele 2030 erreichen, brauchen wir dann sieben bis zehn Mio. E-Autos auf unseren Straßen. Allerdings: Bei einem Bestand von derzeit 47 Mio. Pkw werden aber auch in zehn Jahren noch 30 bis 40 Mio. Autos mit Verbrenner unterwegs sein, viele von ihnen als Plug-in-Hybrid.

Auf dem Autogipfel der Bundesregierung wurde jüngst der Ausbau der Ladeinfrastruktur und eine Förderung für E-Autos beschlossen. Gehen die Entscheidungen weit genug?

Es ist wichtig, dass Politik, Hersteller und Zulieferer an einem Strang ziehen. Klar ist: Wir brauchen E-Fahrzeuge nicht nur im oberen Preissegment. Sie müssen für viele Kunden bezahlbar sein. Und wir brauchen eine Ladeinfrastruktur, die den Menschen die Sorge nimmt, mit ihrem Fahrzeug irgendwo unterwegs liegen zu bleiben.

Alle sind sich einig, dass die heute vorhandenen gut 20.000 öffentlichen Ladepunkte nicht reichen. Notwendig bis 2030 sind 1 Million öffentliche Ladepunkte, zusätzlich 100.000 Schnellladepunkte und mehrere Millionen privater Ladepunkte. Dafür haben wir wichtige Entscheidungen getroffen, die jetzt schnell umgesetzt werden müssen.

Wo sollten die angesiedelt sein?

Alle Beteiligten, vor allem die Stromwirtschaft, die Kommunen, aber auch wir müssen prüfen, wo die größte Nachfrage nach Ladepunkten besteht. Dass muss abgestimmt und geplant erfolgen. Die deutsche Automobilindustrie leistet einen erheblichen Beitrag zur Ladeinfrastruktur. Bereits heute stellen Hersteller und Zulieferer weit über 5.000 Ladepunkte an ihren Standorten zur Verfügung – für Mitarbeiter und Kunden.

Gegenüber der Politik haben wir uns jetzt verpflichtet, bis Ende 2022 zusätzlich mindestens 15.000 Ladepunkte auf dem Betriebsgelände der Unternehmen der Automobilindustrie und dem angeschlossenen Handel zu errichten. Bis 2030 werden 100.000 angestrebt.

Aber auch private Stationen sind entscheidend. Immer wieder höre ich, dass zum Beispiel Eigentümer von Einfamilienhäusern Probleme mit dem Versorger bekommen, wenn eine ordentliche Ladeleistung installiert werden soll. Da könnten kommunale Energieversorger mehr tun, auch in der Kommunikation nach außen.

Und was machen künftig eigentlich Menschen, die in Mietwohnungen im vierten Stock leben?

Die Politik sollte die Förderungsmaßnahmen ergänzen und die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, dass es auch für Bau- und Supermärkte interessant wird, auf ihren großen Kundenparkplätzen Schnellladesäulen zu bauen, die man beim Einkaufen nutzen kann. Auch Tankstellen müssen mit einbezogen werden. Darüber hinaus brauchen wir Änderungen im Miet- und Wohneigentumsrecht, damit zum Beispiel in gemeinsam genutzten Garagen Ladepunkte geschaffen werden können.

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Bislang ist die Frage noch nicht gelöst, wie eine Tankladung überall einheitlich abgerechnet werden kann. Wo gibt es hier Ansätze?

Wir müssen zu einem Bezahl-Modus kommen, bei dem es für den Kunden egal ist, wo er lädt. Derzeit muss jemand, der mit seinem E-Auto durch Deutschland fährt, etliche Karten unterschiedlicher Anbieter mitführen. Das kann nicht die Lösung sein. Wir brauchen eine Karte oder eine web-basierte Lösung für alle Ladepunkte. Bei der EC-Karte geht es doch sonst auch. Das muss das Ziel sein.

Nicht nur die Bedingungen, unter denen Bestandteile der Batterien in Ländern wie dem Kongo abgebaut werden, werden kritisiert. Auch die Entsorgung ist noch unklar...

Ein Ansatz ist es, die E-Auto-Batterien auch nach ihrem „Dienstende“ im Auto stationär als Stromspeicher zu verwenden. Sie werden also mit der Rest-Power von etwa 80 Prozent als zentrale Speicher genutzt. Wir müssen den Mut haben, solche Dinge auszuprobieren.

Erst wenn diese Möglichkeit erschöpft ist, kommt Recycling ins Spiel. Hier gibt es flexibel an die Batteriegröße angepasste Recyclingverfahren, um die wertvollen Rohstoffe Kobalt, Kupfer, Nickel und Lithium in Batteriequalität wiederzugewinnen.

Derzeit arbeiten über 830.000 Menschen in der Automobilindustrie. Ein E-Auto ist allerdings deutlich einfacher zu bauen. Wie viele Stellen werden der Entwicklung zum Opfer fallen?

Wir wollen die Mitarbeiter schon jetzt qualifizieren und nicht erst, wenn die E-Mobilität einen hohen Anteil erreicht. Klar ist aber auch: Die Transformation auf der Antriebsseite wird Beschäftigungseffekte haben. Studien gehen davon aus, dass etwa 70.000 Stellen wegfallen, die neuen Stellen durch Elektromobilität sind da schon eingerechnet.

Entscheidend ist die Zeitachse: Über einen längeren Zeitraum können die Unternehmen das durch natürliche Fluktuation und Vorruhestandsregelungen sozialverträglich schaffen.

Wie schnell wird der E-Antrieb den Verbrenner in Teilen verdrängen?

Der Elektroantrieb wird schnell Marktanteile gewinnen, keine Frage. Allerdings werden wir in Märkten wie den USA oder Asien auch noch im Jahr 2040 Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor verkaufen – weil die Infrastruktur für Wasserstoff oder das Batterieladen schlicht nicht vorhanden sein wird.

Übrigens: Neueste Pkw mit der Diesel-Norm Euro 6d-temp haben die niedrigsten Emissionswerte bei Feinstaub und Stickoxid, die es je gab. Der Verbrenner ist also durchaus noch eine Option.

Erlebt der Diesel also eine Renaissance?

Wenn wir uns die aktuellen Zahlen anschauen, dann sehen wir, dass der moderne Diesel insbesondere im Flottengeschäft, bei Firmenwagen, einen sehr stabilen Markt hat. Der Dieselanteil an allen Pkw-Neuzulassungen geht jedenfalls nicht weiter zurück, er liegt bei etwa 30 Prozent – Tendenz leicht steigend.

Köln steht derzeit im Wettbewerb mit anderen Städten um einen neuen Standort für die Internationale Automobil-Ausstellung IAA. Welche Vorstellungen hat die Automobilindustrie für eine Neuausrichtung der Messe?

Die IAA der Zukunft wird ein umfassendes Konzept nachhaltiger individueller Mobilität zeigen. Dabei werden verstärkt auch B2B-Belange berücksichtigt. Ziel ist es zudem, die IAA aus dem reinen Messegelände heraus in die Stadt zu tragen, zum Bürger.

So wollen wir nachhaltige individuelle Mobilität mit allen Sinnen erlebbar machen. Die Entscheidung über die neue IAA und damit auch über die Standortfrage wird Ende Januar 2020 vorliegen. Derzeit haben sich mehrere Städte beworben, es wird also spannend.