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Krieg in der UkrainePlötzlich ist die deutsche Rüstungsindustrie umworben

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Eurofighter

Berlin, Düsseldorf – Die deutsche Rüstungsindustrie bereitet sich auf größere Lieferungen an die Bundeswehr vor. Das Verteidigungsministerium fragte in einer Gesprächsrunde am Montag bereits bei Topmanagern der Branche ab, was ihre Unternehmen kurzfristig bereitstellen können. „Die Bundeswehr soll möglichst schnell in wirkliche Bereitschaft versetzt werden“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), Hans Christoph Atzpodien, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte am Sonntag angesichts der russischen Invasion in die Ukraine eine Kehrtwende in der deutschen Sicherheitspolitik angekündigt. Kurzfristig soll die Bundeswehr, die nach Aussage ihres Heeresinspekteurs „ziemlich blank“ ist, erst einmal einsatzfähig werden. „Wir brauchen Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen und Soldatinnen und Soldaten, die für ihre Einsätze optimal ausgerüstet sind“, hatte Scholz gesagt. Darüber hinaus sollen 100 Milliarden Euro für die Modernisierung der Armee bereitgestellt und die Nato-Ziele für den Verteidigungshaushalt übererfüllt werden. In den Unternehmen werde aktuell geprüft, was sie kurzfristig bereitstellen könnten, sagte Atzpodien.

Rheinmetall liefert nicht „über Nacht“

Armin Papperger, Präsident des Verbands und Vorstandschef des Rüstungskonzerns Rheinmetall, hat der Bundesregierung bereits einen Megadeal angeboten: Von Munition bis zu Kettenfahrzeugen könne Rheinmetall in den nächsten zwei Jahren Gerät im Wert von 42 Milliarden Euro liefern. „In vielen Werken arbeiten wir im Einschichtbetrieb, wir können auch rund um die Uhr arbeiten“, sagte er. Gleichwohl werde Rheinmetall aber nicht „über Nacht“ liefern können. Für Munition brauche das Unternehmen sechs bis zwölf Monate. Bei Radpanzern könne das Unternehmen in 15 bis 18 Monaten liefern und bei Kettenfahrzeugen in 24 bis 28 Monaten. Engpässe in den Lieferketten erwartet Papperger auch bei einem steigenden Auftragsvolumen nicht.

Sein Unternehmen habe sich vorbereitet und bereits Materialien und auch Halbleiter angeschafft, sagte er. Allerdings erwartet der Rheinmetall-Chef nach eigenen Angaben nicht nur Aufträge von der Bundeswehr, sondern auch von anderen Ländern. Er habe bereits Anfragen aus einer Reihe von Nato-Ländern vor allem aus Osteuropa erhalten, sagte er.

Auch neutrale Staaten beliefert

Rheinmetall mit Sitz in Düsseldorf gilt als wesentlicher Ausrüster der Bundeswehr und anderer westlicher Streitkräfte. Zum Produktportfolio des Rüstungskonzerns gehört etwa der Kampfpanzer Leopard II, der in Zusammenarbeit mit dem anderen Waffenproduzenten Krauss-Maffei Wegmann entsteht. Er ist nicht nur bei Bundeswehr und vielen Natostaaten im Einsatz, sondern auch bei neutralen Ländern des Westens wie Österreich, Finnland oder der Schweiz.

Im gleichen Konsortium entwickelt Rheinmetall den Schützenpanzer Puma, der bei der Bundeswehr den veralteten Marder ersetzt, was bislang nur schleppen vonstatten ging. Rheinmetall bietet auch diverse Luftabwehrsysteme. Um schnell Material bereitzustellen, müssten sich die Beschaffungsabläufe bei der Bundeswehr aber grundlegend ändern, forderte Atzpodien. „Wir brauchen jetzt einen undogmatischen Ansatz. Vergaben ohne Ausschreibungen sind zum Beispiel rechtlich möglich.“ Die Branche kritisiert den Einkauf des Verteidigungsministeriums seit Jahren als unnötig langwierig und kompliziert. Vor allem würden Anforderungen an Geräte definiert, die es in keinem anderen Land gebe.

„Die Beschaffung muss standardisiert werden. Mit ungezählten Sonderanforderungen haben wir uns kollektiv in eine Sackgasse bewegt“, sagte der frühere Thyssenkrupp-Manager. Reformversuche sind offenbar nicht weit gediehen: „Die Beharrungskräfte im Beschaffungssystem sind von jeher nicht zu übersehen.“

Druck von mehreren Seiten

Das könnte sich jetzt ändern. „Bis zur Annexion der Krim hatte niemand mit uns was am Hut“, sagt Atzpodien. Erst ab 2014 habe sich die Politik langsam wieder für Sicherheitstechnik interessiert, seit der vergangenen Woche stehe das Thema ganz oben auf der Agenda: „Man spürt jetzt einen Ruck.“

In den vergangenen Jahren fühlte sich die Branche in die Schmuddelecke gestellt und geriet von mehreren Seiten unter Druck: Im Inland hatte die Bundeswehr weniger Geld für Aufträge, gleichzeitig ist Deutschland vergleichsweise restriktiv bei Rüstungsexporten. Die Industrie beschäftigt nach eigenen Angaben rund 135.000 Menschen in Deutschland und liefert eine direkte Bruttowertschöpfung von rund zwölf Milliarden Euro. Zu den größten Unternehmen nach Airbus und Rheinmetall zählt das deutsch-französische Gemeinschaftsunternehmen KNDS, zu dem der Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann gehört. Nummer vier in der Rangliste ist Hensoldt, ein Elektronikspezialist, der 2017 von Airbus abgespalten wurde und inzwischen wie Rheinmetall an der Börse notiert ist.

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Nach der Scholz-Rede hatten die Börsenanleger am Montag bereits auf Großaufträge gewettet. Der Kurs von Rheinmetall war um ein Viertel hochgesprungen und kletterte am Dienstag weiter. Hensoldt gewann am Montag 40 Prozent an Wert und legte am Dienstag noch 20 Prozent nach. Russlands Invasion in die Ukraine habe das Umfeld für den gesamten europäischen Verteidigungssektor grundlegend verändert, schrieb David Perry von der US-Bank JPMorgan in einer Analyse. Perry rechnet europaweit mit deutlich höheren Verteidigungsausgaben als bisher erwartet. Außerdem kämen mehr Investoren zu der Einschätzung, dass Verteidigung notwendig sei, um Frieden und Demokratie zu bewahren – und damit Nachhaltigkeitskriterien entspreche.

Forderung nach Anerkennung

Nachhaltigkeit ist der große Trend im Geldgeschäft. Zwar sind sich Investoren und Behörden nicht einig, was genau als nachhaltige Geldanlage gelten soll. Dass Wehrtechnik nicht dazu gehöre, war bisher aber so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner. Vor allem für die Mittelständler in der Sicherheitsbranche sei das zunehmend zum Problem geworden, sagt Atzpodien. Sie bekämen zum Teil keine Kredite und keine Betriebshaftpflichtversicherungen mehr. „Banken und Versicherungen ziehen sich aus Sorge vor Reputationsrisiken zurück.“

Eine wichtige Rolle spielt dabei die so genannte Taxonomie, mit der die EU definiert, welche Finanzanlagen als nachhaltig gelten. Der BDSV fordert die Aufnahme seiner Branche in diese Liste und wirbt mit dem Satz: „Sicherheit ist die Mutter aller Nachhaltigkeit.“ Die Finanzierung der Unternehmen müsse gesichert bleiben, sagt Atzpodien. Wenn Kredite versiegten, müsse der Staat einspringen: „Entweder, unsere Branche wird mit ihrem Beitrag zu Sicherheit und Frieden von der Politik als nachhaltig anerkannt, oder der Staat muss sich um die Finanzierung kümmern.“