Streitgespräch der WocheSollten Lebensmittel teurer werden?
- Jede Woche widmen wir uns im Streitgespräch einem aktuellen Thema.
- In dieser Episode fragen wir: Sollten Lebensmittel teurer werden?
- Ressortleiterin Magazin/Freizeit Maria Dohmen sagt ja, denn wir brauchen längst eine ökologische Landwirtschaft.
- Thorsten Breitkopf, Leiter des Wirtschaftsressorts, hält dagegen: Höhere Preise zwingen nur die Ärmsten zum Verzicht.
Pro: Ökologische Landwirtschaft ist längst ein kategorischer ImperativWer sagt, unsere Lebensmittel kosten zu wenig, dem wird häufig die Arroganz des Bessergestellten vorgeworfen. Denn ist es nicht eine Errungenschaft, dass wir alle Fleisch zu obszön niedrigen Preisen kaufen können, dass Milch weniger kostet als Cola? Nein, ist es eben nicht. Dumpingpreise haben unsere Lebensmittel buchstäblich entwertet. Wie leicht sich das billige Zeug wegwerfen lässt!
Demokratisch ist das alles schon gar nicht. Im Gegenteil schafft die derzeitige Verfasstheit des Marktes zwei Klassen: Die eine kann es sich leisten, hochwertig zu kaufen, bio, fair produziert, regional und handwerklich erzeugt – kurz: besser, nachhaltiger, manchmal gesünder und teurer. Und die Ärmeren und Knauser? Können ja billiges Quälhuhn, Massen-Schwein und zum Preis nitratverseuchten Grundwassers hergestellte Feldfrüchte essen. Gerechtigkeit sieht anders aus.
Der Konsument ist gefragt
Überhaupt ist es gar nicht so einfach, sich für die „richtigen“ Produkte zu entscheiden. Für die mit einem geringen CO2-Fußabdruck, für die, die möglichst wenig Tierleid verursachten, die von Produzenten stammen, die nicht nach der Maxime der Gewinnmaximierung wirtschaften. Das erfordert ein hohes Maß an Wissen über Herkunft, Handelswege und Produktionspraktiken – ein Anspruch, der viele schlicht überfordert. Warum sollte also nicht die Politik dafür sorgen, dass alle Verbraucher mit gutem Gewissen einkaufen können? Einfach, weil sie darauf vertrauen können, dass Tier- und Umweltschutz bei jeder Produktion adäquat berücksichtigt worden sind? Da darf auch das Thema Schutzzölle kein Tabu bleiben.
Bei der Forderung nach höheren Lebensmittelpreisen geht es aber nicht nur um die Gesetze des Marktes. Es geht auch darum, wie die Landwirtschaft der Zukunft in Deutschland aussehen soll. Müssten wir mit dem Steak auch dessen Umweltschäden bezahlen, fiele sein Preis viel höher aus. Das hat die Uni Augsburg 2018 detailliert errechnet. Besonders tierische Produkte aus konventioneller Erzeugung müssten deutlich teurer sein, gerade Rindfleisch ist mit dem extremen Flächen-, Futter- und Wasserbrauch und Tonnen an Treibhausgasen ein Umweltdesaster. Bio-Milch bräuchte dagegen nur ein geringes Preisplus.
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Der Wunsch, die industrielle Landwirtschaft nachhaltig umzugestalten kann nicht mehr als Ideologie abgetan werden. Er hat sich längst zu einem kategorischen Imperativ entwickelt. Höhere Ansprüche an Tierwohl, Umwelt- und Klimaschutz münden in konkrete To Dos für die Bauern: Ställe tiergerecht umbauen, weniger und anders düngen, Böden, Pflanzen und Insekten schützen – das alles kostet Geld. Dreh- und Angelpunkt sind hier vor allem die Agrarsubventionen, von denen Klein- und Biobetriebe derzeit kaum profitieren – dabei sind sie für Deutschland in vieler Hinsicht unschätzbar wertvoll.
Aktuell gehen 80 Prozent der Subventionen an 20 Prozent der Betriebe. Nur ein ganz kleiner Prozentsatz kommt bäuerlichem Umwelt-Engagement zugute. Dabei braucht eine zukunftsfähige Landwirtschaft dringend mehr Mittel, damit aufwendigere und schonendere Produktion guter Lebensmittel unterstützt werden kann. Und das funktioniert zu einem höheren Preis.
Maria Dohmen, 46, Ressortleiterin Magazin, Freizeit & Ratgeber, versucht dem eigenen Garten eine Ernte abzuringen und erlebt so noch mal ganz neu, wie wertvoll gute Landwirtschaft ist.
Contra: Höhere Preise zwingen die Ärmsten nur zum Verzicht
Ob es um Umweltschutz geht, um Sozialstandards oder um Tierwohl – immer wieder flammt die Forderung auf, Lebensmittel müssten teurer werden. Fakt ist aber, dass die hehren Ziele durch dieses Instrument dann ausschließlich auf dem Rücken der ärmsten Schichten unserer Bevölkerung ausgetragen würden. Für die Menschen mit einem hohen oder mittleren fünfstelligen Jahreseinkommen änderte sich nämlich wenig. Diese Haushalte sind auch heute schon finanziell in der Lage, sich deutlich teurere Biolebensmittel zu kaufen, inklusive Tierschutz- und Klima-Label. Und viele tun es auch. Genau aus dieser Gruppe der Verbraucher hört man aber heute den lautesten Ruf, Lebensmittel wie Discounter-Fleischwurst, Minutensteak, Dönerspieß, Frischmilch oder Leberkäse zu verteuern.
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Für gut ein Fünftel der Deutschen aber würde eine generelle Erhöhung der Lebensmittelpreise den schlichten Verzicht auf Produkte wie Fleisch bedeuten. Das ist ungerecht und unsozial. Es ist eine Errungenschaft des wiederaufgebauten Deutschlands und seiner effizienten Landwirtschaft, dass heute alle Schichten im Land weitgehend das essen können, was sie mögen, und das zu allen Jahreszeiten.
Die Zeiten, in denen nur sonntags was Leckeres auf dem Tisch stand und unter der Woche nur Maisbrot mit Margarine und dünne Suppe, sind zum Glück überwunden. Die Jahrgänge vor 1940 werden sich erinnern können, wie sich echter Mangel und ein knurrender Magen anfühlen. Diese Zeiten dürfen wir uns unter keinen Umständen zurückwünschen. „In Deutschland leben rund 13 Millionen Menschen in Armut oder an der Armutsgrenze. Günstige Lebensmittelpreise ermöglichen diesen Menschen eine gesunde und sichere Ernährung“, hat Rewe-Chef Lionel Souque diese Woche gesagt. Und er hat Recht.
Ist ein teures Lebensmittel automatisch gut für das Klima?
Obendrein stellt sich die Frage, wie man auf den Schluss kommt, dass teurere Lebensmittel automatisch gut sind für Klima, Tierschutz und die Erzeuger. Oder ob nicht am Ende dadurch die Gewinne des Handels oder der Verarbeiter und Importeure steigen – bei gleichbleibender Massentierhaltung und CO2-intensiven Transporten.
Dass höhere Preise keineswegs zu mehr Ökologie und Tierschutz führen, zeigt der Blick in andere Länder. In der EU zahlen die Spanier mit 15 Prozent ihres Einkommens am meisten fürs Essen (Deutschland 9,8 Prozent). In Bosnien sind es sogar 30 Prozent. Doch weder Spanien noch Bosnien sind Staaten, die für besonderes Tierwohl oder Ökologie bekannt sind.Vollkommen falsch wäre es nun, Schutzzölle zu fordern, um so genannte Dumping-Lebensmittel vom deutschen Markt fernzuhalten. Protektionismus führt immer zu Arbeitsplatzverlust und einem Weniger an Wohlstand und Sozialstandard auf beiden Seiten.
Wer beim Lebensmittelkauf ein gutes Gewissen haben möchte, der kann ja Bioprodukte kaufen, bereits heute. Aber freiwillig. Zahlreiche Labels weisen regionale und tierkonforme Waren schon jetzt aus. Wer sich dies nicht leisten kann – oder möchte – der greift zur preiswerteren Alternative, die weder zwingend ungesünder noch unmoralischer sein muss.
Thorsten Breitkopf, 42, Ressortleiter Wirtschaft, liebt selbst erlegtes hochwertiges Wild ebenso wie preiswerte Currywurst in der Kantine und möchte sich nicht vorschreiben lassen, welche Lebensmittel er in Restaurant oder Supermarkt ordert.