Lebensmittellogistik in NRW„Kein LKW kommt effektiv von A nach B“
- Trotz Systemrelevanz profitiert die Lebensmittellogistik nicht von der Pandemie. Den Unternehmen fehlt Umsatz, die Kapazitäten sind nicht ausgelastet.
- Carsten Taucke, Geschäftsführer der Nagel Group, erklärt, dass manches Problem schon vor der Krise offenlag. In Deutschland fehle es an einer guten Infrastruktur und gutem Netz.
- Die Bundesvereinigung Logistik fordert eine Abkehr vom Zeit- und Kostenprimat. Stattdessen müsse die Branche nachhaltiger werden.
Köln – Die Logistik bleibt im Krisenmodus. 57 Prozent der Unternehmen in NRW erwarten, dass sich die Geschäftslage weiter verschlechtert. Fast die Hälfte der Betriebe berichtet von Umsatzeinbußen. Die Kapazitätsauslastung ist gesunken, der Transportumsatz zurückgegangen. Das geht aus Befragungen im Rahmen des NRW Logistikindex aus dem Juli hervor. In Versmold sitzt Deutschlands größter Lebensmittelspediteur und Distributeur. Die Nagel Group rangiert unter den 20 größten Logistikunternehmen in Europa. Rund 13 000 Beschäftigte haben während der Pandemie dafür gesorgt, dass die Regale in den Supermärkten gefüllt blieben, trotz Hamsterkäufen.
Keine echte Erholung
Eine systemrelevante Aufgabe, wie Geschäftsführer Carsten Taucke betont. Mehr Umsatz konnte Nagel darum aber nicht verbuchen, im Gegenteil. „Die Lebensmittellogistik gehört nicht zu den Profiteuren der Krise. Seit dem Einbruch im April hat es keine echte Erholung gegeben. Die Bereiche Hotel und Gastronomie sind weggefallen und auch die privaten Grillpartys finden nicht statt. Manche Produkte werden darum nicht ausreichend nachgefragt“, erklärt Taucke. Zeitweise bewältigten die Mitarbeiter 20 Prozent mehr Volumen. Gleichzeitig verlangsamten die Maßnahmen gegen die Pandemie aber die Prozesse, Lieferketten funktionierten nicht mehr reibungslos.
Logistik in NRW
Mehr als 360 000 Menschen in NRW sind in der Logistik beschäftigt (Stand 2018). An der Gesamtbeschäftigung hat die Branche einen Anteil von 5,3 Prozent. Etwa 24 000 Unternehmen erwirtschaften jährlich rund 68 Milliarden Euro. Von den 25 größten Logistikunternehmen haben neun ihre Zentrale in NRW. (eku)
Nagel hat 130 Standorte in ganz Europa. „Der Stillstand in Produktionsunternehmen verursachte Vollbremsungen im Materialzulauf, der Lockdown des Fertigproduktehandels beispielsweise bei Automobilen stoppte Distributionsaktivitäten, der Lockdown der Gastronomie stoppte Warenflüsse bei verderblichen Gütern. Außerdem verlangten Lieferengpässe aus früh und massiv betroffenen Ländern wie Italien sowie die Schließung von Schengen-Grenzen schnelles und flexibles Agieren“, erklärt Thomas Wimmer vom Bundesverband Logistik die Kettenreaktion.
Wegen niedrigerer Produktivität und fehlendem Umsatz konnten bei Nagel inzwischen auch externe Mitarbeiter nicht weiterbeschäftigt werden. Carsten Taucke bedauert das, sagt aber, dass das Unternehmen auf flexible Modelle wie Zeitarbeit angewiesen ist. Ohne staatliche Hilfen sähe es in der gesamten Logistik und anderen Branchen „zappenduster aus“. Auch Wimmer betont, dass durch Staatshilfen der Abbau von Stellen verhindert werden konnte. Rund drei Prozent der Beschäftigten in der Logistik werden aber noch gehen müssen, schätzt er.
Schwund an Unternehmen
Jedes fünfte Unternehmen in NRW berichtete, dass es inzwischen weniger Wettbewerber in der Logistikbranche gibt, so ein Ergebnis des NRW Logistikindex. Das beobachtet auch Carsten Taucke. Er weiß von Konsolidierungsbestrebungen und ist überzeugt, dass die Pandemie zu einer Marktbereinigung führen wird. Das Margenniveau in der Logistik sei gering, einstellig bis zu fünf Prozent. Die Unternehmen hätten darum kein großes Polster. Auch regulationspolitische und infrastrukturelle Mängel in Deutschland schaden dem Geschäft. „Kein LKW kommt effektiv von A nach B. Das verteuert die Lieferkette“, sagt Taucke. Es fehle an Glasfasernetzen, um Technik überhaupt nutzen zu können. Probleme, die es schon vor der Pandemie gab und seiner Einschätzung nach hausgemacht sind.
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Entwicklungen wie der Boom im Versandhandel rücken sie in den Fokus. Der zusätzliche Lieferverkehr müsse mit „intelligenten Logistikkonzepten“ organisiert werden, sagt Thomas Wimmer. Dabei spiele Effizienz eine Rolle, aber auch Nachhaltigkeit. Denn kein Logistiker habe Interesse daran, Ressourcen zu verschwenden. Das ökologischere Angebot kostet aber oft mehr: „Wird der höhere Preis vom Verbraucher akzeptiert, kann der Logistikdienstleister umweltschonender liefern. Wohlgemerkt: es geht hier nicht um höhere Margen für den Logistikdienstleister, sondern um höhere Kosten, die weiterberechnet werden müssen. Ökologie muss man wollen, dann findet man auch die Wege dahin“, so Wimmer.
Er fordert, das Primat der Ressourcen-, Kosten - und Zeiteffizienz in der Logistikbranche zu überdenken. „Solange die Rahmenbedingungen stimmen, können Wertschöpfungsketten und Logistiksysteme optimal oder mit sehr geringen Fehlerquoten funktionieren“, sagt er. Auf nur einen Versorgungsweg zu setzen, könne effizient sei. In der Krise aber sei die Zusammenarbeit mit mehreren Lieferanten der verlässlichere Weg. Am Ende der Kette stehe der Kunde, der bereit sein müsse, für robuste und nachhaltige Lieferketten mehr zu zahlen.