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Richenhagen im Interview„Manche Chefs fand ich unmöglich“

Lesezeit 5 Minuten
Martin Richenhagen in New York

Martin Richenhagen wurde in Köln geboren und war in den USA Spitzenmanager.

  1. Martin Richenhagen hat es vom Kölner Religionslehrer zum US-Konzernchef geschafft
  2. Im Interview spricht er über seine katholischen Wurzeln in Köln und sein Karrieregeheimnis
  3. Und stellt die These auf, dass Chefs nicht motivieren, sondern nur demotivieren können

Herr Richenhagen, Sie haben eine außergewöhnliche Karriere hinter sich - vom Religionslehrer in Köln zum Vorstandschef des US-Landtechnik-Unternehmens Agco. 16 Jahre standen Sie an der Spitze des Fortune-500-Konzerns. Haben Sie noch ein Stück Heimatverbundenheit zu Köln oder hat sich das durch Ihr langes Leben in den USA relativiert?Martin Richenhagen: Es mag erstaunlich klingen, aber ich fühle mich eigentlich immer noch als Kölner. Köln ist vielleicht nicht die schönste Stadt und man würde sich etwas mehr Stadtplanung und Visionen wünschen. Aber der Satz „Köln ist ein Gefühl“ stimmt für mich immer noch. Die rheinische Leichtigkeit, der Humor und die Lebensart prägt einfach.

Sie beschreiben in Ihrem neuen Buch Ihre Kindheit und Jugend in einem sehr katholischen Umfeld. Sie sind in der Bruder-Klaus-Siedlung in Mülheim aufgewachsen, Ihre Familie war sehr in das Gemeindeleben eingebunden. War das im Rückblick sehr behütet oder auch sehr beengend?

Für mich war es erstmal schön, so eingebettet aufzuwachsen, in einem Umfeld, wo alles geregelt ist und man davon ausgeht, dass es dort oben jemanden gibt, der auf einen aufpasst. Ab der Pubertät wurde es dann aber schwieriger, da habe ich diesen konservativen Katholizismus schon als sehr spießig empfunden. Ich bin dann zum Studium nach Bonn gegangen und das mitten in der 68er-Bewegung. Da habe ich mich aus vielem befreien können.

Zur Person

Martin Richenhagen (68) wurde in Köln geboren. Von 2004 bis 2020 war er Chef der AGCO Corporation und lebt in Duluth (Georgia, USA). Zuvor arbeitete er als Lehrer für Religion und Französisch am Gymnasium in Frechen.

Nach seiner Verbeamtung entschloss er sich auf Anraten des BDI-Präsidenten Jürgen Thumann, den er vom Reitsport kannte, in die Wirtschaft zu wechseln. AGCO ist heute der drittgrößte Landmaschinenhersteller der Welt. Dazu gehört die in Deutschland bekannte Traktormarke Fendt. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und vier Enkelkinder.

„Der Amerika-Flüsterer“,Edel Books, 24,95 Euro

Hat der Katholizismus auf Ihrem Karriereweg eine Rolle gespielt?

Die Religion im engeren Sinne sicher nicht. Ich gehe auch sehr selten in die Kirche und wie mein Onkel immer sagte: „Der liebe Gott ist großartig, aber dieses Bodenpersonal ...“. Ich bin davon überzeugt, dass im Diesseits nicht alles reiner Zufall ist und wir im Jenseits den Sinn erfahren – wer weiß, von wem, vielleicht von einem alten weißen Mann oder vielleicht einer jungen Frau (lacht). Aber die mit der Religion verbundenen Wertvorstellungen haben mein Handeln schon beeinflusst.

Inwiefern?

Ich bin davon überzeugt, dass Menschen ein Recht auf eine gute Ausbildung, ein ordentliches Zuhause, eine gute Ernährung, Frieden und eine Arbeit haben, von der man leben kann. Dafür kann man sich wie ich an der Spitze eines Unternehmens einsetzen, was ich getan habe.

Können Sie Beispiele benennen?

Wir haben es bei Fendt hingekriegt, dass wir den Mitarbeitern eine betriebliche Altersversorgung zugesagt haben, was ja heute eher ungewöhnlich ist. Ich habe mich auch früh für Afrika interessiert, als Markt, in den man investieren sollte. In Politik und Wirtschaft sollte es weltweit wieder eine stärkere Besinnung auf menschliche und ethische Grundwerte geben, die in allen großen Religionen verankert sind.

Aber als Vorstandschef eines börsennotierten Unternehmens sind in der Regel Quartalszahlen, Gewinnorientierung und das Wohl der Aktionäre die bestimmenden Größen. Der Spielraum für vermeintliche Wohltaten dürfte minimal sein.

Klar, auch ich habe harte Sanierungen durchziehen müssen, worauf ich nie stolz war. Ich habe immer versucht, es zu umgehen, indem ich Wachstum des Unternehmens forciert habe. In der Finanzkrise haben wir uns nicht damit beschäftigt, Arbeitsplätze abzubauen, sondern zu investieren und das in Verbindung mit einer Arbeitsplatz-Garantie. Man muss aber auch so denken wollen und nicht immer zuerst auf Entlassungen und Werksschließungen schauen.

Zurück zu Ihrer Biografie. Sie haben sich aus der Sicherheit eines verbeamteten Lehrerjobs heraus für den Wechsel in die freie Wirtschaft entschieden. Wie kam es dazu?

Ich hatte kein Konzept oder eine Vision, dass ich irgendwann mal Geschäftsführer oder Vorstand sein wollte. Meine Motivation war eine ganz andere: Als leidenschaftlicher Dressurreiter konnte ich mir damals nur ein Pferd für 5000 D-Mark leisten. Ich dachte, wenn Du in der Wirtschaft mehr Geld verdienst, kannst Du Dir auch ein besseres Pferd leisten – das war der wahre Anreiz. Allerdings hatte ich dann später kaum noch Zeit zu Reiten, weil ich so viel gearbeitet habe.

Sie verdanken also den Pferden Ihre Karriere?

Ja, in gewisser Weise schon. Natürlich hat es mich auch gereizt, im BWL-Fernstudium etwas ganz Neues zu lernen und ganz andere Dinge zu machen. Irgendwann waren meine Ziele dann 100 000 DM Jahresgehalt, ein Dienstwagen und Prokura. Das hatte ich relativ schnell erreicht und damit waren meine großen Ziele erstmal erledigt.

Und dann?

Was mich, glaube ich, voran gebracht hat war, dass ich mich immer für die Sache interessiert habe und meine Aufgaben immer so gut gemacht habe, wie ich konnte. Ich war immer selbst motiviert und glaube im Übrigen gar nicht, dass man Menschen motivieren kann. Man kann sie nur demotivieren.

Führungskräfte können generell nicht motivieren?

Man kann niemanden, der vielleicht sogar schon innerlich gekündigt hat, von außen dazu bringen, Top-Leistungen zu erbringen. Das muss von innen kommen, dafür muss es aber ein gutes Umfeld geben. Ich hatte viele Chefs, die ich unmöglich fand, weil sie einen ständig gegängelt und bevormundet haben. Ich habe das als Chef anders gemacht, und zwar: Den Menschen etwas zutrauen, Ziele vereinbaren und Freiraum lassen.

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Sie sind seit Kurzem im Ruhestand. Wie geht es Ihnen damit?

So einen richtigen Ruhestand habe ich noch gar nicht empfunden. Dafür gab es zu viele Termine und Interviews zum neuen Buch. Wenn diese Welle vorbei ist, wird es hoffentlich gemütlicher.

Fehlt Ihnen die Arbeit und das Büro?

Nein, überhaupt nicht. Man lebt so eingebunden in die Zyklen von Quartalsberichten und Budgets. Das ist jetzt eine richtige Befreiung.