Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Milliarden für VerteidigungWie kann Europa die schnelle Aufrüstung gelingen?

Lesezeit 4 Minuten
Ein Panzer schwebt in der Fertigungshalle.

Ein Panzer schwebt in der Fertigungshalle. (Symbolbild)

Um die Verteidigung zu stärken, muss die Rüstungsindustrie ihre Kapazitäten massiv hochfahren und Fachkräfte in großer Zahl finden. Ist das möglich?

Die Europäische Union will ein nie dagewesenes Aufrüstungsprogramm auf den Weg bringen. Deutschland soll dabei eine Führungsrolle spielen. Wir erläutern, welche Themen nun schnell angegangen werden müssen, damit Europas Aufrüstung gelingt.

Das Finanzvolumen

Die Hochrechnungen von Ökonomen und Rüstungsexperten gehen weit auseinander. Sie variieren für Deutschland zwischen zwei und fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die EU-Kommission hat in ihrem ReArm Europe-Plan ein Volumen für die gesamte Union von fast 800 Milliarden Euro vorgesehen. Hier geht es um einen überschaubaren Zeitraum. So rechnet die Kommission vor, dass 650 Milliarden in den nächsten vier Jahren aktiviert werden können, „wenn die Mitgliedsstaaten ihre Verteidigungsausgaben im Durchschnitt um 1,5 Prozent des BIP erhöhen würden“.

Moritz Schularick, Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, geht für Deutschland von insgesamt 3,5 Prozent des BIP aus. Experten der Bertelsmann-Stiftung halten 2,7 Prozent für ausreichend und kommen alles in allem auf Kosten in Höhe von 610 Milliarden Euro – allerdings für 15 Jahre. Diese Schätzung beruft auf der Annahme, dass die USA ihre Truppen aus Europa abziehen und die europäischen Staaten die entstehenden Lücken bei den militärischen Fähigkeiten füllen müssen.

Die Waffensysteme

Ein großer Konsens besteht darin, dass Raketen- und Drohnenabwehrsysteme aufgebaut werden müssen. Die EU-Kommission hat dies als einen der zentralen gesamteuropäischen Fähigkeitsbereiche eingeordnet. Derzeit spielt dabei das amerikanische bodengestützte Flugabwehrraketen-System Patriot eine entscheidende Rolle. Um von den USA unabhängig zu werden, wird auch erwogen, Patriot quasi nachzubauen.

Doch Torben Schütz, Militärexperte der Bertelsmann-Stiftung, sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Das Nachbauen von vorhandenen US-Systemen empfiehlt sich nicht. Denn mit zunehmender Komplexität wird das auch zunehmend schwierig. Besser ist, auf die eigenen Fähigkeiten zu setzen und eigene Systeme zu entwickeln.“ So könnte als Alternative für Patriot das neue französisch-italienische Flugabwehrsystem SAMP/T NG infrage kommen. Allerdings sind derzeit die Produktionskapazitäten laut Experten extrem niedrig. Von ein bis zwei Systemen pro Jahr ist die Rede.

Intensiv diskutiert wird über Hightech-Waffen – insbesondere über Drohnen. Von Schularick, der auch zu den Beratern von Union und SPD bei den Sondierungsverhandlungen gehörte, stammt die Idee eines „Drohnenwalls“, der an der Ostgrenze der Nato einen russischen Angriff abwehren soll. „Die Erfahrung in der Ukraine ist aber, dass zum Beispiel Artillerie genauso wichtig ist, um anrückende feindliche Einheiten zu bekämpfen“, betont Schütz und fügt hinzu: „Will eine Armee beispielsweise einen großen mechanisierten Angriff aufhalten, dann können genauso gut Sperren als physische Hindernisse, Minen und Helikopter mit weitreichenden Panzerabwehrraketen genutzt werden.“

Die Kapazitäten der Rüstungsindustrie

„Tendenziell lässt sich sagen, dass die europäische Rüstungsindustrie die meisten der notwendigen Produkte liefern kann, denn das technologische Niveau ist hoch“, so Schütz. Zugleich macht er auf Lücken aufmerksam: Schwere Transporthubschrauber, Kampfflugzeuge der 5. Generation und weitreichende Raketenartillerie wurde bislang in den USA gekauft. Doch Letzteres könne auch beispielsweise in Südkorea, Israel oder der Türkei erworben werden. In puncto Lieferzeiten sei bei Kampfflugzeugen die Kapazität europäischer Rüstungsfirmen groß. Am anderen Rand des Spektrums stehen nach seinen Worten unter anderem Kampfpanzer – vor allem, weil sie in den vergangenen Jahren nicht nachgefragt wurden.

Als Erstes müsse geklärt werden, „wie geht man mit Genehmigungsprozessen um“, sagte Christian Mölling, Politologe bei der Bertelsmann-Stiftung. „Hier kann sich die Politik entscheiden, eine Schneise in die Bürokratie zu schlagen.“ Hinzukommen müsse, den Unternehmen das Geld gesichert zur Verfügung zu stellen – beispielsweise über langfristige Abnahmezusagen. Als Alternative schlägt er nach dem Vorbild der USA vor, dass der Staat sich um die Zertifizierungen der Rüstungsgüter kümmert und die Produktionsanlagen aufbaut. Die Unternehmen würden dann die Fabriken betreiben, was deren wirtschaftliche Risiken deutlich reduzieren würde.

Mölling spricht derweil von „zwei Flaschenhälsen“. Erstens: Rohstoffe und Komponenten. Zweitens: Fachkräfte, die die Rüstungsgüter fertigen. Wobei die Malaise der Automobilindustrie bei Letzterem zu einer Chance für die Rüstungsindustrie werden könnte. Denn insbesondere Zulieferer bauen in großer Zahl Stellen ab. Pilotcharakter könnte das bereits im vorigen Sommer gestartete Projekt von Continental mit dem hierzulande führenden Rüstungskonzern Rheinmetall bekommen. Vereinbart wurde, dass bis zu 100 Beschäftigte vom Conti-Standort Gifhorn zu Rheinmetall im 55 Kilometer entfernten Unterlüß wechseln. (rnd)