Neuer Chef der GothaerOliver Schoeller über Corona und wirtschaftliche Verluste
- Mitten in der Pandemie übernimmt bei der Gothaer-Versicherung eine neue Führung. Seit heute ist Oliver Schoeller Chef des Gesamtkonzerns.
- Seit 2008 ist der gebürtige Aachener im Unternehmen. Im Gespräch erzählt er von den Auswirkungen der Pandemie und den wirtschaftlichen Einbußen.
- „Natürlich werden wir die Folgen der Krise bilanziell spüren“, so Schoeller. Die Gefahr einer zweiten Welle sieht er noch nicht gebannt.
Herr Schoeller, die Gothaer Versicherung wird heute 200 Jahre alt. Wo liegen die Anfänge des Unternehmens?
Am 2. Juli 1820 gründete der Kaufmann und Holz- und Steingut-Unternehmer Ernst Wilhelm Arnoldi die Gothaer Feuerversicherungsbank. Es war eine der großen Pionierleistungen in der Branche, denn in der Zeit gab es noch keine überregional tätigen deutschen Versicherungen. Den Markt beherrschten englische Anbieter mit hohen Beiträgen und dürftigen Leistungen. Als nach einem Brand in der Tabakfabrik seines Vetters die Londoner Feuerversicherung einmal mehr nicht zahlte, entwickelte Arnoldi die Idee, dass die deutschen Fabriken und Manufakturen gemeinsam eine Feuerversicherung gründen.
Zur Person
Oliver Schoeller, 1971 in Aachen geboren, hat am 1. Juli den Vorstandsvorsitz im Gothaer Konzern übernommen. Er studierte BWL in Bayreuth. Im Anschluss arbeitete er als Unternehmensberater etwa bei der Mitchell Madison Group sowie als Geschäftsführer bei Baldwin Bell Green in Hamburg und New York. 2008 wechselte Schoeller zur Gothaer, 2010 wurde er als Chief Operating Officer in den Vorstand berufen. 2017 hat er den Vorstandsvorsitz bei der Gothaer Krankenversicherung AG übernommen.
Alle Kaufleute haben ein ähnliches Risiko, jeder zahlt einen Betrag in die Versicherung ein, und von diesem Geld werden dann die Schäden beglichen. Rund 180 Kaufleute schlossen sich dem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit an. Und nur wenige Jahre später war das Monopol der Engländer Geschichte. Das war der Beginn der bewegten Geschichte der Gothaer. Der Pionier Arnoldi gilt bis heute als Vater der deutschen Versicherungswirtschaft.
Welche Ideale dieser Zeit prägen das Unternehmen noch heute?
Erstens ist die Gothaer bis heute ein Unternehmer-Unternehmen. Herzstück der Kunden ist der deutsche Mittelstand. Aber auch innerhalb des Unternehmens ist die unternehmerische Perspektive ganz zentral. Zweiter Punkt ist der solidarische Gedanke. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Gothaer Mitarbeiter wichtige Unterlagen in Rucksäcken aus der russischen Besatzungszone über die grüne Grenze nach Göttingen gebracht, wohin dann Teile des Unternehmens umsiedelten. Heute zeigt sich die große Solidarität in der Corona-Krise etwa dadurch, dass Mitarbeiter Überstunden oder Urlaub für Kollegen spenden, die Kinder betreuen mussten oder Angehörige pflegen.
Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie durch die Pandemie auf das Unternehmen?
Wir sind ein stabiles, sehr breit aufgestelltes Unternehmen. Wir waren sehr früh mit Corona befasst, weil die Gothaer der Gesundheitsdienstleister des Autozulieferers Webasto im Landkreis Starnberg ist – eines der ersten Unternehmen mit einer Corona-Infektion. Webasto war sozusagen der unternehmerische Patient null. Wir haben das Unternehmen bei den notwendigen Maßnahmen unterstützt und vieles davon auch sofort bei uns umgesetzt. Zentrale und Vertrieb gingen ins Homeoffice. Ich war selber beeindruckt, wie schnell das ging, ohne dass Service und Qualität eingeschränkt wurden.
Mit welchen wirtschaftlichen Einbußen rechnen Sie in diesem Jahr?
Unser Konzern erwirtschaftet über 50 Prozent der Beiträge aus dem Firmenkundengeschäft. Natürlich werden wir die Folgen der Krise bilanziell spüren, sonst würden wir unsere Kunden nicht angemessen begleiten. Wir arbeiten mit verschiedenen Szenarien. Bislang wurde die Pandemie in Deutschland hervorragend gemanagt – aber es besteht immer noch die Gefahr einer zweiten Welle.
Wie sieht es in den Sparten aus?
In der Krankenversicherung werden wir einen substanziellen Beitrag leisten müssen, insbesondere aus dem Krankenhausentlastungsgesetz. Die Kliniken haben ihre Kapazitäten für Corona-Patienten frei geräumt. Zum Glück ist es nicht zu großvolumigen Schicksalsschlägen in unserer Gesellschaft gekommen. Auf der anderen Seite sind die Menschen deutlich weniger zum Arzt gegangen, was für uns entlastend wirkt. Man muss jetzt aber abwarten, wie groß die Nachholeffekte sind.
Die Gothaer hat viele Großveranstaltungen wie etwa das Festival in Wacken versichert ...
Es gab rund 180 Veranstaltungen, die bei uns eine Veranstaltungsausfalldeckung hatten und aufgrund der Pandemie nicht stattfinden konnten. Das waren neben Wacken unter anderem auch die Konzerte von Helene Fischer. Das ist ein substanzielles Volumen. Der zweite Punkt ist die Betriebsschließungsversicherung etwa für Hotels und Gastronomie...
.. die beklagen, dass die Versicherungswirtschaft Corona ausschließt, weil das Virus nicht bekannt war und sich die Branche bereiterklärt hat, nur 15 Prozent der Summe zu zahlen. Bestätigt dies nicht Vorurteile, dass viele Versicherer eh nicht zahlen, wenn es mal darauf ankommt?
Das Herzstück der Gothaer liegt im deutschen Mittelstand. Wir haben immer den partnerschaftlichen Blick und leben von langfristigen Beziehungen. Die sogenannte Bayerische Lösung findet bei den von uns versicherten Unternehmen große Anerkennung. Wir sehen, dass dies zur schnellen Absicherung der Liquidität unserer Kunden und damit zu einer Bewältigung der Krise beiträgt.
Wie viele Kunden verzeichnen Sie, die Schwierigkeiten haben, im Moment überhaupt noch ihre Prämien zu zahlen?
Das ist bislang kein substanzielles Problem. In der Krankenversicherung ist es praktisch gar nicht spürbar. In der Lebensversicherung gibt es ja bereits zahlreiche Mechanismen, um Beiträge ruhen zu lassen.
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Hier sehen wir aber nur eine leichte Zunahme. In der Sachversicherung zeigt sich ebenso eine bislang stabile Situation, sie ist aber naturgemäß stark abhängig vom wirtschaftlichen Erholungspfad in Deutschland und aufgrund der hohen Exportlastigkeit auch der Welt.
Und wo dies nicht der Fall ist?
Da zeigen wir uns kulant. Etwa bei Prämien, die an das Umsatzvolumen gekoppelt sind. Die können die Unternehmen schon jetzt senken, wenn ihre Prognose Umsatzeinbrüche anzeigt. Bei der Absicherung von Flotten ist eine kostenlose Ruheversicherung möglich. Man zahlt also keine Prämie, solange die Fahrzeuge sich nicht bewegen.
Im Jubiläumsjahr gab es gleich zwei Wechsel im Vorstand, Sie rücken an die Spitze auf. Das kam für viele überraschend.
Die Überlegung, dass Karsten Eichmann in den Ruhestand geht, war intern lange gereift und wurde systematisch vorbereitet. Ich bin seit elf Jahren im Unternehmen, wir haben ein eingespieltes Team und sind nicht im Krisenmodus. Christopher Lohmann hatte ein Angebot, das Talanx-Deutschlandgeschäft zu leiten und sich für diese Perspektive entschieden.
Also kein Ärger etwa mit dem Aufsichtsrat?
Nein, dazu gibt es keinen Anlass. 2019 war ein Rekordjahr. Die aktuelle Strategie 2020 ist abgeschlossen, nun werden wir den Weg nach vorne neu definieren. Und das mit viel Momentum aus den Stärken des Unternehmens. Auf diese Aufgabe schaue ich mit viel Freude.