Unsere Reporterin ist in Kanada unterwegs und berichtet über die deutsch-kanadischen Wirtschaftspläne
Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck werben für einen Ausbau der Energieexporte nach Deutschland
Grüner Wasserstoff soll unter anderem in Stephenville produziert werden
Stephenville/Vancouver – Rund 7000 Einwohner hat die Kleinstadt Stephenville an der Westküste der kanadischen Insel Neufundland. Die Gegend ist bekannt für ihren Lachs, für ihren Wind – und als Gastgeber für Bundeskanzler Olaf Scholz. Der Regierungschef unterzeichnet hier an diesem Dienstag mit dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau ein Wasserstoffabkommen. Denn hier, am östlichsten Zipfel Kanadas, soll eine Anlage zur Gewinnung von grünem Wasserstoff mithilfe von Windkraft entstehen.
„Niemals in tausend Jahren hätte ich erwartet, dass ein Projekt dieser Größenordnung hierher kommt“, sagt der Bürgermeister von Stephenville, Tom Rose, im Videotelefonat. „Und dann auch noch der deutsche Bundeskanzler.“
Für seine Region sind Wasserstoff-Pläne eine ökonomische und soziale Chance: Er erwartet 1200 bis 1800 neue Jobs für den Bau der Anlage und des dazugehörigen Windparks, zusätzlich 300 langfristige Jobs vor Ort. „Und es könnten sich weitere geschäftliche Chancen ergeben. Das wird ein Wendepunkt für Stephenville sein.“
Deutschlands internationale Suche nach Alternativen zu russischem Gas ist zu einer Chance für die kanadische Energiebranche geworden. Während unmittelbar nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine vor allem Erdgasförderer um Aufmerksamkeit aus Europa buhlten, hat sich der Fokus nun auf das Thema (grüner) Wasserstoff verschoben.
Beim Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz bis Dienstag in Kanada steht nach Angaben der Bundesregierung die „bilaterale Zusammenarbeit im Klima- und Energiebereich“ im Mittelpunkt. Wasserstoff ist dabei der einzige Energieträger, der dezidiert im Programm erwähnt wird.
Begleitet wird Scholz von Wirtschaftsminister Robert Habeck und einer Wirtschaftsdelegation. Auf der Agenda steht außerdem unter anderem ein Besuch der Deutsch-Kanadischen Wirtschaftskonferenz.
„Kanada verfügt über die Arbeitskräfte und Erfahrung, um sauberen Wasserstoff für den Export zu produzieren. Aber bislang hatten wir noch keine Kunden“, sagt Mark Zacharias, Geschäftsführer von Clean Energy Canada, einem Programm der Simon Fraser Universität in Vancouver. Das Wasserstoffabkommen mit Deutschland könne das ändern – und damit „die Entwicklung einer neuen kanadischen Branche anregen“.
Wasser als Wettbewerbsvorteil
Schon heute zählt das Land zu den zehn größten Wasserstoffproduzenten weltweit. Ein Großteil davon ist derzeit grauer Wasserstoff, der durch den Einsatz von Erdgas gewonnen wird. Einer Studie der Universität Harvard zufolge gehört Kanada aber zu den Staaten mit dem größten Potenzial, sauberen Wasserstoff zu produzieren. „Es braucht zehn Liter Frischwasser, um ein Kilo Wasserstoff durch Elektrolyse zu gewinnen“, so Zacharias. „Hier hat Kanada einen Wettbewerbsvorteil.“
Noch ist die grüne Branche jung. Einige Projekte entstehen bereits, so baut zum Beispiel Thyssenkrupp eine 88 Megawatt-Wasserelektrolyse-Anlage in der Provinz Québec. Das Vorhaben in Neufundland wird derweil von einem Konsortium aus vier kanadischen Unternehmen unter dem Namen World Energy GH2 vorangetrieben.
Geplant sind in einem ersten Schritt 164 Onshore Windturbinen, die Energie für den Betrieb einer Produktionsanlage für Wasserstoff und das Derivat Ammonia
Als Ammoniak verschifft
„Es wird erwartet, dass diese Märkte in den nächsten Jahren aufgrund der zunehmenden Bemühungen um Dekarbonisierung sowie um Energieunabhängigkeit und -sicherheit ein erhebliches Wachstum verzeichnen werden“, heißt es im Projektplan. Kanada sowie Neufundland und Labrador könnten sich dabei „weltweit führend“ positionieren.
Aber die Wasserstoff-Technologie ist nicht ohne Tücken. Die beste Möglichkeit, den Energieträger zu exportieren, besteht aktuell darin, ihn in Ammoniak umzuwandeln und zu verschiffen. Denn Wasserstoff selbst wird erst bei minus 253 Grad Celsius flüssig, Ammoniak dagegen bereits bei minus 33 Grad.
Der gesamte Prozess – von der Gewinnung des Wasserstoffs bis hin zu seiner Rückumwandlung am Zielort – ist sehr energieintensiv. Außerdem ist er teuer: Laut Mark Zacharias liegt der Preis für ein Kilogramm sauberen Wasserstoff derzeit bei etwa fünf US-Dollar. „Er müsste auf einen Dollar, 1,50 Dollar sinken, damit er als Rohstoff wirklich mit Erdgas konkurrenzfähig ist.“
LNG nicht mehr im Fokus
Der kurzfristige Export von LNG steht beim Besuch des Bundeskanzlers jedoch nicht auf der Agenda, wie Regierungsvertreter beider Länder der kanadischen Zeitung „The Globe and Mail“ bestätigten. Dabei hätten die Erdgasförderer – Kanada ist einer der größten Produzenten weltweit – auch gern Geschäfte mit Deutschland gemacht.
„Es ist gut, dass der deutsche Bundeskanzler und der kanadische Premier über Wasserstoff sprechen werden, sei er nun grün oder blau“, sagt Stewart Muir, Gründer von Resource Works, einer Organisation, die die Interessen der Branche vertritt. „Aber wenn wir uns anschauen, wie Energie heute genutzt wird und wahrscheinlich auch noch morgen genutzt werden wird, sollten wir uns wünschen, dass kanadisches Flüssigerdgas von der Ostküste nach Europa gelangt.“ Zuvor hatten bereits kanadische Wirtschaftsverbände gefordert, den Bau kanadischer LNG-Export-Terminals zu forcieren.
Denn genau hier liegt das Problem: Kanada verfügt bislang nicht über entsprechende Exportterminals, kann also noch gar kein verflüssigtes Erdgas nach Europa schicken.
Zwar wird in den ost-kanadischen Provinzen New Brunswick, Nova Scotia sowie Neufundland und Labrador der Bau entsprechender Anlagen diskutiert, spruchreif sind die Pläne aber noch nirgends. Das Erdgas müsste außerdem in den meisten Fällen durch die Provinz Québec transportiert werden – die den Bau neuer Pipelines aus Gründen des Klimaschutzes ablehnt.
Die Nachrichtenagentur AFP zitiert Regierungskreise, denen zufolge man in Deutschland erst „mittelfristig“ mit einer spürbaren Erhöhung kanadischer Gaslieferungen nach Deutschland rechne.
Langfristiges Projekt
Auch der Export von grünem Wasserstoff ist ein langfristiges Projekt. World Energy GH2 peilt im Projektplan eine Inbetriebnahme im zweiten Quartal 2024 an, voll operativ könnte die Anlage im Herbst 2025. Noch hat sie aber nicht einmal die entsprechenden Genehmigungsprozesse durchlaufen.
In einigen umliegenden Gemeinden gibt es außerdem Umweltbedenken, Anwohner sorgen sich um die Konsequenzen eines Windparks für das Ökosystem der Region: für Wasser, Wälder und Wildtiere.
Tom Rose glaubt, dass jede Industrie ihre Vor- und Nachteile habe. „Wenn wir uns am Ende des Tages für eine entscheiden müssen, dann doch die grüne.“ Für ihn überwiegen die Chancen. Er hofft, dass die Investition in seiner Gemeinde weitere Industrien anziehen wird. „Ich sehe viele Möglichkeiten. Wir sind zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“
Unsere Autorin ist Wirtschaftsredakteurin beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ und berichtet zurzeit als Stipendiatin des Arthur F. Burns Fellowship aus Kanada.