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Rewe-Chef kritisiert Corona-Politik„Man darf die Spielregeln nicht dauernd ändern“

Lesezeit 9 Minuten
Rewe Souque

Rewe-Chef Lionel Souque

  1. Die Kölner Rewe-Gruppe hat im Pandemiejahr einen Rekordumsatz erwirtschaftet. Im Interview spricht der Vorstandsvorsitzende Lionel Souque über das boomende Liefergeschäft, die gebremste Touristiksparte und Folgen aus Hamsterkäufen.
  2. Auch zur Corona-Politik der Regierung äußert der Manager sich – und übt Kritik.

Herr Souque, die Rewe-Gruppe hat in einem außergewöhnlichen Jahr einen Umsatzrekord erzielt – obwohl Sie nicht nur im Handel, sondern auch in der gebeutelten Touristik aktiv sind. Was hat den Ausschlag gegeben? Die Pandemie hat sich sehr unterschiedlich auf unsere Geschäftsbereiche ausgewirkt. Ein Großteil des Umsatzwachstums geht auf den Großhändler Lekkerland zurück, den wir 2020 integriert haben. Im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) haben sich hunderte Millionen Mahlzeiten wegen geschlossener Gastronomie, Schulschließungen und Homeoffice nach Hause verlagert. Zudem haben sich viele Menschen, auch angesichts mangelnder Alternativen, etwas Besonderes beim Einkauf von Lebensmitteln gegönnt.

Bei unseren Baumärkten wechseln sich derweil Sonne und Schatten ab: Nach dem ersten Lockdown haben wir Rekordumsätze erzielt, weil die Menschen viel zu Hause modernisiert und renoviert haben. Seit Dezember sind die Märkte allerdings immer wieder in Teilen geschlossen, aktuell sind unsere Einbußen hoch. Und die Touristiksparte hat vergangenes Jahr einen Verlust von rund 390 Millionen Euro gemacht.

Ihr Onlinegeschäft dürfte derweil von der Krise profitiert haben.

Der Onlineanteil im LEH steigt seit sieben bis acht Jahren, das bislang aber nur linear. Die Pandemie hat hier für einen Schub gesorgt. Bei uns hat sich der Umsatzanteil des Onlinegeschäfts 2020 in Deutschland von einem auf zwei Prozent verdoppelt.

Das entspricht etwa einer halben Milliarde Euro, die sich auf Liefer- und Abholservice verteilt. Der Abholservice war dabei besonders wichtig, um die gestiegene Nachfrage zu bedienen. Er ist aktuell in über 30 Märkten in Köln und der Region verfügbar.

Zur Person

Lionel Souque

Lionel Souque ist seit Juli 2017 Vorstandsvorsitzender der Kölner Rewe-Gruppe. Der in Paris geborene Betriebswirt arbeitet seit 1996 für das Unternehmen, seit 2009 sitzt er im Vorstand. Souque ist außerdem Aufsichtsratschef des 1. FC Köln.Die Rewe-Gruppe geht auf den Zusammenschluss von 17 Einkaufsgenossenschaften im Jahr 1927 zurück. Die Abkürzung steht entsprechend für „Revisionsverband der Westkauf-Genossenschaften“.

Das Liefergeschäft ist gewachsen, profitabel ist es aber noch nicht. Wann werden Sie damit Geld verdienen?

Das Liefergeschäft ist für uns ein Minusgeschäft, es ist eine Investition in die Zukunft. Es ist schwierig, mit den Margen des LEH Geld damit zu verdienen, jemandem Getränkekisten in den vierten Stock eines Hauses ohne Aufzug zu liefern. Aber je mehr Umsatz wir generieren, desto besser können wir unsere Fixkosten decken. Wenn die bisherige Entwicklung sich fortsetzt, könnte das Liefergeschäft in drei bis fünf Jahren profitabel sein. Aber wir würden auch dran bleiben, wenn sich damit langfristig kein Geld verdienen ließe. Die Leute, die sich Lebensmittel liefern lassen, sind schließlich auch unsere Kunden in den Märkten.

Mit Unternehmen wie Gorillas oder Flink bekommen Sie hierzulande zunehmend Konkurrenz von Start-ups, die teils deutlich flexibler sind als Sie: geringe Gebühren, sehr schnelle Lieferzeiten. Bereitet Ihnen das Sorge?

Wir nehmen diese Entwicklung ernst. Es wird gerade sehr viel Geld in Food-Start-ups investiert. Aktuell ist das vor allem eine Wette auf die Zukunft. Viele von ihnen werden eine Weile von Investor zu Investor weiterverkauft werden, bevor sie am Ende pleitegehen. Aber ein, zwei werden sich wahrscheinlich durchsetzen. Mit Blick auf die Geschäftsmodelle sehe ich darin aber keine Bedrohung für uns: Wir haben zehn- bis zwanzigtausend Artikel im Sortiment, die kleinen Start-ups nur 1000 bis 2000. Außerdem bieten sie häufig nur Marken- und keine Eigenmarken- oder Preiseinstiegs-Produkte an. Wir bedienen also sehr unterschiedliche Einkaufsanlässe.

Ist das der Grund, wieso Sie auch Konkurrenten wie Gorillas beliefern?

Wir sind eben auch ein Großhändler und Partnerschaften gehören zur Rewe-DNA. Natürlich machen wir das aber nicht zum Spaß: Wir verdienen Geld mit der Belieferung, können unsere Lager besser auslasten und lernen einiges von den anderen Anbietern. Es gibt Momente, in denen es sich für beide Parteien lohnt, zusammenzuarbeiten.

Rewe-Zahlen

Die Kölner Rewe-Gruppe hat im Pandemiejahr 2020 einen Rekordumsatz von 75,3 Milliarden Euro erzielt. Das Plus lag bei 20,1 Prozent, wechselkursbereinigt waren es sogar 20,4 Prozent.

Das Wachstum geht dabei vor allem auf die Übernahme des Großhändlers Lekkerland zurück. Aber auch das Supermarktgeschäft entwickelte sich sehr positiv, genau wie die Baumärkte. Die Touristiksparte fuhr pandemiebedingt einen Verlust von 390 Millionen Euro ein.

Während das Ebitda von 4,1 auf 4,4 Milliarden Euro stieg, sank der Jahresüberschuss durch eine gestiegene Steuerlast um rund 18 Prozent von 507 auf 415 Millionen Euro. Die ausführlichen Geschäftszahlen gibt es hier. (elb)

Wie hat sich die Corona-Pandemie auf Ihre Unternehmensziele im Handel ausgewirkt?

Die Pandemie hat nichts an unserer langfristigen Strategie geändert. Wir planen weiterhin, organisch zu wachsen. Zentral sind für uns die Modernisierung unserer Märkte und Investitionen in die Digitalisierung. Damit ist nicht nur das Onlinegeschäft gemeint, sondern gerade auch die Nutzung von Technologien wie künstlicher Intelligenz. Sie spielt zum Beispiel eine Rolle bei der Sortimentsfestlegung und den Bestellprozessen für die Märkte. Schon heute arbeiten wir mit automatischen Dispositionsvorschlägen, die am Ende zu weniger Fehlartikeln in den Regalen und natürlich auch zu weniger Verderb und Lebensmittelvernichtung führen.

Was haben Sie dabei aus den Hamsterkäufen gelernt?

Vor allem, wie wichtig es ist, flexible Lieferanten zu finden. Wir konzentrieren uns verstärkt auf europäische, im Idealfall regionale Anbieter, die schnell reagieren können. Lieferungen im Non-Food-Bereich aus Ländern wie China – zum Beispiel bei Masken und Schnelltests – stellen uns immer wieder vor Herausforderungen: Da kann dann bereits bestellte Ware nicht geliefert werden, weil plötzlich jemand anderes einen besseren Preis zahlt. Oder bereits fest eingeplante Flugzeuge müssen kurzfristig von einem anderen Flughafen starten. Manchmal will der Zoll die Ware dann auch noch drei Tage prüfen.

So gut es beim Handel lief, so schlecht lief es pandemiebedingt beim Touristikgeschäft. Wie hoch waren Ihre Verluste?

Wir haben 74 Prozent oder rund 3,7 Milliarden Euro weniger erlöst in unserer Reisesparte, da hat uns die Pandemie mit Lockdown und Reiseverboten wie die ganze Branche hart getroffen. Wir waren ja mit einer Welle von Stornierungen konfrontiert. Erst planten die Menschen Ostern und stornierten, dann den Sommerurlaub und stornierten ihn wieder, und Weihnachten wieder das gleiche. Da haben unsere Mitarbeiter dreimal mehr als sonst gearbeitet für einen Minusumsatz.

Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Das wichtigste ist, dass wir unsere Strategie der Digitalisierung konsequent fortsetzen, um unseren Kunden noch mehr Komfort und Service zu günstigen Preisen anbieten zu können. Darüber hinaus müssen wir aber auch an unseren Kosten arbeiten. 40 unserer 500 eigenen Reisebüros mussten schließen. In den Zentralen in Köln und Frankfurt haben wir im Rahmen eines Sozialplanes zusammen 230 Stellen abgebaut.

Tui hat Milliarden an Staatshilfe bekommen. Wie beurteilen Sie das als direkter Wettbewerber?

Mit Blick auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen ist das nachvollziehbar. Aber Tui ist für Deutschland nicht systemrelevant, warum also über vier Milliarden Euro an Staatskrediten geben? Das finde ich fragwürdig. Zumal die Tui gar kein deutsches Unternehmen mehr ist. Die Firma ist an der Londoner Börse notiert. Der größte Aktionär ist ein russischer Oligarch, danach kommen Investoren aus Spanien und Ägypten und amerikanische Fonds. Was hat das mit Deutschland zu tun? Nur weil Tui historisch betrachtet seinen traditionellen Sitz in Hannover hat? Wenn sie das Geld am Ende vollständig zurückzahlen, meinetwegen. Aber die Reisebranche ist ein schwieriger Markt... Und diese Staatskredite könnten langfristig problematisch sein, wenn sie zu Wettbewerbsverzerrungen führen würden

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Würden Sie staatliche Kredite nehmen?

Wir können gar keine Staatskredite nehmen, weil der Rewe-Konzern wirtschaftlich insgesamt gut dasteht. Aber ärgerlich ist: Die Tui ist mit ihrer Strategie, eigene Kreuzfahrtschiffe, Flugzeuge und viele Hotels selbst zu besitzen, ein Risiko mit hohen Gewinnaussichten eingegangen. Und für dieses Risiko steht nun der Staat gerade. Rewe hatte immer eine „Asset light“-Strategie – ohne eigene Flugzeug- und Schiffsflotten – und ist dieses hohe Risiko gar nicht erst eingegangen.

Irgendwann ist die Pandemie vorbei. Erwarten Sie langfristige Auswirkungen auf das Reisegeschäft?

Ich bin sicher, der Wunsch nach Reisen wird wiederkommen. Bis dahin müssen wir die Verluste minimieren und unsere Firma auf die Zeit danach vorbereiten. Dass wir daran glauben, haben wir ja gezeigt, als wir in der Krise zum Beispiel einen 50-prozentigen Anteil von Aldiana übernommen haben.

Wann wird sich das Reisegeschäft normalisieren?

Ich hoffe, dass das Jahr 2022 wieder ansatzweise normal wird. Aber es ist sperrig. Mal rät das Auswärtige Amt von Reisen in manche Länder ab, dann lässt ein Land bestimmte Touristen nicht rein. Mal sagen die Hotels, sie öffnen nur, wenn garantiert Reisende kommen, und wieder einmal sagen die Airlines, sie bleiben am Boden. Erst wenn sich das alles normalisiert hat, werden wir mehr wissen.

Wie beurteilen Sie das Agieren der Politik in Corona-Zeiten?

Das Auf und Ab hat für Verunsicherung gesorgt. Erst durfte keiner nach Mallorca, trotz niedriger Inzidenz, dann wieder alle. Man darf die Spielregeln nicht dauernd ändern. Aber ehrlich: In anderen Ländern lief es nicht besser. Niemand ist ohne Fehler ausgekommen, es gab zu viele Unwägbarkeiten. Auch wir als Rewe haben nicht alles richtig gemacht. In Deutschland kommt noch erschwerend hinzu, das jetzt Bundestags-Wahljahr ist.

Was lief in Ihrer Heimat Frankreich besser?

Die Regierung hat den Handel aktiv mit eingebunden. Jeden Tag sprachen die großen Händler mit dem Finanz- und Wirtschaftsminister. Das war in Deutschland nicht so. Viele neue Regelungen habe ich aus der Zeitung erfahren. Es gab nicht genügend Kommunikation.

Das klingt nach Ärger?

Ich bin nicht verärgert. Aber ich würde mir wünschen, dass der Handel in Deutschland in Zukunft stärker in Abstimmungsprozesse einbezogen wird.

Wie geht es mit der Kölner Zentrale weiter?

Wir haben gelernt, welches Potenzial das Homeoffice hat. Wir haben in Köln über 6000 Mitarbeiter in der Verwaltung. Vermutlich werden sie auch in Zukunft einzelne Tage von Zuhause arbeiten. Entsprechend wollen wir Teile der heutigen Büros zu Meetingflächen oder Kreativräumen umbauen. Wir werden auch einen Teil unserer angemieteten Büros langfristig reduzieren.

Wird die Rewe dem 1. FC Köln auch bei einem Abstieg als Sponsor treu bleiben?

Unser Vertrag gilt in der kommenden Saison weiter in der ersten und in der zweiten Bundesliga. Wir sind seit 14 Jahren Hauptsponsor des FC und wollen es bleiben. Wir sind in guten und schlechten Zeiten dabeigeblieben. Nun werden wir im Sommer reden, wie es nach der Saison 2021/22 weitergeht. Fest steht: Das Herz der Rewe ist Köln. Und das Herz von Köln ist der FC.