Der Tarifbeirat des Verkehrsverbunds Rhein-Sieg will drastische Fahrpreiserhöhungen nicht ausschließen.
Bahnfahren ohne DeutschlandticketVRS-Tickets könnten ab 2024 um 20 Prozent teurer werden
Am 1. Juli sind die Fahrpreise im Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) um 3,86 Prozent gestiegen. Nach 3,5 Prozent am 1. Januar war das schon der zweite Aufschlag in diesem Jahr. 2024 wird es alle Nahverkehrskunden, die nicht mit dem Deutschlandticket fahren, deutlich härter treffen. Das sind rund 25 Prozent. Der VRS-Tarifbeirat will im schlimmsten Fall Preissteigerungen von bis zu 20 Prozent nicht ausschließen. Zwischen zehn und zwölf Prozent gelten bereits jetzt als unabwendbar. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Wie kommt die mögliche Preiserhöhung von bis zu 20 Prozent zustande?
Der VRS-Tarifbeirat ermittelt nach festen Vorgaben, wie sich die Kosten für Personal, Energie, Material und Kapital entwickeln werden und nimmt eine Gewichtung vor. Dabei machen die Personalkosten 60 Prozent aus. Die schwächelnde Konjunktur und die hohe Inflation haben zu diesem Wert geführt. Im Tarifbeirat sitzen Vertreter der Verkehrsbetriebe und Kommunalpolitiker.
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Preis für Deutschlandticket soll nicht steigen
Gilt diese Erhöhung auch für das Deutschlandticket?
Nein. Es wird je zur Hälfte mit insgesamt drei Milliarden Euro vom Bund und den Ländern finanziert. Der Preis für das Deutschlandticket soll Anfang 2024 nicht erhöht werden.
Wie viele VRS-Kunden wären von der Erhöhung dann überhaupt betroffen?
Rund 25 Prozent der Kunden, die meisten davon Gelegenheitsfahrer, nutzen noch herkömmliche Tickets von der Kurzstrecke bis zum Viererticket. Der Umsatz mit diesem Tarif macht beim VRS höchstens noch 25 Prozent aus. Die Preiserhöhung gilt also ausschließlich für den sogenannten VRS-Resttarif, also alles, was außerhalb des Deutschlandtickets noch gekauft werden kann. Das Deutschlandticket kann der VRS nicht beeinflussen. Eigentlich müssten die Kostensteigerungen dort auch berücksichtigt werden. Es müsste teurer werden. Aber das steht derzeit nicht zur Debatte.
Also sind die Resttarif-Kunden ohne Deutschlandticket gekniffen. Sie müssen höhere Preise allein tragen.
Ja. Weil diese Tickets noch nach dem herkömmlichen Muster finanziert werden. Fehlende Fahrgeldeinnahmen und alle Mehrkosten müssen durch Preiserhöhungen ausgeglichen werden. Es sei denn, die Städte und Landkreise gleichen den Fehlbetrag aus.
Dem VRS fehlen bis zu 130 Millionen Euro
Wie hoch könnte der Ende 2023 ausfallen?
Nach Schätzungen des Tarifbeirats wird der VRS-Fehlbetrag zwischen 100 und 130 Millionen Euro liegen. Die Stadt Köln müsste davon rund 25 Millionen jährlich tragen, Bonn rund zehn Millionen.
Woher kommen die restlichen 75 Prozent der VRS-Einnahmen?
Das sind Ausgleichszahlungen von Bund und Land für die Mindereinnahmen des VRS als Folge des neuen Deutschlandtickets. In dieser Woche hat der VRS aus diesem Topf eine Vorauszahlung für 2023 in Höhe von 83,85 Millionen Euro erhalten.
Aus Sicht des VRS ist das Deutschlandticket für die VRS-Kunden also kein Preistreiber.
In diesem Jahr noch nicht. Der Ausgleich der Mindereinnahmen durch das Deutschlandticket ist garantiert. Sollten die drei Milliarden Euro nicht reichen, gibt es eine Nachschusspflicht für den Bund und die Länder.
Und nächstes Jahr? Wird das Geld fürs Deutschlandticket reichen?
Da gibt es noch viele Unwägbarkeiten. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) geht davon aus, dass der Deutschlandticket-Zuschuss von drei Milliarden Euro des Bundes und der Länder 2024 bei weitem nicht reichen wird. Er befürchtet einen Zuschussbedarf von 4,7 Milliarden Euro. Auch ist für 2024 noch keine Nachschusspflicht vereinbart worden.
Der VRS will die Energiekosten neu kalkulieren
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) fährt beim Bundeshaushalt 2024 einen strikten Sparkurs. Wer springt ein, wenn es lediglich bei den drei Milliarden Zuschuss für das Deutschlandticket bleibt?
Aus VRS-Sicht wäre das für die Verkehrswende in Deutschland eine Katastrophe. Weil das Finanzloch beim Deutschlandticket dann von den kommunalen Verkehrsbetrieben und damit von den Kommunen als deren Eigentümern gestopft werden müsste. Preiserhöhungen um die 20 Prozent ließen sich dann nicht mehr vermeiden. Dieses Risiko müssen die Kommunen im Rheinland bei der Planung ihrer Haushalte für das kommende Jahr berücksichtigen.
Wo sieht der VRS noch Einsparpotenzial?
Bei den Energiekosten will man noch einmal neu kalkulieren. Bisher wurden die vom Bund eingeführte Strompreisbremse und Sonderprogramme des Landes nicht eingerechnet. Die Strompreisbremse wirkt zwar bei den Verkehrsbetrieben, bis die genauen Abrechnungen vorliegen, können aber bis zu zwei Jahre vergehen.
75 Prozent aller Kunden fahren mit dem Deutschlandticket, dennoch hält der VRS am kompletten alten Tarifsystem fest. Kann man das nicht vereinfachen und damit auch Geld sparen?
Noch muss der VRS das System aufrechterhalten, um die Tickets gegenüber dem Bund und dem Land abrechnen zu können. Auf Dauer soll das sogenannte Schatten-Sortiment ordentlich aufgeräumt werden. Im Herbst soll es Gespräche mit dem Bund und den Ländern zu einer Reform des Finanzausgleichs geben.
Spielt die Corona-Pandemie noch eine Rolle?
Ja. Der VRS geht davon aus, dass zehn Prozent der Fahrgäste nicht mehr zurückkehren werden. Fahrverhalten und Lebensgewohnheiten hätten sich verändert, hinzu kommt das Homeoffice. Deshalb weniger Bahnen und Busse einzusetzen und dadurch Geld zu sparen, schließt der VRS aus. Die Verkehrswende könne nur gelingen, wenn mehr Menschen vom Auto auf Bahnen und Busse umsteigen, heißt es. Auf den Hauptstrecken bei der Bahn sei die Nachfrage durch das Deutschlandticket deutlich gestiegen, im ländlichen Raum hingegen nicht.
Was sagt der VRS zu den drohenden Fahrpreiserhöhungen?
„Wir brauchen in der Finanzierung des Nahverkehrs den Systemwechsel weg von der Kundenfinanzierung und hin zur öffentlichen Finanzierung“, sagt VRS-Geschäftsführer Michael Vogel. „Um dies konsequent umzusetzen, muss der Bund eine dauerhafte Nachschusspflicht einführen. Damit könnte einerseits das Deutschlandticket langfristig gesichert und anderseits das größte Risiko für die Kunden und die kommunalen Kassen vermieden werden.“