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„Richtiger Run auf 9-Euro-Ticket“KVB verkauft mehr als 100.000 Fahrkarten

Lesezeit 7 Minuten
9-Euro-Ticket 050522

Das 9-Euro-Ticket startet am 1. Juni

Köln/Berlin – Rund sieben Millionen Mal hat die Deutsche Bahn das 9-Euro-Ticket kurz vor Beginn seiner Gültigkeit am 1. Juni 2022 verkauft. „Es gibt also einen richtigen Run auf das 9-Euro-Ticket“, sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) an diesem Dienstag. „Das sind zusätzliche Kunden, die bislang kein Abonnement haben“, ergänzte er, denn die Zahlen beziehen sich auf alle Verbünde und Unternehmen, Verkäufe übers Netz, an Schaltern und an Automaten.

Allein 108.000 Tickets haben die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) bis Wochenanfang über App und Verkaufsstellen unter die Kölnerinnen und Kölner gebracht. „Ab Mittwoch gibt es die Tickets auch an den Automaten“, sagte KVB-Sprecher Matthias Pesch dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Wie viele Menschen das 9-Euro-Ticket letztlich regelmäßig nutzen werden und wie sich das auf die Auslastung von Bussen und Bahnen auswirken würde, könne man aber nicht seriös abschätzen.

„Dass es insgesamt voller werden wird, ist zu erwarten“, sagt Pesch. Er verweist aber auch darauf, dass die Auslastung von Bussen und Bahnen noch weit von der maximalen Auslastung entfernt wäre. „Zudem findet die Aktion zu einem großen Teil in den Sommerferien statt, in denen nicht so viele Pendler unterwegs sind wie sonst.“

Wenig Handhabe bei Personal und Bahnen

Aufgrund der kurzen Vorlaufzeiten sei es weder bei den Fahrzeugen noch beim Personal möglich, das vorhandene Angebot auszuweiten, erklärt Pesch. „Hinzu kommt, dass es vor allem auf den viel befahrenen Stadtbahn-Strecken wie etwa der Ost-West-Achse wegen des ohnehin dichten Taktes gar nicht möglich wäre, weitere Bahnen 'dazwischenzuschieben'.“ Man werde die Situation zwar beobachten und wenn nötig steuernd eingreifen, allerdings wäre das nur punktuell im Busbereich möglich.

Pesch erklärt, wer bereits ein Ticket-Abonnement besitze, müsse nichts weiter unternehmen: In den kommenden drei Monaten würde die KVB jeweils lediglich neun Euro abbuchen.

Zufrieden sind auch die Stadtwerke Bonn mit dem Ticket-Vorverkauf: „25.000 Tickets sind sehr viel, das ist ein großer Erfolg“, erklärt SWB-Sprecherin Veronika John. „Wir denken, dass im Laufe des Juni noch weitere Tickets gekauft werden, da sich der Kauf oft bei zwei Fahrten bereits lohnt.“

Auch sie erwartet vollere Bahnen: „Wir rechnen mit einem erhöhten Fahrgastaufkommen auf den Linien 16 und 18 Richtung Köln“, erklärt sie. Abseits der Hauptverkehrslinien könne es aufgrund der Sommermonate zu mehr Ausflüglern kommen. Übervolle Fahrzeuge vermutet sie aber nicht.

Längere Züge am Wochenende denkbar

„Wir gehen davon aus, dass im gesamten VRS-Gebiet bisher etwa 200.000 Tickets verkauft wurden“, sagt ein Sprecher des Verkehrsverbundes Rhein-Sieg und von Nahverkehr Rheinland. Auch er kann sich erhöhten Freizeitverkehr vorstellen: „Wir prüfen, ob wir an Wochenenden und an den Feiertagen die kürzeren Züge verlängern können, damit mehr Wagen zur Verfügung stehen“. In der Regel führen da aufgrund der geringeren Anzahl an Berufspendlern kürzere Züge.

„Wir haben die Verkehrsunternehmen aufgefordert, zu prüfen, was sie leisten können.“ Ihm zufolge hätten viele der Unternehmen nicht ausreichend Wagen zur Verfügung, um aufzustocken. „Es ist ein großes Feldexperiment der Bundesregierung, vor das wir gestellt wurden – da fehlen uns die Erfahrungswerte, weil es so etwas noch nicht gegeben hat.“

„Historischer Zugriff“

Bereits zum Verkaufsstart am 23. Mai sprach Jörg Sandvoß, Vorstandsvorsitzender der DB Regio von „einem historisch großen Zugriff auf unsere Vertriebssysteme.“ Ihm zufolge trifft das Ticket einen Nerv. „Die Kunden wollen es. Wenn ein gutes Angebot da ist, schafft es sich auch Nachfrage. Wenn die Takte erhöht werden, wenn die Kapazität und die Anschlüsse stimmen, steigen die Menschen ein und auch vom Auto um.“

Die Berliner Verkehrsbetriebe hatten bereits am Freitag, dem 20. Mai, kurz nach dem Bundesratsentscheid pro 9-Euro-Ticket mit dem Verkauf begonnen, hieß es von Unternehmensseite auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND). Bis Sonntagnacht gingen in der Hauptstadt insgesamt 130.000 Fahrkarten über die reale und virtuelle Ladentheke. Im Norden der Republik verkaufte der Hamburger Verkehrsverbund im gleichen Zeitraum 126.500 Tickets. In München begann der Verkauf erst am Montag, am ersten Tag wurden rund 20.000 Fahrkarten verkauft. Die BVG zählt mittlerweile fast eine halbe Million verkaufte Tickets.

7000 Regionalzüge pro Tag

Vom 1. Juni bis 31. August gilt das Ticket für jeweils neun Euro pro Monat in allen Bussen und Bahnen des Regional- und Nahverkehrs für unbegrenzte Fahrten in ganz Deutschland. „Das ist ein Riesenexperiment ohne Blaupause, mit ganz wenigen Wochen an Vorbereitung“, ergänzt der Chef von DB Regio.

Was genau auf den Nahverkehr der Deutschen Bahn zukommt, vermag Sandvoß jedoch nicht abzuschätzen: „So etwas gab es noch nie. Wir wissen nicht, wie viele Tickets es werden und wie viele Fahrgäste es werden. Jede Prognose, die ich abgeben würde, wäre falsch und deshalb sind wir alle total gespannt, was auf uns zukommt.“

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7000 Züge mit 22.000 Fahrten pro Tag, die 300.000 Bahnhöfe und Haltepunkte anfahren, dazu der gesamte öffentliche Nahverkehr in Städten und Gemeinden plus 10.000 Bahnbusse, die vor allem auf dem Land unterwegs sind, für 30 Cent am Tag. Die 37.000 Mitarbeitenden der DB Regio „stünden vor sehr herausfordernden Tagen und Wochen“, so Sandvoß.

Fahrradlotsen am Bahnsteig

Entsprechend groß ist die Anspannung vor allem in den großen Ballungsgebieten wie Nordrhein-Westfalen. Dort wird die Bahn an allen großen Bahnhöfen vor allem an den Wochenenden und den Feiertagen mehr Personal einsetzen, die dafür sorgen sollen, dass sich die Menschen auf den Bahnsteigen besser verteilen, damit das Ein- und Aussteigen möglichst zügig klappt und die Züge möglichst pünktlich abfahren können. Fahrradlotsen sollen den erwarteten Ansturm von Radfahrern abfedern.

„Weil die Züge sehr voll werden können, kann die Mitnahme von Rädern nicht garantiert werden“, sagt Regio-Vorstand Sandvoß. Deren Anzahl ist begrenzt, man werde alles einsetzen, was rollen kann. Bundesweit stünden 50 Züge mit 60.000 Sitzplätzen als Reserve zur Verfügung, davon allerdings kein einziger für das Rheinland.

Zusätzliches Sicherheitspersonal soll die Servicekräfte vor Ort unterstützen, die Züge sollen doppelt so häufig gereinigt werden. Auch die Werkstattkapazitäten werden aufgestockt.

Ob der „Sommer des Nahverkehrs“, den Jörg Sandvoß als „ein tolles großes Experiment“ bezeichnet, nicht im Chaos endet, kann derzeit keiner seriös vorhersagen. Die Regionalzüge und S-Bahnen waren im Mai im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten wohl auch wegen der hohen Benzinpreise wieder zu 90 Prozent ausgelastet.

Nach dem Pfingstwochenende werde man beim 9-Euro-Ticket eine erste Bilanz ziehen. Von den Fahrgästen erwarte man ein „hohes Maß an Rücksicht und Verständnis“, die Pünktlichkeit, die im Regionalverkehr mit 90 Prozent im Vergleich zum Fernverkehr mit zuletzt 61 Prozent recht hoch ist, werde natürlich durch die hohe Auslastung der Züge leiden, sagt Regio-Vorstand Sandvoß.

Viele Baustellen in NRW

Leidensdruck entsteht auch durch die Zahl der Baustellen, die traditionell in den Sommerferien hochgefahren werden, weil dann deutlich weniger Pendler unterwegs sind. Das betrifft zum Beispiel die Strecke zwischen Köln und Düsseldorf, auf der im Abschnitt Leverkusen bis Langenfeld weiter am Ausbau des Rhein-Ruhr-Express gearbeitet wird und die S-Bahnlinie 6 daher ausfallen wird. Gebaut wird auch zwischen Hamm und Kassel, Krefeld und Kleve und um Düsseldorf-Gerresheim. Das alles schränkt den Regionalverkehr ein.

Marktforscher begleiten das Projekt

Bei der Bahn lässt man sich davon noch nicht abschrecken. „Mir hilft eine Pünktlichkeit von 98 Prozent im Nahverkehr nichts, wenn die Leute wie bei Corona nicht mit dem Zug fahren“, so Sandvoß.

Ein Tabu wird nicht gebrochen: Auch wenn die Regionalzüge bis zum Bersten gefüllt seien, werde man die Fernverkehrszüge nicht für 9-Euro-Ticket-Nutzer freigeben. „Das ist ausgeschlossen.“

Die Bahn werde das 9-Euro-Ticket mit einer Marktforschung begleiten und analysieren, welche zusätzlichen Kunden sie gewonnen habe und wie man sie auf Dauer halten könne. Zum Beispiel durch attraktive Jobtickets.

Die Bundesregierung habe das 9-Euro-Ticket schließlich eingeführt, um neben den Autofahrern mit den Tankrabatten auch die Menschen, die mit Bahn und Bus zur Arbeit und zur Schule müssen, zu entlasten, so Sandvoß. Schließlich litten auch sie unter den hohen Energiepreisen. (mit dpa)