AboAbonnieren

Kommentar

SB-Kassen
Ich gehe doch nicht einkaufen, um Kontakte zu knüpfen

Ein Kommentar von
Lesezeit 4 Minuten
ARCHIV - Ein Kassiererin nimmt am 13.02.2012 in Köln (Nordrhein-Westfalen) in einem Rewe-Supermarkt das Geld einer Kundin entgegen. Foto: Oliver Berg/dpa (zu dpa "In Rewe-Supermärkten klingeln die Kassen" vom 31.03.2015) +++ dpa-Bildfunk +++

Eine Kassiererin nimmt in einem Kölner Rewe-Markt Geld einer Kundin entgegen.

Unsere Autorin liebt den Selbst-Checkout und träumt von völlig autonomen Märkten, in denen Kassen überhaupt keine Rolle mehr spielen.

Die Kölner Handelskette Rewe will die Zahl der Selbstbedienungskassen ohne Kassierer bis Ende des Jahres um 80 Prozent erhöhen. Auch andere Einzelhändler setzen auf die Kassen ohne Personal. Claudia Lehnen lehnt sie als „Zeitfresser“ entschieden ab, Kendra Stenzel empfindet die SB-Kassen hingegen als großes Glück:

Zersauste Haare, noch kein Wort gesprochen: Wenn ich notgedrungen mal wieder an einem Samstag um 9 Uhr verschlafen im Supermarkt meines Vertrauens stehe, weil mir der Kaffee ausgegangen ist, ist das Letzte, was ich möchte, soziale Interaktion. Bloß nicht in irgendeiner Schlange stehen und von hinten irgendjemandes Einkaufswagen in die Hacken kriegen. Bloß kein froschähnliches „Guten Morgen“ quaken müssen. Rein durch die Tür, gezielt zum Regal, Kaffeepackung greifen, und wieder raus: Das wäre der Traum. Dank „Self checkout“-Kassen komme ich dem mittlerweile zumindest ziemlich nah.

Ich bin nicht grundsätzlich unsozial. Freundlich sein, geduldig mit seinen Mitmenschen umgehen, auch mal ins Gespräch kommen: All das sind für mich absolute Basics im Alltag, auch beim Einkaufen. Für viele, besonders ältere oder einsame Menschen, sind Supermärkte ein wichtiger Ort für Kontakt. Aber ich gehe auch jenseits der samstäglichen 9-Uhr-Marke nicht für sozialen Austausch einkaufen, sondern weil ich es muss. Weil ich etwas Konkretes brauche. Und oft ist der Einkauf selbst nicht einmal das Ziel, sondern Zwischenstopp auf dem Weg von A nach B. Schnell auf dem Weg zur Arbeit noch eine Flasche Wasser greifen. Fix nach Feierabend noch ein paar Snacks und Wein für die Gäste. Das heißt nicht, dass ich es immer eilig habe. Aber es heißt in der Regel, dass ich mich trotzdem freue, wenn es zügig geht. Und ja, mit SB-Kassen geht es meist, wenn auch nicht immer, deutlich zügiger.

Kendra Stenzel

Kendra Stenzel

Leitende Redakteurin und Mitglied der Chefredaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Zuvor redaktionelle Leitung ksta.de/Newsteam. Studierte zunächst Psychologie und Rechtswissenschaften in Gießen, dann A...

mehr

Natürlich bedeuten SB-Kassen nicht immer einen Geschwindigkeitsgewinn. Kunden, die mit der Kasse nicht zurechtkommen und den Verkehr aufhalten. Ich selbst, die erstmal den Knopf für die drei ollen Bio-Zitronen finden muss, damit ich sie abwiegen kann. Das piepsende Gerät, das nach einem echten menschlichen Mitarbeitenden ruft, weil es nicht verifizieren kann, dass ich durchaus älter als 18 Jahre bin und Alkohol trinken darf: Ich kann verstehen, dass sowas nervt – und so manchen sicherlich auch überfordert.

Deshalb ist die Selbstbedienungskasse in ihrer jetzigen Form auch kein Ersatz, sondern lediglich eine praktische Ergänzung für reguläre Kassen – und ein Angebot für Menschen wie mich, die es gerne nutzen wollen. Ich persönlich halte es so: Sobald ich Obst, Gemüse oder Alkohol kaufe, suche ich die reguläre Kasse auf. Ansonsten: Ab zur SB-Kasse, wo auch die Schlange in der Regel um einiges kürzer ist. Damit ich dort nicht lange stehen und jeden Artikel noch einzeln scannen und einpacken muss, schnappe ich mir am liebsten direkt am Eingang einen der kleinen Handscanner (oder mein Handy mit passender App) und stecke Produkte gescannt in meine Tasche, noch während ich zwischen den Regalen her husche. Am Ende ein einziger Scan, Karte vorhalten, fertig.

Dem Einzelhandel fehlt das Personal

Als das Angebot der SB-Kassen in meinem Stamm-Markt eingeführt wurde, bin ich leicht verunsichert zu einer Kassiererin gegangen und habe sie gefragt: „Mache ich Ihre Jobs kaputt, wenn ich die benutze?“ Ihre Antwort: „Nein, gar nicht. Im Gegenteil. Leute bewerben sich nicht mehr und wir können die Kassen gar nicht mehr richtig besetzen.“ Das ist eine Anekdote und die taugt bekanntlich nicht als Evidenz. Dennoch ist bekannt, dass der Einzelhandel wie viele andere Branchen akut unter Personalmangel leidet. Wie in allen Bereichen, in denen Automatisierung eingeführt wird, ist es aber auch hier möglich, dass am Ende reale Menschen ihren Job verlieren. Bislang zeichnet sich das jedoch nicht ab.

Nun gibt es noch die Menschen, die mahnen, dass die Selbstbedienungsmöglichkeit mehr zu Ladendiebstahl verleite. Belastbar ist das nicht. Und von meiner sehr persönlichen, radikalen Haltung zu Ladendiebstahl – Menschen klauen vor allem, wenn ihnen gefühlt nichts anderes bleibt – mal ganz abgesehen: Man darf dem Handel ruhig zutrauen, ein Konzept, das sich nicht rechnet, ganz schnell wieder abzuschaffen.

Ich will ehrlich sein: Absoluter Luxus sind für mich die Pilotprojekte der komplett autonomen Märkte: Solche, in denen das Geschäft in Echtzeit erkennt, was ich aus den Regalen nehme und in meine Tasche stecke, und ich mich mit Kassen überhaupt nicht mehr aufhalten muss. Gäbe es so einen bei mir um die Ecke, wäre ich wohl die beste Kundin. So bliebe auch mehr Zeit für soziale Interaktion, wie ich sie bevorzuge: fernab des Supermarkts.