AboAbonnieren

Kommentar

Trend in Kölner Supermärkten
SB-Kassen sind keine Errungenschaft, sie sind eine Zumutung

Ein Kommentar von
Lesezeit 4 Minuten
PRODUKTION - 03.07.2024, Nordrhein-Westfalen, Köln: Eine Frau scannt in einer Rewe-Fliale ein Produkt an einer Selbstbedienungskasse. (zu dpa: «Rewe will deutlich mehr Märkte mit SB-Kassen ausstatten») Foto: Oliver Berg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Die Selbstbedienungskasse ist ein Zeitfresser. Besonders für Mütter und Väter.

Unsere Autorin hält Selbst-Scan-Kassen in Supermärkten für Zeitfresser. Und ignoriert ihre Avancen deshalb so gut es geht.

Die Kölner Handelskette Rewe will die Zahl der Selbstbedienungskassen ohne Kassierer bis Ende des Jahres um 80 Prozent erhöhen. Auch andere Einzelhändler setzen auf die Kassen ohne Personal. Kendra Stenzel empfindet die SB-Kassen als großes Glück, Claudia Lehnen lehnt sie als „Zeitfresser“ hingegen entschieden ab:

Es war einer dieser Montage, an dem die Kraftreserven etwa bis 16 Uhr reichen, der Tag aber anschließend noch einige aufwändige Aufgaben bereithält. Was man so Erledigungen nennt, drängelt sich da ungeduldig um den bereits ermüdeten Geist und Körper. Mit dem Fahrrad den Jüngsten zum Fußballplatz transportieren, Abendessenüberlegungen anstellen, den Jüngsten wieder zurücktransportieren, einkaufen, Essen heim transportieren, Essen kochen, Küche aufräumen, durchsaugen, eine Partie Volleyball im Wohnzimmer spielen, vorlesen, Zähneputzen, Monster suchen, Monster des Kinderzimmers verweisen, Wäsche aufhängen.

Fünfmal die Hilfeglocke gedrückt

Und irgendwann zwischendurch stand ich im Supermarkt an der Selbst-Scan-Kasse und hätte fast 25 Kilogramm Honigmelone gekauft. Die Vorratspackung Schnittkäse gleich zweimal. Die Bananen fast gar nicht, weil die irgendjemand fälschlicherweise den Jugendschutz-Artikeln zugeordnet hatte. Genaugenommen wäre ich am Ende beinahe ganz ohne Essen nach Hause gegangen, weil die Waage der Packstation nach der Hälfte der Waren hektisch zu blinken anfing.

Alles zum Thema Brüsseler Platz

Viermal musste ich die Hilfeglocke drücken. Der Mitarbeiter war erst geduldig. Stornierte die viel zu schwere Melone, die abgerechnet wurde, weil der Siebenjährige nicht nur die Frucht, sondern dazu sein gesamtes Körpergewicht auf die Waage lehnte. Zog eine Käsepackung ab, die der Jüngste zweimal gescannt hatte. Schaltete die nachweislich alkoholfreien Bananen frei. Irgendwann schlug er aber die Hände über dem Kopf zusammen angesichts meines scheinbar übermäßigen Einkaufs, der die Einpackzone komplett überfüllte und das System schließlich zum Erliegen brachte. „So viel können Sie doch hier auch nicht kaufen“, sagte er und schüttelte den Kopf.

Für mich sind die SB-Kassen eine Zumutung

Die Selbstbedienungskassen sind vielleicht eine Errungenschaft in Zeiten des Fachkräftemangels. Das will ich gern einsehen. Für mich ist diese Errungenschaft nichts. Mehr noch: Sie ist eine Zumutung. Und das hat mehrere Gründe.

Zunächst ist da die Tatsache, dass sich die SB-Kasse als lustiges Kinderevent verkleidet. Sie wirkt, als könnten miteinkaufende Sprösslinge hier ihre Selbständigkeit üben und Kassierer spielen. Das Problem: Das stimmt höchstens dann, wenn die proaktiven Kinder Mütter oder Väter an der Seite haben, die über unglaublich viel Zeit verfügen. Zeit, um den 25-Kilogramm-Melonen-Posten wieder aus der Rechnung löschen zu lassen, zum Beispiel. Für Mütter ist die Selbst-Scan-Kasse daher keine Zeitersparnis. Sie ist ein Zeitfresser. Kein Kassierer der Welt kann so langsam sein wie ein Dreijähriger, der Hilfestellungen beim Zum-Scanner-Hochwuchten der Waschmittelpackung als Auslöser für einen minutenlangen Wutanfall nutzt.

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen, geboren 1978, ist Chefreporterin Story/NRW. Nach der Geburt ihres ersten Kindes begann sie 2005 als Feste Freie beim Kölner Stadt-Anzeiger. Später war sie Online-Redakteurin und leitet...

mehr

Dann ist da natürlich die Fehleranfälligkeit. Jugendschutz-Warnung bei Bananen? Streik bei Einkaufsmengen, die nicht nur geeignet sind, den Hunger eines Großstadt-Singles, sondern einer vierköpfigen Familie zu stillen? Entwickler täten gut daran, all das bitte erstmal nachzubessern, bevor sie ihre unausgegorene Ideenwelt auf die ja erstmal unschuldige einkaufende Menschheit loslassen.

Und zuletzt vielleicht das Wichtigste: Es mag altmodisch daherkommen, aber ich mag Menschen meistens gerne. Auch diejenigen, die im Supermarkt arbeiten. Die Kassiererinnen und Kassierer in dem kleinen Markt am Brüsseler Platz zum Beispiel, in dem ich einzukaufen pflege und in dem es keine Self-Scan-Möglichkeit gibt, sind Teil meiner Heimat.

Das klingt jetzt pathetisch, aber als es darum ging, mir diese Stadt zu einem Zuhause werden zu lassen, spielten sie eine entscheidende Rolle. Es ist nicht so, dass ich jemals längere Gespräche mit ihnen geführt hätte. Aber sie sitzen zuverlässig an ihrem Platz, wenn ich morgens vor dem Frühstück ungekämmt und in Badelatschen reinschneie, weil die Milch alle ist. Sie schießen aus eigener Tasche 50 Cent zu, wenn meine Tochter ihre Cola nicht bezahlen kann. Sie fragen, wie es den Kindern geht. Wie das Training läuft. Sie sorgen dafür, dass vegane Nuggets bestellt werden, die der Jüngste so gern isst. Sie versichern, dass die Pfirsiche heute besonders süß seien. Sie lächeln.

Solange es diese Menschen gibt, werde ich ihnen immer den Vorzug geben, meine Waren aufs Band legen und geduldig in der Schlange warten, wenn vor mir jemand sein Kleingeld aus dem Portemonnaie kramt. Es wird in jedem Fall schneller gehen als an jenem Selbst-Scan-Desaster-Montag.