Nach Chronext-KündigungenWieso derzeit so viele Start-ups Mitarbeiter entlassen
Köln – Massenentlassungen und Bewertungseinbrüche: Nicht allen einstigen Vorzeige-Start-ups und -Tech-Unternehmen geht es aktuell so gut, wie es einst der Fall war. Der Schnelllieferdienst Gorillas hat Ende Mai etwa 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen, beim Mitbewerber Getir sind es fast 4500 Mitarbeitende. Auch Europas einst erfolgreichstes Start-up, der schwedische Zahlungsdienstleister Klarna, will 700 Stellen abbauen und muss mit einer um 85 Prozent abgesackten Bewertung klarkommen – und das, obwohl Klarna erst jüngst eine Finanzierungsrunde von 800 Millionen Dollar abgeschlossen hat. Was ist los im Start-up-Markt?
Die Gründe, die die Start-ups für ihre Lage angeben, sind meist dieselben. „Angefangen mit den massiven Korrekturen bei den Tech- und Fintech-Bewertungen seit Ende des vierten Quartals, der Zinswende in den USA und der rapide steigenden Inflation, erlebt der Markt nun seismische Verschiebungen“, schreibt Nuri-Chefin Kristina Walcker-Mayer in einem Blog-Eintrag auf der Unternehmenswebseite. Das Berliner Banken-Start-up entlässt rund 45 von 200 Mitarbeitenden. Walcker-Mayer zufolge seien die Risikokapitalgeber vorsichtiger geworden, die Investitionssummen gesunken und Unternehmen müssten jetzt zeigen, dass sie sich auf dem Weg zur Rentabilität befänden. Eine Maßnahme wäre eben auch die Trennung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Abhängig von Investoren
In eine ähnliche Kerbe schießt Gorillas-Chef Kagan Sümer. Seit März 2022 hat sich ihm zufolge der Markt für Tech-Unternehmen einmal umgekehrt, für Investoren gelte nun Vorsicht statt Gier – „besonders Tech-Unternehmen mit niedriger oder negativer Marge bekommen nun einen sehr starken Gegenwind“. Viele Start-ups sind fremdfinanziert und abhängig von Investorengeldern. Diese stecken ihr Geld nun laut Sümer lieber in Unternehmungen mit einem geringeren Risiko. Es komme zu einem Ausleseprozess, den Sümer mit Gorillas überstehen will.
Auch in Köln gibt es ein entsprechendes Beispiel: Das Luxusuhren-Marktplatz-Start-up Chronext hat ebenfalls etliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen, laut einer anonymen Person soll es sich um 40 von rund 150 Mitarbeitenden handeln. Chronext wolle den Weg zur Profitabilität freimachen – offenbar haben die Kölner das aber schon mehrfach versucht: So gab es ähnliche Kündigungswellen bereits 2018 und 2020. Letztere wurde am selben Tag wie eine erfolgreich abgeschlossene Finanzierungsrunde in Höhe von 60 Millionen Euro verkündet.
Standort Köln stabil
Bislang gibt es für den Standort Köln jedoch keine Alarmsignale: Die KölnBusiness Wirtschaftsförderung hat zum Beispiel im ersten Halbjahr des laufenden Jahres 54 Finanzierungsrunden gezählt – also mehr als die Hälfte derer der Gesamtjahre 2021 (82 Runden) und 2020 (64 Runden) und mehr als im ganzen Jahr 2019 (50 Runden).
Auch der Wert der öffentlich bekannten Investitionen in Kölner Finanzierungsrunden im ersten Halbjahr 2022 lag mit 127 Millionen Euro über der Hälfte des Werts des gesamten Vorjahres 2021 mit 189 Millionen Euro. KölnBusiness weist aber selbst darauf hin, dass die Zahlen noch keine Interpretation für das Gesamtjahr zuließen, da Gründungen und Finanzierungsrunden nicht gleichmäßig über das Jahr verteilt lägen. Zudem wurden Finanzierungsrunden teilweise vor einigen Monaten verhandelt und mögliche Auswirkungen seien daher womöglich noch nicht sichtbar.
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Mit Blick auf Landesebene sind ebenfalls noch keine Spuren von Problemen auszumachen, wie aus einer Studie des Beraterhauses EY hervorgeht. Demnach wurden in NRW im ersten Halbjahr 2022 rund 211 Millionen Euro an Finanzierungsrunden eingesammelt. Deutlich stechen dabei die Kölner Cyber-Sicherheitsfirma SoSafe (72 Millionen Euro) und das Düsseldorfer KI-Kommunikationsunternehmen Cognigy (58 Millionen Euro) hervor. „Es ist immer noch viel Liquidität im Markt, Investoren schauen aber genauer, wo sie investieren“, so Thomas Prüfer von EY.
Etwas schwieriger sieht es jedoch deutschlandweit aus: Sammelten die Start-ups in Deutschland im ersten Halbjahr 2021 noch 7,6 Milliarden Euro ein, waren es im gleichen Zeitraum 2022 mit etwa sechs Milliarden Euro Risikokapital rund 20 Prozent weniger. Trotzdem: Es handelt sich um das zweitbeste erste Halbjahr für die deutsche Start-up-Branche.