Köln – Wie können sich Frauen vor gewalttätigen Angriffen wie Silvester am Kölner Hauptbahnhof schützen – und wie dürfen sie sich im Notfall zur Wehr setzen? Wir haben zwei Expertinnen befragt: Natalia Chakroun ist Anwältin für Familien- und Sozialrecht sowie Arbeits- und Opferschutzrecht und juristische Beraterin beim Kölner Verein Frauen gegen Gewalt e.V.. Tana Schulte leitet das Krav Maga Studio „You can fight!“ in Köln: In den Selbstverteidigungskursen lernen Frauen und Männer einfache und effektive Techniken gegen Angreifer.
Gefährliche Orte und kurze Röcke meiden?
Für beide Expertinnen steht fest: Gewalt gegen Frauen lässt sich nicht verhindern – aber Frauen können Strategien lernen, um damit umzugehen und sich zu wehren. Allerdings sei es der falsche Weg, auf kurze Röcke zu verzichten: „Es geht den Menschen, die Täter sind, nicht um sexuelle Befriedigung, sondern darum, Macht zu haben, Gott zu spielen und andere Personen unter ihre Kontrolle zu bringen“, sagt Anwältin Natalia Chakroun. Deswegen sei die Frage nach vermeintlich anzüglicher Kleidung völlig irrelevant: Die Frau werde einzig aus dem Grund zum Opfer, weil sie körperlich schwächer ist.
Kampfsport-Lehrerin Tana Schulte rät Frauen dazu, sich taktisch zu kleiden: Wer auf dem einsamen Heimweg die richtigen Schuhe trägt, könne damit schneller flüchten und im Fall eines Kampfes auch besser zutreten: „Wer nicht auf schicke Schuhe verzichten möchte, sollte solche tragen, die man schnell ausziehen kann, zum Beispiel Ballerinas“, empfiehlt sie.
Die Polizei rät Frauen oft dazu, nachts gefährliche Orte zu meiden. „Aber wenn man sich am Kölner Hauptbahnhof nicht mehr aufhalten kann, wo alles voller Kameras ist, wo denn dann?“, fragt Chakroun. Wichtiger finden es beide Expertinnen hingegen, die eigene Wahrnehmung zu schärfen und mögliche Gefahrensituationen einmal für sich durchzuspielen. Ein Beispiel: Mit wem fahre ich zur Party und wieder zurück? Kann unterwegs oder vor Ort etwas passieren? Wie kleide ich mich taktisch – etwa Turnschuhe statt High Heels, damit ich weglaufen kann? Bin ich bereit, im Ernstfall zuzuschlagen?
„Auch der Straßenverkehr kann gefährlich sein – trotzdem bleiben wir nicht zu Hause, sondern entwickeln Strategien, wie es sicherer wird, zum Beispiel Anschnallgurte“, fasst Schulte zusammen.
Pfefferspray, Tritte und Schläge – ist das erlaubt?
Pfefferspray darf in Deutschland nur deshalb weitgehend einschränkungsfrei als „Abwehrspray gegen Hunde“ verkauft werden, weil ein Tierabwehrspray nicht vom Waffengesetz erfasst wird. „Dies bedeutet, dass der Erwerb und Besitz von solchen 'Tierabwehrsprays' für Volljährige möglich ist und gegen keinerlei Gesetze verstößt“, erläutert ein Händler auf seiner Webseite.
Wer solch ein Spray besitzt, darf es zur Notwehr einsetzen, wenn er dem Angreifer körperlich unterlegen ist. Das gilt auch für Tritte und Schläge. „Allerdings nur so lange, bis der Angriff beendet ist“, so Anwältin Natalia Chakroun. Hingegen sei es nicht erlaubt, dem Angreifer Pfefferspray in die Augen zu sprühen, und dann noch nachzutreten, wenn er bereits am Boden liege.
Leider hätten Frauen eher als Männer Hemmungen, sich körperlich zur Wehr zu setzen, weiß Kampfsport-Trainerin Schulte: „Sie haben oft verinnerlicht, stillzuhalten und nichts zu tun.“ Dabei sei die Wahrscheinlichkeit verletzt zu werden Studien zufolge nicht größer, wenn sich angegriffene Frauen wehren. „Der Überlebensinstinkt ist tief in uns drin, und wir können lernen, diese Instinkte wieder zu aktivieren“, so die Trainerin. Wer selbstbewusst auftritt, wirkt zudem auf andere weniger leicht angreifbar.
Auf der nächsten Seite: Sollte man „Feuer“ statt „Hilfe“ rufen? Und was ist eigentlich das Heimweg-Telefon?
Sollte man „Feuer“ statt „Hilfe“ rufen?
Immer wieder wird Frauen geraten, wenn sie attackiert werden statt „Hilfe“ laut „Feuer“ zu rufen, damit ihnen eher Menschen zur Hilfe eilen. „Dem stehe ich kritisch gegenüber, zumal es keine Studien gibt, die das belegen“, sagt Chakroun. „Denn bei einem Feuer ist doch der erste Impuls eher, wegzulaufen“. Falls Menschen in der Nähe sind, rät sie, diese konkret anzusprechen und potenziellen Helfern Aufträge zu geben: „Sie mit der roten Jacke, dem schwarzen Cappy und der Brille, rufen Sie die Polizei!“ Zivilcourage bedeutet aber nicht, sich als Helfer selbst in Gefahr zu bringen, betont Chakroun: Hier gilt es schnell abzuwägen, was in der Situation das richtige ist.
Allerdings sind Frauen aber in vielen Angriffssituationen allein, weiß Schulte: „Da bringt es nichts, auf den 'Retter' zu hoffen. Eine Statistik hat gezeigt, dass 90 Prozent der Frauen ihren Angreifer in die Flucht treiben konnten, weil sie sich selbst körperlich gewehrt haben.“ Nur eine geringe Zahl der Übergriffe wurde hingegen durch Außenstehende verhindert.
Also gilt: Den Täter anschreien, schlagen, treten, beißen, sich mit Gegenständen wie Schlüsseln und Flaschen zur Wehr setzen – und wenn man sich losgerissen hat, nicht blindlings in die Nacht rennen, sondern dorthin flüchten, wo es Hilfe gibt. „Im Stress sind diese Entscheidungen nur schwer zu treffen, deshalb sollte man solche Situationen einmal für sich durchgespielt haben“, rät Schulte.
Heimweg-Telefon als Begleiter
Das Heimwegtelefon ist eine ehrenamtlich betriebene Telefonhotline in Deutschland. Die Idee stammt ursprünglich aus Schweden: Mit dem Heimweg-Telefon sollen sich Anrufer sicherer fühlen auf Strecken, die nachts als bedrohlich empfunden werden. Die Hotline ist seit Ende Dezember 2013 unter der Telefonnummer 030/12074182 erreichbar, und zwar jeden Freitag und Samstag zwischen 22 und 2 Uhr.
„Freiwillige sitzen hier an der Leitung, um diejenigen nach Hause zu begleiten, die nachts alleine auf der Straße sind. Zu Beginn des Telefonats teilt der Anrufer mit, wo er sich befindet und was sein Ziel ist. Dann folgt ein nettes Gespräch, das die Laufzeit verkürzt. In regelmäßigen Abständen wird der aktuelle Standort in Erfahrung gebracht“, so die Selbstbeschreibung des Projekts. Als Kosten fallen die üblichen Tarife eines Gesprächs vom Handy zum Festnetz an.
Nachteil: Ein Telefon am Ohr kann laut Polizei Düsseldorf auch Auslöser für einen Überfall sein. Teure Smartphones würden ihren Benutzern mitunter einfach aus der Hand gerissen. Dieses Risiko soll durch ein Headset verringert werden – allerdings kann das Handygespräch natürlich auch von äußeren Gefahren ablenken.