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Wirtschaft, Wissenschaft und LobbyistenDas Netz der Rüstungsindustrie in NRW

Lesezeit 6 Minuten
dynamitnobeldefence_panzerfaust_dpa

Bei einer Übung hält dieser Soldat eine Panzerfaust der Firma Dynamit Nobel Defence. Das Unternehmen sitzt in Burbach.

  1. Neben Rheinmetall und Thyssenkrupp gibt es in NRW noch Dutzende Unternehmen, die im Bereich Rüstung Geschäfte machen.
  2. Klein- und Mittelständler in Schwerte, Erkrath oder Burbach - die kaum jemand kennt. Ein Netz aus Forschungsinstituten und Lobbyisten unterstützt sie.
  3. Wer sind sie, was sie produzieren und wo sie sitzen. Ein Schlaglicht auf die Rüstungsbranche in NRW.

Köln – Deutschlands größter Rüstungskonzern sitzt im Rheinland: Das Düsseldorfer Unternehmen Rheinmetall setzte in seinem Verteidigungs-Segment im vergangenen Jahr 3,52 Milliarden Euro um. Kein anderes rein deutsches Unternehmen erwirtschaftete mit dem Verkauf von Waffen und militärischen Fahrzeugen 2019 mehr. Dabei sind es vor allem klein- und mittelständische Unternehmen, die das Rückgrat der Rüstungsindustrie in NRW bilden. Die Unternehmen sind Teil eines weitreichenden Netzwerkes, zu dem auch Lobbyverbände, Forschungsinstitute und Behörden zählen. Eine Analyse:

Ländervergleich

Baden-Württemberg und Bayern sind bei der Produktion von Rüstungsgütern in den vergangenen Jahrzehnten an NRW vorbeigezogen, erklärt Otfried Nasauer vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit. Weil die NRW-Rüstungsindustrie stark am Heer orientiert gewesen sei, habe sich die Verkleinerung der Bundeswehr nach dem Ende des Kalten Krieges hier besonders deutlich niedergeschlagen. Heute agieren die Klein- und Mittelständler vor allem als Zulieferer. Firmen wie Rheinmetall dagegen orientierten sich neu und eröffneten Standorte im Ausland oder exportierten ihre Güter über EU-Staaten, die eine weniger restriktive Rüstungspolitik verfolgen. Die Unternehmen am Bodensee und in Baden-Württemberg konnten sich hingegen behaupten, weil ihre Sparten – Luft- und Raumfahrttechnik und Elektronik – an Bedeutung gewannen. „Airbus, Krauss Maffei , Rheinmetall Militärfahrzeuge sind in Bayern beheimatet“, zählt Nasauer auf. In Baden-Württemberg sitzen etwa Heckler & Koch sowie Diehl.

Ruestungsindustrie-NRW (1)

Bei militärischen IT- und Softwarelösungen belegt NRW bundesweit gar einen Spitzenplatz. Etwa 4000 von insgesamt 11 887 Aufträgen vergab das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) 2019 nach NRW. Das entspricht einem Auftragsvolumen von 1,1 Milliarden Euro. „Die wertstärksten Warengruppen stellen Dienstleistungen sowie IT-Hard- und Software mit einem Wertanteil von rund 75 Prozent dar“, so ein Sprecher des Ministeriums. Andreas Seifert forscht an der Universität Tübingen unter anderem zur Sicherheitspolitik. Er erklärt, die bedeutende Rolle der Region lasse sich auch darauf zurückführen, dass Bonn lange Bundeshauptstadt war. „Das Bundesverteidigungsministerium hat hier seinen Standort. In Koblenz sitzt das Beschaffungsamt der Bundeswehr“, so Seifert.

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Rüstungsexporte

Das Gesetz unterscheidet zwischen Kriegswaffen und Rüstungsgütern, die keine Kriegswaffen sind. Diese „sonstigen Rüstungsgüter“ unterliegen nicht dem Kriegswaffenkontrollgesetz, sondern dem Außenwirtschaftsgesetz. In diese Kategorie fallen laut Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) etwa Pistolen, Revolver, Jagd- und Sportgewehre, Radar- und Funktechnik und Explosivstoffe. 2018 wurden in NRW insgesamt zwölf Einzelausfuhrgenehmigungen für Kriegswaffen im Wert von über 108 Millionen Euro erteilt. Das Bundesland lag damit hinter Bayern, Bremen und Baden-Württemberg auf Platz vier. 1875 Einzelgenehmigungen wurden für die Ausfuhr sonstiger Rüstungsgüter vergeben, ein Gesamtwert von etwa 252 Millionen Euro. NRW liegt hier auf Rang drei hinter Baden-Württemberg und Bayern. Nach vorläufigen Zahlen für 2020 betrug die Höhe der Einzelgenehmigungen für den Export von Rüstungsgütern in NRW im ersten Halbjahr rund 155 Millionen Euro, heißt es vom Bundeswirtschaftsministerium.

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Dazu, welche NRW-Firmen Rüstungsgüter exportieren, macht das Ministerium keine Angaben. Auch der IHK Köln liegen keine Statistiken vor. „In der statistischen Erfassung ist es schwierig, rüstungsnahe Zulieferer zu identifizieren, weil sie etwa bei Metallverarbeitung eingeordnet werden und nicht in einer gesonderten Rüstungsrubrik“, sagt Sprecher Jörn Wenge. Unternehmen haben oft kein Interesse daran, dass ihre Verbindungen in den Rüstungsbereich zum Thema werden. Auf eine Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ meldeten sich nur wenige Firmen zurück.

Unternehmen

Mehrere Dutzend Unternehmen in NRW sind im Bereich Rüstung aktiv. Das geht aus Aufstellungen rüstungskritischer Online-Plattformen und Kleinen Anfragen an den Bundestag hervor. Die Zahl an Firmen genau festzulegen, ist fast unmöglich. Oftmals machen die Zulieferung und Produktion von Teilen oder die Bereitstellung von Software nur einen kleinen Teil des Geschäfts aus. Die Albrecht Kind GmbH in Gummersbach verortet sich selbst in der Jagd- und Schießsportbranche. Aus einer Kleinen Anfrage an das Bundeswirtschaftsministerium 2015 geht hervor, dass die Firma ab 2003 die Genehmigung erhielt, Saudi-Arabien mit Zielfernrohren für Gewehre zu beliefern. Geschäftsführer Manfred Kind teilt mit, man verkaufe Waffen für den Schießsport und die Jagd an zivile Händler in Drittländern. Darüber hinaus bestünden aber keine Kontakte zu militärischen Stellen in Drittländern.

In Bonn ansässig ist auch HIL. Das Unternehmen sieht seine Aufgabe „ in der Wartung und Instandhaltung einer umfangreichen, technisch anspruchsvollen Fahrzeugflotte“, so die Homepage. Aktuell vergibt HIL Aufträge zur Instandhaltung des Kampfpanzers Leopard 2. In Troisdorf stellt Dynitec militärische Zünder her. Für Torpedos, Handgranaten und Raketen. Auch Munition gehört zum Sortiment. Die Produkte entsprechen „militärischen Standards in Deutschland, der Nato und den USA“, heißt es online.

AirRobot in Arnsberg entwickelt Drohnen, die laut Firmenwebsite „von verschiedenen internationalen Streitkräften zur Aufklärung im Nah- und Ortsbereich genutzt werden“. Das Modell AR100-B wurde in Afghanistan eingesetzt, berichtet die militärische Fachzeitschrift „Strategie und Technik“. Laut Bundeswehr kommt die Drohne heute bei der UN-Mission in Mali zum Einsatz.

In Krefeld sitzt Schmeisser, ein Unternehmen mit unter 20 Mitarbeitern, das Waffen für „Jäger, Sportschützen oder für den Polizei- und Militärmarkt im In- und Ausland“ produziert. Im Jahr 2012 genehmigte die Bundesregierung den Export von 50 000 Maschinenpistolen nach Saudi-Arabien. Laut Geschäftsführer Andreas Schuhmacher kam es aber nie zu einer Lieferung. 2018 genehmigte Berlin die „Ausfuhr von Revolvern und halbautomatischen Pistolen“ im Gesamtwert von 747 000 Euro. Auch dieser Export sei nicht zustande gekommen, teilt Schuhmacher dazu mit. 2014 habe man entschieden, keine Rüstungsgeschäfte mehr vorzunehmen.

2012 erteilte der Bundessicherheitsrat der BHC Gummi Metall Meckenheim die Genehmigung, 9700 Komponenten nach Ägypten zu liefern. Es ging um Teile für Mannschaftstransporter. BHC gehört zur RUPF Industries Gruppe, einem familiengeführter Mittelständler. Eine Anfrage, ob die Güter nach Ägypten ausgeliefert wurden, blieb unbeantwortet.

Rüstungsforschung

Zwischen der Industrie und der Wissenschaft in der Region gibt es eine enge Zusammenarbeit. Das Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen (INT) ist seit Jahrzehnten Partner des Verteidigungsministeriums. In Euskirchen wird an Analysen der nuklearen Bedrohungen und Entwicklungen der Wehrtechnik geforscht. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) nennt die wehrtechnische Forschung einen „integralen Bestandteil“ seiner Arbeit. Das DLR forscht für die Bundeswehr zu Navigation im Weltraum, Big Data und Anti-Terrorismus-Technologien.

Lobbyverbände

Eine zentrale Rolle spielen auch Lobbyisten. Im Verein Anwenderforum für Fernmeldetechnik, Computer, Elektronik und Automatisierung (AFCEA) netzwerkt die Branche. „Abseits von verbriefter Beschaffung münden Gespräche hier in handfeste Bestimmungen“, sagt Andreas Seifert. Die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik versteht sich als „neutrale Informationsplattform“. Im Jahresbericht 2019 heißt es, „der Zweck – die Förderung und Organisation des Dialoges zwischen der mittelständischen wehrtechnischen Wirtschaft und der Bundeswehr sowie nationalen und internationalen Institutionen und Organisationen – ist in jeder Hinsicht erfolgreich erfüllt worden“.