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Den Mumien auf der SpurWer waren die Toten in der medizinhistorischem Sammlung?

Lesezeit 4 Minuten
Illustration: Forschende beugen sich über eine Mumie

Mumie, Wissenschaftler untersuchen Mumie, zu: wer sind die Toten in der medizinhistorischen Sammlung der Universität Jena? wochenende, wochenend-Ausgabe

In der Universität Jena befinden sich menschliche Überreste aus Ägypten und Südamerika. Wer waren diese Toten und wie gelangten sie überhaupt nach Deutschland?

Der Augenarzt und Medizinhistoriker Theodor Meyer-Steineg war ein leidenschaftlicher Sammler. Im frühen 20. Jahrhundert brachte er von seinen Reisen zahlreiche Andenken mit – Organe in Gläsern, die Instrumente antiker Ärzte und eine Handvoll Mumienteile.

Mehr als 700 Objekte stiftete er der medizinhistorischen Sammlung der Universität Jena. Heute lagern die meisten von ihnen im Archiv und werden aus Pietätsgründen nicht mehr ausgestellt. Das gilt insbesondere für zwei Kindermumien aus Südamerika und ein Sammelsurium ägyptischer Mumienteile.

Fälschungen waren keine Seltenheit

Einige Stücke in Jena stammen aus der Sammlung des Insektenforschers Otto Schmiedeknecht. Auch er unternahm im späten 19. Jahrhundert Forschungsreisen nach Ägypten. Wie Meyer-Steineg und Schmiedeknecht an die Mumienteile kamen, lässt sich nicht genau sagen. „Die Aufzeichnungen zu den Stücken sind kaum mehr als ein paar Zettel mit Nummern. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert gab es außerdem in Europa einen florierenden Markt für Mumien aus Ägypten und Südamerika“, sagt Enrico Paust vom Seminar für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie an der Uni Jena. Fälschungen waren keine Seltenheit, detaillierte Lieferpapiere aber schon.

Die Aufzeichnungen zu den Stücken sind kaum mehr als ein paar Zettel mit Nummern.
Enrico Paust, Archäologe an der Universität Jena

Um mehr über die Mumienteile zu erfahren, begaben sich Paust und seine Kollegen auf Spurensuche. „Die Besonderheit an unserem Vorgehen sind sicher die verschiedenen Ansätze der Untersuchung“, sagt der Biologiehistoriker Uwe Hoßfeld. „Wir haben versucht, radiologisch das Alter der Mumien zu bestimmen. Im Computertomografen der Uniklinik wurden die Skelette auf anatomische Auffälligkeiten untersucht, in der Gerichtsmedizin versuchte man, die DNA zu bestimmen. Sogar die Materialien der Mumienbinden wurden analysiert.“ Auch historische Quellen zu den Forschungsreisen wurden nach Hinweisen durchsucht.

Mit Erfolg: Nach anderthalb Jahren Detektivarbeit wissen die Forschenden schon mehr. Die Mumien aus Südamerika stammen von Kleinkindern. Die Mumienteile aus Ägypten stammten von Erwachsenen, mindestens von drei Männern und zwei Frauen. Bei weiteren acht Überresten ließen sich keine genauen Angaben machen. Alle Mumien stammen aus nachchristlicher Zeit, genauere Angaben sind aufgrund des Erhaltungszustands nicht möglich.

Eine heiße Spur kam von der Textilrestauratorin des Hauses. Friederike Leibe-Frohnsdorf untersuchte die Binden, mit denen die Mumien eingewickelt waren. Sie bestehen aus Hanf, Flachs und Baumwolle. „Die frühesten Nachweise von Baumwolle in Ägypten stammen aus dem ersten Jahrhundert vor Christus. Vermutlich stammen die Fasern aber auch vom Anbau vor Ort. Der ist erst ab dem ersten nachchristlichen Jahrhundert nachzuweisen“, erklärt Hoßfeld.

Am Verbleib der Mumien in der Sammlung ändern die neuen Erkenntnisse zur Herkunft nichts. Die Mumien sind vermutlich auf „legalem“ Wege erworben worden und können keinem direkten Herkunftsort zugeordnet werden. „Das Interesse an der Rückführung von Mumienteilen ist auf ägyptischer Seite mehr als überschaubar“, so Paust.

Es fehlt an Fachleuten und Mitteln für die Forschung

Trotzdem zeige das Projekt neue Perspektiven für die Rückführung von Raubkunst, bei der es nur wenige Informationen zum Ursprung gibt. Provenienzforschung, also die Suche nach der Herkunft von Kulturgütern, ist aus seiner Sicht besonders erfolgreich, wenn man sich möglichst vieler Expertisen bedient. Allerdings kostet das Zeit und Mittel. Das ist ein Problem, ergänzt Hoßfeld. „Einerseits besteht großes öffentliches Interesse an der Rückführung von Kulturgütern, die zum Beispiel im Zuge des Kolonialismus in Sammlungen gelangten. Gleichzeitig fehlt es an Kapazitäten, Fachleuten und Mitteln für ihre Erforschung.“

Die Mumienanalyse ist nicht das erste Projekt dieser Art in Jena. 2022 untersuchte die Forschungsgruppe acht Schädel aus der Sammlung der Universität, die während der Kolonialzeit nach Deutschland gelangten. Drei Schädel stammen von Massai aus dem heutigen Tansania, und stehen möglicherweise mit einem Massaker in Verbindung, bei drei weiteren ließ sich Papua als Herkunftsort identifizieren. „Anders als bei den Mumien stammen diese Stücke eindeutig aus einem Unrechtskontext. Deshalb haben wir Meldung an die Botschaften der Länder und das Auswärtige Amt gemacht“, berichtet er.

Dieses Vorgehen ist kein Einzelfall: 2022 haben Hochschulen aus Bremen, Berlin, Jena und Göttingen menschliche Überreste an eine hawaiianische Delegation übergeben. Die Gebeine stammten aus illegalen Grabungen auf der Insel Maui.


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.