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Kommentar

Zwo, drei, vier, ss-ta-ta!
Gemeinsam singen: Eine Hommage an die Mundorgel

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Lesezeit 3 Minuten
Teenager singen am Lagerfeuer zur Gitarre

„‚Die Mundorgel‘, dieses herzensgute Stück Musikgeschichte, wird auch die nächsten 71 Jahre überdauern“, ist sich unser Autor sicher.

Der Himmel geht über allen auf, Der Winter ist vergangen, und Die Gedanken sind frei. Das kommt Ihnen bekannt vor? Unser Kolumnist kann ein Lied davon singen.

Und wir kauern wieder um die heiße Glut und erzählen von Abenteuern. Wir sind jung, die Welt ist offen. Wir wissen nicht, was kommt, aber Selig seid ihr, wenn ihr einfach lebt. Florian Illies hat in seinem Bestseller „Generation Golf“ sehr hübsch beschrieben, wie er in den Achtzigerjahren, samstags in der Badewanne sitzend, dieses später nie wieder auftauchende, sichere Gefühl verspürt habe, „zu einem bestimmten Zeitpunkt genau das Richtige zu tun“. Ich kenne das Gefühl, Schön ist die Welt. Bloß war es bei mir nicht die Badewanne, sondern das Lagerfeuer.

Als tapferes Mitglied einer wandernden Gruppe habe ich Nächte in schwarzen Wäldern an schmurgelnden Feuerlein gesessen – Heute hier, morgen dort – und zur Gitarre gesungen, denn Suchst Du nach Glück, Die Erde ist schön. Die letzten Feuer sind entfacht, Nun ruhen alle Wälder, und Es tönen die Lieder – und zwar natürlich zu den Worten und Weisen aus dem kleinen, roten Liederbüchlein namens „Mundorgel“. Denn Froh zu sein bedarf es wenig, und wer froh ist, ist ein König.

Ja, es Brannt‘ in unser’n Reiseschuh’n – Hinaus, hinaus aus engem Haus. Der Himmel geht über allen auf, Der Winter ist vergangen, und Die Gedanken sind frei. Ich rede, wenn ich schweigen sollte, Ihr lieben Brüder mein. Die Wissenschaft hat festgestellt: Dort drunt‘ im schönen Ungarland, Dunkle Tannen säumen fern das weite Land. Und Ein Mann der sich Kolumbus nannt‘, Er hält die ganze Welt in der Hand. Feurig geht die Sonne auf, Frei liegt die See, und Gott hat die Bombe nicht gemacht, Damals, als die Römer frech geworden.

Horcht, was kommt von draußen rein? Wo mag denn nur mein Christian sein? What shall we do with the drunken sailor? Und auch wer hat die Kokosnuss geklaut?
Imre Grimm zitiert aus der „Mundorgel“

Die „Mundorgel“ – seit 1953 das musikalische Referenzmedium der weltanschaulich gefestigten Jugend – enthält unverwüstliche Klassiker des Genres „Lieder, die selbst bei drei gerissenen Saiten und zwei Promille noch vertraut klingen“. Wir alle wussten: Der Globus quietscht und eiert, Bolle reiste jüngst zu Pfingsten nach Pankow war sein Ziel, wo Dra Chanasan mat dam Kantrabass saßan, und ein Harung jung und schlank, zwo, drei, vier, ss-ta-ta, tirallala, auf dem Meeresgrunde schwamm. Was wir dagegen nicht wussten: Horcht, was kommt von draußen rein? Wo mag denn nur mein Christian sein? What shall we do with the drunken sailor? Und auch wer hat die Kokosnuss geklaut?

Die vier Gründerväter der „Mundorgel“, allesamt Kölner CVJM-Gruppenleiter, wollten mit ihrem Sammelband „die Textsicherheit der Jugendlichen auch über die erste Strophe hinaus verbessern“. Ein ehrenvolles Anliegen. Das bislang letzte inhaltliche Update freilich stammt aus dem Jahr 2001. Es ist ein Blick zurück in eine Zeit, als die Erwähnung von „Eskimos“ noch unproblematisch schien, ebenso die Zeile „der Wilde sitzt in dem Kanu“. Dafür hatte man gegenüber der 1968er-Ausgabe den „Armen Italiano“ namens „Antonio Makkaroni“ schon behutsam entnommen, dessen Frau „Pimpanella“ den Salat „mitsamt dem Tella“ aß, ebenso das „Nilpferd aus dem Mohrenreich“.

Die „Mundorgel“, dieses herzensgute Stück Musikgeschichte, wird auch die nächsten 71 Jahre überdauern. Mein Kind, wir waren Kinder, heute sind wir Old Folks At Home. Glory, glory hallelujah! Schönes Wochenende.


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.