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Kleiner Eingriff – große WirkungWeniger Komplikationen durch minimalinvasive Operationen

Lesezeit 4 Minuten
Illustration: Operationssaal während eines Eingriffs

Wochenend-Ausgabe, Midjourney-Header

Minimalinvasive Operationen werden heute bei einer Vielzahl von Beschwerden angewendet. Dadurch gibt es weniger Komplikationen. Dazu trägt der Einsatz von Robotik bei. Doch auch sie erfordert chirurgisches Know-how.

Im Jahr 1980 gab es am Uniklinikum Kiel eine Weltsensation: Erstmals wurde dort ein Patient per „Schlüssellochchirurgie“ am Blinddarm operiert – und das von einem Frauenarzt, dem Münchner Kurt Semm. Für seine aus damaliger Sicht gewagte Operation hagelte es heftige Kritik, und zwar, wie Semm später berichtete, sowohl von Chirurgen wie auch von Gynäkologen. Er sei regelrecht gesteinigt worden, es dauerte Jahre, bis er rehabilitiert wurde.

Heute gilt Semm als einer der „Väter der laparoskopischen Chirurgie“, einem wesentlichen Bereich der minimalinvasiven Chirurgie: Dabei wird ein Endoskop – ein dünnes Metallrohr mit Kamera – in den Körper eingeführt. Mithilfe von Bildern, die die Kamera an einen Monitor sendet, wird dann durch Metall- oder Plastikhülsen mit Spezialinstrumenten operiert.

Man kann heute fast alles minimalinvasiv operieren.
Prof. Matthias Anthuber, Viszeralchirurg

Inzwischen haben sich minimalinvasive Techniken rasant weiterentwickelt und wegen ihrer Vorteile in vielen Bereichen durchgesetzt. Heute wird ein Blinddarm in aller Regel minimalinvasiv entfernt, und auch andere Operationen wie Nierenstein- oder Gallenblasenentfernungen werden nur noch selten offen durchgeführt. „In den vergangenen 20 Jahren hat es eine gewaltige Entwicklung in der Chirurgie gegeben. Man kann heute fast alles minimalinvasiv operieren“, sagt der Viszeralchirurg Prof. Matthias Anthuber vom Universitätsklinikum Augsburg.

Selbst bei Organtransplantationen lassen sich zum Teil minimalinvasive Methoden einsetzen, etwa bei einer Lebendnierenspende: Um den Spender möglichst wenig zu belasten, werden bloß winzige Schnitte gesetzt, um die Niere zu präparieren. „Das lässt sich komplett minimalinvasiv machen, nur für die Entnahme der Niere brauchen wir einen etwas größeren Schnitt“, sagt Anthuber. Um das Organ anschließend dem Empfänger einzusetzen, ist allerdings nach wie vor eine offene Operation nötig.

Die Vorzüge minimalinvasiver Techniken sind gut belegt: „Es sind nur kleine Schnitte nötig. Die Bauchdecke bleibt geschlossen, in der Folge kommt es seltener zu Wundheilungsstörungen und Komplikationen“, sagt die Viszeralchirurgin Prof. Marty Zdichavsky von der Filderklinik in Filderstadt. „Besonders wichtig ist der psychologische Effekt. Da man von der Operation wenig sieht, haben die Patientinnen und Patienten ein besseres Körpergefühl. Es wird oft unterschätzt, wie wichtig das ist“, betont sie.

Grenzen bei bestimmten Operationen

Aber die Verfahren haben ihre Grenzen. Eine Kontraindikation ist ein „massiv verwachsener Bauchraum“, wie Anthuber erklärt. Das kann der Fall sein, wenn Patienten mehrfach voroperiert sind. Um minimalinvasiv vorgehen zu können, braucht man „freien Raum“ in der Bauchhöhle. Auch sonst kann es Situationen geben, in denen man offen operieren muss – etwa nach einem schweren Unfall. „Da braucht man schnell einen Überblick, um lebensbedrohliche Blutungen zu stoppen“, erklärt der Chirurg.

Abgesehen davon können Herz- und Lungenprobleme ein Hindernis sein. Damit der Blick auf die Organe frei wird, wird bei einem minimalinvasiven Eingriff der Bauchraum mittels Kohlendioxid aufgebläht. „Es kann bei vorerkrankten Patientinnen und Patienten sein, dass der erhöhte Druck im Bauchraum vonseiten der Herz-Lungen-Funktion nicht toleriert wird“, gibt Anthuber zu bedenken.

Roboter auf dem Vormarsch

Normalerweise können Chirurginnen gut abschätzen, ob die Voraussetzungen passen. Es kann aber passieren, dass sich während eines minimalinvasiven Eingriffs Probleme ergeben. „Zum Beispiel kann es zu einer Blutung kommen, die die Sicht erschwert. Wenn der anatomische Überblick fehlt, muss man umsteigen.“ Damit meint Anthuber, dass offen weiteroperiert wird – auch für diesen Fall müssen Ärztinnen und Ärzte also gerüstet sein.

Kann es passieren, dass sie konventionelle Eingriffe verlernen, weil diese nur selten gebraucht werden? „Das ist ein Einwand, den konventionell operierende Kollegen öfter vorbringen“, sagt er. „Es ist sicher wichtig, den chirurgischen Nachwuchs weiterzubilden.“ Inzwischen bewegt sich die Chirurgie aber in eine andere Richtung: In vielen Kliniken haben sich roboterassistierte Systeme durchgesetzt. Das bekannteste ist das Da-Vinci-System, das sich bei minimalinvasiven Eingriffen einsetzen lässt. Das Stichwort „OP-Roboter“ weckt falsche Befürchtungen: „Der Roboter macht nichts Eigenständiges, sondern wird von Chirurgen geführt“, betont Zdichavsky.

Andere Arbeitsweisen

Die Operationsweise hat sich dadurch verändert: Ärzte steuern von einer Konsole aus die Roboterarme, es kommen Instrumente zum Einsatz, die speziell für die Maschine entwickelt wurden. Sie können Zdichavsky zufolge besser rotieren, erlauben mehr Freiheiten. Gerade bei „kleinen, dunklen Räumen“, etwa Operationen an Speiseröhre oder Enddarm, hätten die Verfahren ihre Berechtigung. Grundsätzlich „besser“ seien sie aber nicht, so die Expertin.

Anthuber sieht große Chancen in der neuen Technik. Unter anderem vermittle das Gerät einen vergrößerten 3-D-Blick auf das Operationsfeld. Einzig die hohen Kosten und die aufwendige Ausbildung seien nachteilig. „Robotik wird die Chirurgie in den nächsten 25 Jahren massiv verändern“, so Anthuber. (RND)


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.