KolumneWo Deutschland ganz bei sich ist (I) – Recyclinghof

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Gebrauchte Verpackungen für Wurst und Käse liegen auf einem Brett in einer Wohnungsküche gestapelt.

Niemand trennt Müll so gewissenhaft wie die Deutschen.

Die Kathedrale des festen Glaubens an die Segnungen der Mülltrennung ist der Recyclinghof, geöffnet immer dann, wenn normale Menschen keine Zeit haben.

Das Geheimnis einer langen Ehe ist, dass man sich nicht trennt“, hat Johann König mal gesagt. Das gilt für Paare, aber nicht für Müll. Niemand trennt Müll so gewissenhaft wie die Deutschen. Denn wir wissen: Jede abgefummelte Joghurtummantelung, die im Altpapier landet, trägt am Ende zur Rettung des Planeten bei.

Die Kathedrale des festen Glaubens an die Segnungen der Mülltrennung ist der Recyclinghof, geöffnet immer dann, wenn normale Menschen keine Zeit haben. Die Höllenengel auf dem geheiligten Boden sind robuste Wertstoffberater (vulgo: Müllleute) in gelben Warnwesten, die dank ihres Spezial-Röntgenblickes schon von außen erkennen, ob ein anrollendes Fahrzeug unbotmäßige Materialien enthält. Mit der Schnellkraft eines Leoparden schießen sie aus der Deckung und erteilen dir eine Müllabfuhr, sobald du versuchst, ein Löffelchen Bauschutt zu entsorgen, das noch einen Holzspan enthält.

Müll ist nicht gleich Müll

Müll ist nämlich nicht gleich Müll. Für jede Spezialanwendung steht ein eigener Container bereit: Großplastik, Kleinplastik, Mittelplastik, Plastik mit Farbresten, Farbreste mit Plastikresten, Joghurtummantelungen, Ölgemälde mit Landschaft, Ölgemälde mit Menschen, Nitroglyzerin, Dynamitstangen, Tellerminen, Mittelstreckenraketen – was halt so weg muss.

Recyclinghöfe sind Orte der Kontemplation. Denn es hat etwas seltsam Befriedigendes, den Kehricht der Zivilisation in ritueller Selbstvergessenheit am richtigen Ort zu platzieren
Imre Grimm

Erlaubt ist meist ein Kubikmeter Müll pro Mensch und Tag. Umstritten ist die Frage, ob Raummeter oder Schüttmeter gemeint sind. Wer sicher gehen will, häckselt seinen Unrat vorher klein und presst ihn zu einem Quader von einem Meter Kantenlänge. Aber Achtung: Zur gesetzeskonformen Verklappung muss der Quader vor Ort wieder in seine Materialbestandteile sortiert werden.

Zu besichtigen auf dem Recyclinghof: Familienväter, die zur Entsorgung eines Beutelchen Grünschnitts Ganzkörperschutzkleidung gewählt haben. Ältere Damen mit Schmuckhündchen, die verreckte Staubsauger hinter sich herziehen wie gestrandete Seerobben. Heimwerker, die bebenden Herzens Abschied nehmen vom guten Bohrhammer. Und natürlich: die Sammler.

Teil des ewigen Kreislaufs der Natur

Sie heißen Manfred oder Dieter, und sie durchwühlen den Schrott wie Goldgräber die Schürfgründe am Yukon. Noch bevor du die alte Stehlampe aus dem Kofferraum gewuchtet hast, nehmen sie dir das Ding aus der Hand und stopfen es in ihr übervolles Auto, zur Freude ihrer Gattin, die zu Hause zwischen Dieters gehorteter Flohmarktware von einer Boutique auf Teneriffa träumt. Ohne ihn.

Recyclinghöfe sind Orte der Kontemplation. Denn es hat etwas seltsam Befriedigendes, den Kehricht der Zivilisation in ritueller Selbstvergessenheit am richtigen Ort zu platzieren. Plötzlich spürst du: Ja, auch du bist Teil des ewigen Kreislaufs der Natur. Du tust das Werk des Herrn. Du bist Sternenstaub, für einen Wimpernschlag im Strom der Zeit auf diesen Planeten geweht, und es ist deine Pflicht, die Schöpfung zu bewahren. Mutter Erde gibt, Mutter Erde nimmt.

Nebenbei: Sternenstaub gehört natürlich in den Bauschuttcontainer. Nächste Woche lesen Sie: „Wo Deutschland ganz bei sich ist (II): Die Autobahnraststätte“.

Schönes Wochenende!


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