Eine Pause auf einer deutschen Raststätte ist eher ein Trunk aus der Quelle des Elends. Wer hier Pause macht, den werden auch drei Wochen Italien nicht kurieren.
KolumneWo Deutschland ganz bei sich ist (II) – Die Raststätte
Eine Reise“, hat der Dichter Christian Friedrich Hebbel geschrieben, „ist ein Trunk aus der Quelle des Lebens.“ So kann man nur denken, wenn man – der Gnade der frühen Geburt sei Dank – nie eine deutsche Autobahnraststätte besucht hat. Denn eine Pause auf einer deutschen Raststätte ist eher ein Trunk aus der Quelle des Elends. Raststätten sind Orte ohne Gott, regiert von einer buckligen Alten mit Trinkgeldteller. Dunkle Abzockerbuden, in denen sich niemand von Verstand auch nur wenige Minuten aufhalten möchte. Sie nennen es „Tank & Rast“. Ich nenne es „Krank & Knast“.
Wer hier Pause macht, den werden auch drei Wochen Italien nicht kurieren. Sie verkaufen hier Schlüsselanhänger mit Namen wie Balthasar, Adelheid und Zacharias, dazu wellige Schwarz-Weiß-Postkarten mit gezackten Rändern. Und hinten, in der Ecke, öffnet sich der Höllenschlund zu Sanifair, dem Spa-Bereich des kleinen Mannes, wo auch all diejenigen einen Euro für die Notdurftverrichtung bezahlen müssen, die höchstens noch für 30 Cent pinkeln.
Beim Gastroangebot sind das Vitaminähnlichste noch die Duftbäume im Tankshop. In stählernen Wannen schmurgelt mysteriöses Gekröse. Sie frittieren hier alles, was die Straße hergibt. Am Spielautomaten sitzt ein Trucker, der aussieht wie aus Fimo gebastelt. Seine Polyesterhose ist fest mit dem Kunstlederbezug des Barhockers verschmolzen. Draußen steht sein Laster, die Plane bemoost, die Räder umkrautet. Und im „Kinderparadies“ irren vergessene Geschwister durch vergitterte Kletterröhren.
Das Raststättenwesen zeigt exemplarisch, was privatisierte Monopole anrichten können: Von den 442 Autobahnraststätten in Deutschland werden 410 vom Unternehmen Tank & Rast betrieben. Die Firma steckt hinter all den Marken, die vermeintlich Vielfalt vorgaukeln: Sanifair, Serways, Gusticus, Brotzeit, Essbar, Tabilo?… Gewiss: Es hat sich etwas getan. Der Zeitgeist hat manche moderne Franchise-Raststätte in kleine Fußgängerzonen voller weiterer Franchise-Buden verwandelt. Fehlen nur noch Deichmann, Fressnapf, Apollo-Optik, Body Shop und Blume 2000. Aber es gibt eben noch immer diese Elendslöcher mit Sieben-Euro-Sprühsahne-Cappuccino.
Aber sogar diese Orte haben ihre Freunde. Denn sie sind schwarze Löcher in der Raumzeit: Sie führen direkt zurück in eine Welt mit drei Fernsehkanälen, gelben Telefonzellen und lustig pötternden Zweitaktern. Es war hier, wo dampfende Familien auf dem Weg nach Italien nach sechs Stunden Autobahn im unklimatisierten Kleinwagen herunterkühlten.
Es war hier, wo Väter verzweifelt im Shell-Atlas blätterten und sich gestresste Mütter vom Gequengel auf dem Rücksitz erholten und VW-Käfer mit 30 PS von den Kasseler Bergen. Und es war hier, wo das Pinkeln, gottverdammmich, jahrzehntelang umsonst war – und eine reisende Familie noch nicht in den finanziellen Urin trieb.
Nächste Woche lesen Sie: „Wo Deutschland ganz bei sich ist (III): Der Bierstand“.
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