Unser Kolumnist erlebt bei einem Konzertbeuch, wie sich Fans seit seiner Jugend verändert haben – und die eigene Fitness. warum es trotzdem toll war.
Wir ZaungästeWie es ist, auf Konzerten zu den Ältesten zu gehören
Jüngst glaubte ich für einen Moment, ich sei Mrs. Grundy aus South-Birmingham-on-Toast. Das war auf einem grandiosen Konzert der formidablen, schwer sympathischen Band Provinz. Mrs. Grundy ist eine Erfindung von John Lennon, der in einem Interview in den Siebzigern den Aufbruch der Jugend feierte und sich über die Spießer mokierte („Und was immer Sie über uns denken mögen, Mrs. Grundy aus South-Birmingham-on-Toast: Sie haben keine Chance, denn Sie sind nicht dabei!“)
Ich war von 4500 Konzertbesuchern so ungefähr der drittälteste. Ich hatte damit gerechnet, angesehen zu werden wie schimmeliges Brot. Eben wie Mrs. Grundy. Ich versuchte, jünger auszusehen, indem ich meine müden Augen aufriss und den Rücken streckte. Aber man ist ja heute so dermaßen tolerant, dass sogar Ältere in verheerendem Zustand toleriert werden, solange sie keine Boomer-Jokes erzählen und nichts anfassen.
Um mich herum standen jede Menge junge Menschen mit hochgezogenen Jeans und riesigen Brillen. Am Eingang standen sie artig in einer Schlange. Sie ließen sich höflich vor. Man roch wohl. Man rauchte nicht. Am T-Shirt-Stand gab es ein Awareness-Team, falls sich jemand unwohl fühlen sollte. Gut so. Es hat sich definitiv etwas getan, seit ich 1989 ungeduscht und permanent angerempelt in einer disziplinlosen, müffelnden Meute in mein erstes Livekonzert (Udo Lindenberg) getaumelt bin, das ich überwiegend hinter dem Rücken eines heftig behaarten, Kette rauchenden Motorradrockers verbrachte.
Provinz sind vier Jungs aus Oberschwaben, drei Cousins plus ein Abi-Kumpel. Gitarre, Keyboard, Bass, Gesang. That’s it, folks! In Liedern wie „Unsere Bank“, „Verrate Deine Freunde“ oder „Wenn die Party vorbei ist“ feiern sie clever und schön die Segnungen des Landlebens, die Freundschaft, die Suche nach Spaß und Sinn und Liebe. Ich blickte um mich und fühlte für einen Moment, dass alles gut werden würde und die Generationen sich versöhnen würden. Warum? Weil sich am Ende ja doch alle dasselbe vom Leben wünschen: Gemeinschaft, Frieden, keine Nazis, den Geruch von frisch gemähtem Gras und jemanden, bei dem man sich am Telefon nur mit „Ich bin’s“ melden muss.
Zwischen den Liedern setzte ich mich gelegentlich hin. Links und rechts konnte ich durch die leeren Sitzreihen gucken. Ungefähr alle 30 Plätze saß ebenfalls ein nicht mehr ganz knackfrischer Mensch auf seinem Klappsitz. Denn wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder. Da saßen wir, lauschten der Musik und wiegten uns selig in der Gewissheit, dass natürlich auch die nächste Generation ihre Lieder hat. Wir mögen nur Zaungäste sein, wir Mrs. Grundys aus South-Bormingham-on-Toast. Und das Tour-T-Shirt würde uns auch nicht mehr passen. Aber immerhin können wir sagen: Wir waren dabei.
Schönes Wochenende!
P.S.: Tausend Dank für die vielen, vielen Buchtipps! Mehr dazu in der nächsten Woche.
Mehr von Imre Grimm lesen Sie in seinem neuen Buch „Lichtstreife und Arschtritte“ und in „Überleben in Deutschland“.Klampen Verlag, ISBN 3866749996
Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.