Kolumnist Imre Grimm widmet dem Jahresverlauf eine lyrische Betrachtung. Warum der Mai ein Trottel ist und was der Weihnachtsmann in den Sommerferien macht.
Kolumne zum JahresendeZwölf Monate – Ein kritischer Gedichtzyklus
Zwölf Monate – Ein kritischer Gedichtzyklus
Januar
Am Anfang ist so’n neues Jahr
ein weißes Blatt Papier.
Am Ende wird’s, wie’s immer war:
ein grässliches Geschmier.
Februar
Der Süden feiert Karneval.
Der Norden hält sich fern.
Er feiert lieber nonverbal.
Ich hab‘ den Norden gern.
März
Narzissen und Ranunkeln
die wachsen nicht im Dunkeln.
Sie blüh’n erst in der Frühlingssonne –
dann komm‘ sie in die Biotonne.
April
April, April macht, was er will.
Mir doch egal.
Ich bleib‘ normal
und kippe Kohle in den Grill.
Mai
Der Herr Mai ist ein Trottel.
Es gießt aus allen Rohr’n.
Drum ist schon mancher Zottel
im Frühlingswind erfror’n.
Juni
Aus überdehnten Hosenbünden
quillt nackte Haut ans Licht.
Ach, tragt doch (aus Ästhetik-Gründen)
was euch nicht passt halt nicht.
Juli
Mich brennt’s in meinen Reiseschuh’n
fort in die Welt zu stieben.
Doch erstmal muss ich Buße tu’n
im Stau auf der A7.
August
Im Sommer pennt der Weihnachtsmann
an einem Strand auf Malle.
Denn wenn er einen heben kann
Dann könn’n wir ihn mal alle.
September
Das Jahr geht bald zu Ende.
Zwei Drittel sind schon rum.
Ich fühl‘ mich – das spricht Bände – ein bisschen müd‘ und krumm.
Oktober
Seltsam, dass man so viel netter
ist, wenn man bei schönem Wetter
sich begegnet
als wenn’s regnet.
November
Der Winter rückt uns auf den Pelz
im scheußlichen November.
Er ist ganz sicher – Gott vergelt‘s –
der Tiefpunkt im Kalender.
Dezember
Ganz leis‘ die Flocken niedersinken.
Ich bin komplett erschlafft.
Was hilft? Sich tapfer zu betrinken.
Und noch ein Jahr geschafft!
Guten Rutsch!
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