Ingwer ist als Gewürz und Arzneimittel so stark gefragt, dass die exotische Pflanze mittlerweile auch in Deutschland angebaut wird – der Klimawandel macht’s möglich. Die Knolle ist ein echter Scharfmacher, doch was bringt sie medizinisch?
Loblied auf den IngwerIn der Wurzel liegt die Kraft
Landwirtin Renate Bursch ist zufrieden: „Es klappt gut mit dem Ingwer!“ Ihr Betrieb, ein großer Biohof im rheinischen Bornheim, baut das exotische Gewächs seit Kurzem in einem Folienhaus an. „Früher wäre das nicht möglich gewesen. Weil es aber immer wärmer wird, haben wir uns vor drei Jahren entschieden, es mit ein paar Pflanzen zu versuchen“, erläutert sie.
Die Nachfrage ist auch in Deutschland mittlerweile riesig: Nach Angaben des Statistischen Bundesamts kletterte die Einfuhrmenge von rund 8200 Tonnen im Jahr 2012 auf fast 38.000 Tonnen Ingwer im vergangenen Jahr. Ein großer Teil davon stammt aus China, wo die Pflanze eine lange Tradition hat. Nun setzen auch Landwirte in Bayern, im Rheinland und in der Lüneburger Heide auf den Anbau.
Oberirdisch erinnert die Pflanze, die mit Kurkuma verwandt ist, an Schilf. Verwendet wird aber nur der Wurzelstock, das sogenannte Rhizom. Diese braunen Knollen haben es in sich. Aus ihnen wird nicht nur ein schmackhaftes Gewürz, Ingwer steht auch für zahlreiche Heilwirkungen. Christian Keßler, Oberarzt für Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin, kommt bei dem Thema geradezu ins Schwärmen: „Ingwer ist aufgrund seiner gesundheitsfördernden Wirkungen ein echtes Superfood.“
Das Rhizom hat viele Inhaltsstoffe – die genaue Zusammensetzung unterscheidet sich nach Sorte und Zustand. Vor allem ist es reich an ätherischen Ölen, enthält darüber hinaus Scharf- und Schleimstoffe, Vitamin C, Vitamin B6 und einige Mineralstoffe. In der traditionellen chinesischen und ayurvedischen Medizin wird Ingwer seit Jahrtausenden bei diversen Erkrankungen eingesetzt, etwa bei Verdauungsstörungen, Übelkeit und Infektionen. Obendrein hat er wegen seiner stimulierenden Wirkung eine lange Tradition als Aphrodisiakum.
Als Tee steht er aber vor allem im Ruf, die Abwehrkräfte anzukurbeln – eine Wirkung, auf die auch Landwirtin Renate Bursch vertraut: „Sobald ich Halskratzen bekomme, schneide ich Ingwer in dünne Plättchen und überbrühe ihn“, sagt sie. „Das ist ein wunderbares Mittel.“ Dass Ingwertee vor Schnupfen-viren schützt, ist nicht bloß Einbildung. „Die Scharfstoffe, die darin enthalten sind, haben antimikrobielle Eigenschaften und wirken zudem durchblutungsfördernd“, sagt Keßler. „Wer verschleimt ist, eine verstopfte Nase hat, sich schlapp und kalt fühlt, tut gut daran, mehrfach am Tag Ingwertee zu trinken.“
Auch wenn große wissenschaftliche Studien dazu fehlen, gibt es Hinweise aus Laborversuchen, dass die Inhaltsstoffe der Infektabwehr tatsächlich auf die Sprünge helfen könnten. So wies das Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München nach, dass schon geringe Mengen des Scharfstoffs Gingerol die Aktivität von Immunzellen beeinflussen. Die benötigte Konzentration im Blut ließe sich erreichen, wenn man einen Liter Ingwertee trinkt, berichtet die Lebensmittelchemikerin Gaby Andersen, Erstautorin der Studie.
Wichtiger ist Keßler aber eine weitere Eigenschaft von Ingwer: „Er unterstützt die Verdauung.“ Schwerverdauliches wird bekömmlicher, Völlegefühl und Blähungen lassen nach. Ob man aber abnimmt, wenn man regelmäßig größere Mengen der Wurzelknolle zu sich nimmt, ist offen.
Prof. Roman Huber, Leiter des Zentrums für Naturheilkunde an der Universität Freiburg, sagt dazu: „Theoretisch wäre das denkbar, aber es gibt keine Daten, die diese Wirkung belegen.“ Überhaupt gibt es zu Ingwer zwar zahlreiche Studien – doch entsprechen viele davon nicht wissenschaftlichen Standards, wie der Internist bemängelt. So gebe es auch keine ausreichenden Belege für weitere Effekte, die Ingwer haben soll – etwa, dass er blutverdünnend wirkt oder einer Demenz vorbeugt. „Vieles liegt im Bereich des Anekdotischen“, sagt Huber.
Am besten belegt sei die Wirksamkeit bei Übelkeit und dabei, Erbrechen zu verhindern. „Dieser Effekt beruht auf einem Wirkprinzip, das man kennt“, erklärt Huber. Gingerole besetzen nämlich bestimmte Serotoninrezeptoren, die sich unter anderem in der Magenschleimhaut befinden und Übelkeit auslösen können. Dadurch, dass diese Rezeptoren blockiert werden, wird Übelkeit verhindert. Ingwer wird daher, etwa in Form von Kapseln mit Trockenextrakten, vor allem gegen Reiseübelkeit eingesetzt. Er kann auch die Nebenwirkungen von Chemotherapien lindern, allerdings nur in Kombination mit anderen Medikamenten.
Auch bei Schwangerschaftserbrechen kann man es mit Ingwer versuchen, sollte aber vorsichtig damit umgehen – eine Rücksprache mit der Frauenärztin ist immer sinnvoll. „Früher hat man zwar vermutet, er könnte Wehen auslösen“, sagt Huber. „Das hat sich aber nicht bestätigt.“ Nach altem Hebammenwissen lässt sich Ingwer zusammen mit anderen Weihnachtsgewürzen einsetzen, um Geburten anzuschieben. Sicherheitshalber sollten Frauen daher insbesondere in der fortgeschrittenen Schwangerschaft keine hohen Dosen zu sich nehmen. Ohnehin können große Mengen kontraproduktiv wirken, da die Scharfstoffe möglicherweise den Magen reizen.
Ingwer lässt sich auch äußerlich einsetzen, zum Beispiel in Form von Wickeln: Zerkleinerte Stückchen werden als eine Art Paste auf ein Tuch gegeben und auf schmerzende Körperregionen, etwa arthrotische Gelenke, gelegt. „Auf unseren Stationen machen wir das regelmäßig“, sagt Keßler. „Die Wickel wärmen, regen den Stoffwechsel an, reduzieren die Schmerzen und werden als sehr wohltuend empfunden.“ Weil die Scharfstoffe die Haut reizen können, ist die Anwendung aber nicht ganz ungefährlich: „Da braucht es schon Erfahrung. Zum Hausgebrauch ohne Anleitung würde ich solche Wickel nicht empfehlen.“
Keßler sieht die äußere Anwendung daher eher als Nebenaspekt. Ingwer ist für ihn in erster Linie eine gesunde Küchenzutat: „Mein Appell lautet, mehr Ingwer über die Ernährung zu sich zu nehmen.“ Die Wurzel sei leicht mit anderen Gewürzen zu kombinieren: „Ingwer, Zwiebel, Knoblauch und Kurkuma sind eine hervorragende Grundlage für Currys, Suppen und andere Gerichte. Mit dieser Kombi nimmt man reichlich sekundäre Pflanzenstoffe zu sich, die gerade in der Erkältungszeit wertvoll sind.“
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