Joh Jarvis war eine erfolgreiche Journalistin in Australien, bis sie genug vom Medienrummel hatte. In New Yorks Gefängnis Rikers Island stößt sie nun ein Umdenken an.
Rikers IslandAustralierin bringt Amerikas berüchtigtstes Gefängnis zum Meditieren
Rikers Island ist eigentlich kein Ort, an dem man sich gerne aufhält. Auf der Insel im East River in der Bronx befindet sich das größte Gefängnis New Yorks. Auch Joh Jarvis zweifelt, dass außer ihr viele davon träumen, das zu tun, was sie inzwischen regelmäßig macht – freiwillig ins Gefängnis zu gehen und dort mutmaßlichen Mördern, Vergewaltigern und anderen Schwerverbrechern Meditation beizubringen.
Doch die 57-Jährige aus Adelaide im Süden Australiens hat damit ihren Sinn im Leben gefunden. Während sie im Zoom-Call über ihre neue Karriere spricht, wird klar, mit welcher Passion sie dabei ist. Eigentlich war Jarvis Journalistin und hatte in ihrem Heimatland eine erfolgreiche Karriere. Doch irgendwann Mitte vierzig wurden ihr diese „großartige“ Karriere und ihr „schönes“ Haus langweilig.
„Ich war nicht fasziniert von dem, was ich machte“, sagte sie. „Es schien mir kein besonders aufregendes Leben zu sein.“ Da sie schon immer mal in New York leben wollte, habe sie beschlossen, den Sprung zu wagen. Sie verkaufte ihr gesamtes Hab und Gut in Australien und stürzte sich ins Unbekannte: Denn außer einer oberflächlichen Bekanntschaft hatte sie keinerlei Kontakte in der amerikanischen Metropole.
Da sie über ein Journalistenvisum ins Land gekommen war, musste sie zunächst in ihrem alten Beruf arbeiten. Doch schnell sei ihr dabei klar geworden, dass ihr wahres Interesse der Meditation galt, ein Bereich, in dem sie ebenfalls eine Ausbildung abgeschlossen hat. Über die folgenden Monate überschlugen sich dann die Ereignisse: Die Australierin verliebte sich in New York in eine andere Frau und das homosexuelle Paar beschloss, zu heiraten. Damit stand ihr die Tür offen, ihren Job zu wechseln.
Ein Kollege nahm sie mit nach Rikers Island
Jarvis begann zunächst damit, Meditation in Manhattan zu unterrichten. 2020 bewarb sie sich zusätzlich noch als ehrenamtliche Meditationslehrerin im Gefängnis von Brooklyn. Als dieses jedoch innerhalb kurzer Zeit dichtgemacht wurde, nahm ein Kollege sie mit nach Rikers Island. Die Pandemie zwang sie zu pausieren, doch seit Dezember 2022 arbeitet sie regelmäßig ein- bis zweimal im Monat auf der Gefängnisinsel. Um dorthin zu gelangen, nimmt die Australierin eine lange Anreise auf sich: Zwei Stunden braucht sie für eine einfache Fahrt von ihrem Zuhause aus – eine lange U-Bahn-Fahrt, gefolgt von einer sehr langen Busfahrt –, um auf die Insel zu kommen, die über eine Brücke mit dem Festland verbunden ist. Im Gefängnis selbst bringt sie ein Bus zu den verschiedenen Abschnitten.
Die Menschen, mit denen sie auf Rikers Island arbeitet, warten alle auf ihre Gerichtsverhandlung, etliche davon sind psychisch krank. Viele ihrer Schüler seien „gestresst“, meinte Jarvis. „Sie fühlen sich wirklich schlecht.“ Sie würden nicht wissen, wie es weitergehe, hätten Angst davor, für lange Zeit eingesperrt zu werden. Diesen Menschen bringt die Australierin nun „Vedic Meditation“ bei, eine in Indien entwickelte Meditationstechnik, bei der man an ein Wort aus der alten Sprache Sanskrit denkt, das keine Bedeutung hat.
„Ich bin eine Kuriosität“
Dieses Wort übt laut Jarvis einen gewissen Vibrationseffekt auf das menschliche Nervensystem aus. „Wenn man an es denkt, lässt es einen tiefer in seinen Geist eintauchen“, erklärte sie. „Es beruhigt den Körper und man bekommt ein Gefühl der Grenzenlosigkeit.“ Jarvis berichtet, wie einer der Inhaftierten, ein großer kräftiger Mann namens Angel, nach einer der Meditationen berichtet habe, er habe das Gefühl zu fliegen. „Ich fühle mich, als wäre ich frei“, erklärte er weiter. Zu diesem Zeitpunkt hatte Angel gerade mal drei Tage des Programms hinter sich gebracht. Ein weiterer Mann berichtete ihr, dass er sich nach der Meditation „sanft“ fühle. Aggression und Ärger seien verschwunden.
Dass sie bei ihrer Arbeit von lauter Männern umgeben ist, von denen einige Frauen in der Vergangenheit höchstwahrscheinlich eher schreckliche Dinge angetan haben, darüber denke sie nicht wirklich nach, meinte Jarvis. „Ich fühle mich nicht unsicher“, sagte sie. Es sei auch immer ein Wächter dabei. Sie habe zwar schon sexuelle Kommentare bekommen, sei aber noch nie bedroht worden. Vielmehr seien die meisten eher neugierig, woher sie komme. „Sie sagen: ‚Dein Akzent ist seltsam. Woher kommst du?‘ Ich bin also eine Kuriosität.“
Schon fast 100 Insassen das Meditieren beigebracht
In ihrer Zeit auf Rikers Island hat die Australierin fast 100 Männern das Meditieren beigebracht. Da sie nach wie vor ehrenamtlich arbeitet, sammelt sie inzwischen Spenden und hat eine Organisation namens „The Light Inside“ gegründet. „Ich habe das Gefühl, dass tatsächlich großes Interesse an der Situation der inhaftierten Menschen besteht“, sagte sie im Videotelefonat.
In den USA sitzen rund zwei Millionen Menschen in Haftanstalten ein und fast alle haben laut Jarvis in ihrem früheren Leben selbst ebenfalls ein Trauma erlebt. Um all diesen Menschen bei ihrer Rehabilitation und idealerweise irgendwann auch beim Beginn eines normalen neuen Lebens außerhalb des Gefängnisses zu helfen, will Jarvis ihr Programm auch auf andere Haftanstalten in den USA ausrollen. Sie hoffe, dass die Menschen auf diese Weise „mit einer Verbindung zu ihrem Herzen aus dem Gefängnis kommen“ würden. (RND)
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